Eine wissenschaftliche Spurensuche in der Negev-Wüste
Der Wind weht trocken über den Campus der Ben-Gurion-Universität in Be’er Scheva. Zwischen den sandfarbenen Gebäuden herrscht eine stille Entschlossenheit – als würde hier, mitten in der Wüste, etwas entstehen, das größer ist als seine Umgebung. In einem der Labore sitzt Prof. Alon Monsonego, über Mikroskope und Notizbücher gebeugt, und versucht etwas zu entschlüsseln, das Menschen seit Jahrtausenden beschäftigt: Warum altern wir – und lässt sich dieser Prozess aufhalten?
Monsonego, 61 Jahre alt, mit ruhiger Stimme und wachem Blick, sagt einen Satz, der hängen bleibt: „Das Immunsystem ist der Taktgeber des Alterns.“
Er sagt es nicht als Visionär, sondern als jemand, der es gesehen hat – in Zellen, in Experimenten, in jahrelanger Forschung. Sein Neuroimmunologie-Labor ist ein Kosmos aus winzigen Glasgefäßen und leuchtenden Monitoren, aber der Gedanke, der ihn antreibt, ist groß: Vielleicht trägt unser eigener Körper in sich die Werkzeuge, die uns gesund alt werden lassen.
Ein Fund, den niemand erwartet hatte
Die Geschichte beginnt mit einem Zufall – oder, wie Monsonego es nennt, mit „wissenschaftlicher Hartnäckigkeit“. Er und sein Team untersuchten den Unterschied zwischen jungen und alten Immunzellen bei Mäusen. Sie suchten nach Mustern, nach Erklärungen, nach dem unsichtbaren Umschaltmoment, an dem der Körper beginnt, langsamer zu werden.
Was sie fanden, war unerwartet: eine kleine, bisher kaum beachtete Gruppe von Immunzellen – zytotoxische T-Helferzellen, die beschädigte oder gealterte Zellen aufspüren und zerstören können, wie winzige Wächter des Körpers.
Zunächst glaubte das Team an einen Fehler. „Ich dachte: Das kann nicht stimmen“, erinnert sich Monsonego. „Warum sollte etwas, das erst im Alter auftaucht, gut sein?“
Doch dann, Tausende Kilometer entfernt, kam die Bestätigung: Japanische Forschende untersuchten das Blut von Menschen, die 100 Jahre oder älter waren – manche sogar 110. Und dort waren sie wieder, diese geheimnisvollen Zellen. Nicht vereinzelt. Nicht zufällig. Sondern in erstaunlicher Menge.
Die Wächter der Langlebigkeit
Monsonego lehnt sich in seinem Stuhl zurück, als er darüber spricht. „Diese Zellen reduzieren die Last der sogenannten seneszenten Zellen – den Zellen, die Entzündungen verursachen und das Gewebe altern lassen.“
Mit anderen Worten: Sie räumen auf. Sie schützen. Sie verlängern den Zeitraum, in dem der Körper gesund bleiben kann.
Nicht das Leben an sich, sondern das gute Leben.
Diese Erkenntnis öffnete für das Team neue Türen. Sie züchteten Mäuse, denen diese spezifischen Zellen fehlten – und sahen, dass sie kürzer lebten. Eine schlichte, aber eindrucksvolle Bestätigung.
Der Blick zu den Super-Hundertjährigen
Nun blickt Monsonego über sein Labor hinaus – zu den Blue Zones, jenen Orten der Welt, an denen Menschen bemerkenswert alt werden. Okinawa. Sardinien. Und andere Regionen, in denen Vitalität bis ins hohe Alter eher Norm als Ausnahme ist.
Der Forscher glaubt, dass ihr Geheimnis nicht allein in Genen oder glücklichen Lebensumständen liegt, sondern tief im Immunsystem verborgen sein könnte.
„Vielleicht besitzen gesunde ältere Menschen Fähigkeiten, von denen wir bisher nichts wussten“, sagt er.
Doch er macht auch klar: „Langlebigkeit ist kein Geschenk. Für die meisten Menschen bedeutet sie Arbeit – gute Ernährung, Bewegung, ein bewusster Lebensstil. Medizin kann unterstützen, aber sie ersetzt nicht die Verantwortung für unseren eigenen Körper.“
Die Zukunft der Altersmedizin beginnt in der Negev-Wüste
Was Monsonego und sein Team hoffen, klingt wie aus einem Zukunftsroman: Ein Diagnoseverfahren, das zeigt, wie es um unsere T-Helferzellen steht. Und Therapien, die ihre Aktivität stärken und damit den Alterungsprozess verlangsamen.
Prof. Asya Rolls, Neurowissenschaftlerin in Tel Aviv, beschreibt es so:
„Diese Forschung zeigt, dass Altern vielleicht kontrollierbarer ist, als wir dachten.“
Für Monsonego ist es weniger eine Vision der Unsterblichkeit als eine der Lebensqualität.
„Was bringt es, 90 Jahre alt zu werden, wenn man davon 20 Jahre krank ist?“, fragt er.
„Wir müssen lernen, gesund alt zu werden – nicht nur alt.“
Ein stilles Labor, ein großes Ziel
Wenn man am Abend über den Campus geht, ist das Licht in Monsonegos Labor oft noch an. Studierende beugen sich über Zellkulturen, Pipetten klicken leise, Monitore glimmen. Nichts davon wirkt spektakulär – und doch könnte hier ein Ansatz entstehen, der den Umgang der Menschheit mit dem Altern verändern wird.
Vielleicht liegt das Geheimnis eines langen, gesunden Lebens also nicht in exotischen Kräutern, nicht in einem Wunderelixier – sondern in uns selbst.
In winzigen Zellen, die still und unermüdlich dafür arbeiten, dass unser Körper nicht nur viele Jahre zählt, sondern sie auch genießen kann.
Und irgendwo im Herzen der Negev-Wüste arbeitet ein Forscher daran, genau diese Wahrheit sichtbar zu machen.
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