Margot Friedländer und der Friedrichstadtpalast – ein Jahrhundertfoto

Margot Friedländer mit dem Ensemble des Friedrichstadtpalastes
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 Eine jüdische Deutsche, deren Familie ermordet wurde und die selbst nur knapp den Holocaust überlebt hat. Ein Palast mit jüdischen Wurzeln, der zum größten Propaganda- und Operettentheater des Dritten Reiches wurde – und heute für Freiheit, Vielfalt und Demokratie steht. Sein Markenzeichen seit den „Goldenen Zwanzigern“: die 32-köpfige Kickline, deren Begründer ebenfalls ein jüdischer Deutscher war. Ein Foto mit Geschichte und Haltung. 

Gerade in diesen Zeiten ist es auch ein Foto der Hoffnung: In der Kickline tanzen heute 30 Frauen und zwei genderfluide Menschen, alle Hautfarben, alle Arten zu lieben, alle Religionen von Christentum über Judentum bis Islam. Menschen aus 28 Nationen arbeiten am Palast, auch aus der Ukraine, Russland und Weißrussland, ebenso aus Israel und arabischen Ländern. 

Das Ensemble des Palastes ist ein lebendes Bilderbuchbeispiel für Margot Friedländers fortwährenden Appel an unsere Menschlichkeit: „Wir sind alle gleich – es gibt kein christliches, muslimisches, jüdisches Blut. Es gibt nur menschliches Blut. Seid doch Menschen!“ Das „Jahrhundertfoto“, aufgenommen von Lukas Korschan, entstand am 15. Dezember 2023, dem letzten Tag und Höhepunkt von Chanukka, dem jüdischen Lichterfest. Im Anschluss an das Fotoshooting gab es im Großen Ballettsaal ein persönliches Zusammentreffen mit dem Ensemble und ein Gespräch zwischen Margot Friedländer und Intendant Berndt Schmidt. 

Berndt Schmidt zur Entstehung des Fotos: „Als junge Frau war Margot in der NS-Zeit im damaligen Jüdischen Kulturbund selbst als Komparsin an einem Theater. Sie liebt Kultur, den Palast und unsere Revuen. Daher habe ich ihr zum 102. Geburtstag das ‚Jahrhundertfoto‘ voller hundertjähriger Geschichten geschenkt: eine starke, ungebrochene Frau an der Spitze starker Frauen und genderfluider Menschen. Wir werden das Bild großformatig bei uns im Palast aufhängen: damit diese in jeder Hinsicht strahlend schöne Frau immer und forever bei uns ist. Das Bild ist zugleich eine tägliche Erinnerung an Margots Auftrag, uns solidarisch an die Seite von Minderheiten zu stellen. Nur wo Vielfalt blühen kann, ist Freiheit.“ 

Die Bühnengeschichte des Friedrichstadt-Palast Berlin beginnt am 29. November 1919 mit der Eröffnung des Großen Schauspielhauses durch den jüdischen Theatermacher Max Reinhardt. 1934 wird das Haus von Joseph Goebbels, dessen Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda die größte Bühne des Reiches direkt unterstellt ist, umbenannt in Theater des Volkes. Seit 1947 heißen wir Friedrichstadt-Palast. 

Zwei Jahre nach Gründung des Großen Schauspielhauses wird am 5. November 1921 in Berlin Margot Friedländer geboren. Sie leistet Zwangsarbeit, muss sich längere Zeit im Untergrund verstecken und überlebt den Holocaust am Ende im KZ Theresienstadt knapp. Vater, Mutter und Bruder Ralph werden in Auschwitz ermordet. Sie ist Ehrenbürgerin des Landes Berlin und Trägerin des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse. 

Das Markenzeichen des Palastes ist seit 1924 die Girlreihe, heute Kickline genannt. Begründet hat diese Tradition Erik Charell, ein jüdischer, schwuler Deutscher. 

Max Reinhardt holte 1922 erstmals eine gewisse, noch unbekannte Marlene Dietrich auf die Bühne – im Großen Schauspielhaus. Auch Erik Charell setzte sie ab 1924 als Revuetänzerin und Darstellerin in seinen Stücken ein. Später wurde die Dietrich eine entschiedene Gegnerin der Nationalsozialisten.