Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Frau Ausschussvorsitzende,
sehr geehrte Abgeordnete,ich danke Ihnen, für den Zentralrat der Juden in Deutschland Stellung beziehen zu dürfen.
Für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland und weltweit ist seit dem 7. Oktober 2023 die Welt eine Andere. Der 7. Oktober bezeichnet das größte und gewaltvollste Pogrom an Juden nach der Schoa. Und auch der daraus entstandene Krieg, der aktuell in Gaza – und was in der öffentlichen Wahrnehmung häufig nicht gesehen wird – durch den dauerhaft Raketenbeschuss der Hamas auch in Israel stattfindet, beunruhigt die jüdische Gemeinschaft weiterhin sehr.
Neben anderen gesellschaftlichen Bereichen hat sich auch die Kunstwelt im Zuge des 7. Oktobers in großen Teilen zu einem unsicheren Ort für Juden entwickelt. Das, was sich über Jahre normalisierte, wo sich die Grenzen des Sag- und Zeigbaren Stück für Stück verschoben, hat sich nach dem 7. Oktober in seiner geballten Kraft gezeigt. Zuletzt wurde der Hamburger Bahnhof in Berlin Schauplatz einer für die aktuelle Situation exemplarischen antisemitischen Aktion. Diese Form der Gewalt zieht sich als roter Faden seit Monaten durch die Kunstwelt.
Denn noch am Tag des Massakers verklärten nicht wenige etablierte Künstler in Deutschland die Vergewaltigungen, Folter und Verstümmelung von friedlichen Zivilisten als heroischen Widerstand. So wurde zum Beispiel eine Aufnahme der um ihr Leben fliehenden Besucher des Nova Festivals mit den Worten “Poetical Justice” überschrieben und auf Social Media verbreitet.
Die folgenden Wochen und Monate waren geprägt von ideologisch aufgeladenen offenen Briefen voll von Desinformationen über den Nahostkonflikt und Hass gegen Israel und Juden. Sie wurden tausendfach unterzeichnet.
Bedauerlicherweise fielen Solidaritätsbekundungen deutscher Kulturinstitutionen oft durch ihre lange Abwesenheit und Schwammigkeit auf. Scheinbar ist es kein einfaches Unterfangen, Worte der Empathie und Menschlichkeit zu finden, wenn es sich um massakrierte Israelis oder Juden handelt.
Es hat sich ein Klima des Israelhasses etabliert. Seit Jahren weisen wir darauf hin, dass Antisemitismus in künstlerischen Kontexten unerträglich wird. Seit Jahren hören wir von jüdischen und israelischen Künstlern von einem anwachsenden silent boycott, angeregt durch BDS und andere. Unter den vielen erschütternden Vorfällen waren die documenta 15 und jüngst das Fiasko inklusive des Rücktritts der Findungskommission der documenta 16 traurige Beispiele des kulturpolitischen Versagens.
Wenn in politischen Reden darauf verwiesen wird, dass Antisemitismus ein gesellschaftliches Problem ist, dann frage ich mich, warum aus dieser Logik heraus, sich nicht gesamtgesellschaftlich gegen dieses Problem gestellt wird.
Der Kunst- und Kulturbetrieb muss:
Erstens: Eine selbstkritische Aufarbeitung der NS-Geschichte großer Kulturinstitutionen zur Stärkung des demokratischen Selbstverständnisses und der Widerständigkeit gegen menschenverachtende Ideologien leisten. Wer über die Mechanismen des Nationalsozialismus und seiner instrumentalisierenden Funktion von Kunst lernt, wird auch resistenter gegen geschichtsrevisionistische NS-Vergleiche oder Gleichsetzungen.
Er muss zweitens: Sich mit den verschiedenen Ausdrucksformen, insbesondere den sprachlichen und bildlichen Dimensionen des Judenhasses auseinandersetzen, um antisemitische Chiffren und Codes erkennen und benennen zu können. Die Kunstuniversitäten sind hier auch in der Pflicht Aus- und Weiterbildung für Mitarbeitende in Kultureinrichtungen anzubieten.
Er muss drittens: Der Darstellung des Rechts auf Kunstfreiheit und den Kampf gegen Antisemitismus als Gegensätze ein Ende setzen. Der Kampf gegen Antisemitismus und die Kunstfreiheit sind miteinander im Einklang stehende Verfassungsprinzipien, die als solche selbstverständlich nebeneinanderstehen müssen.
Und er muss viertens: Konsequent durchgreifen bei antisemitischen Darstellungen oder Verbreitung antisemitischer Weltbilder in künstlerischen Kontexten.
Immer wieder wird gerade dem letzten Punkt entgegengesetzt: In einer Demokratie müsse man auch konträre Positionen aushalten können und zur Kunstfreiheit würde auch das Aus- und Überreizen gehören. Dem kann ich als Demokrat zustimmen. Bloß lässt mich eine Frage nicht los: Wieso trifft dieses „aushalten müssen“ immer und immer wieder die Juden?
Wenn in Kunst und Kultur wie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen dem Antisemitismus nicht entschieden und konsequent begegnet wird, werden die sicheren Räume für Juden immer enger, bis sie komplett aus ihnen verdrängt werden.
Vielen Dank.
Copyright Foto: Zentralrat der Juden in Deutschland