Zwischen Andengipfeln, Pazifikstrand und tropischem Regenwald existiert eine jüdische Gemeinschaft, klein an Zahl, aber reich an Geschichte: die Jüdinnen und Juden Perus. Abseits der großen jüdischen Zentren Lateinamerikas – Buenos Aires, São Paulo, Mexiko-Stadt – lebt hier ein faszinierendes Kapitel jüdischer Vielfalt. Wer genauer hinschaut, entdeckt Geschichten von Migration, Glauben, Zugehörigkeit und Erneuerung.
Wurzeln in der Ferne
Die Geschichte des Judentums in Peru beginnt nicht in den modernen Städten, sondern in der Kolonialzeit. Schon zur Zeit der spanischen Eroberung kamen Conversos – zum Christentum gezwungene Jüdinnen und Juden – über den Atlantik. Viele hielten ihre Identität im Verborgenen, fern von Synagogen und Rabbiner*innen, aber nah an der Erinnerung ihrer Herkunft.
Erst Anfang des 20. Jahrhunderts kamen offen jüdische Einwanderer ins Land – aus Osteuropa, Deutschland und dem Nahen Osten. In Lima entstand bald eine organisierte Gemeinschaft mit aschkenasischen und sephardischen Strukturen. Auch in Iquitos, tief im Amazonasgebiet, ließen sich jüdische Händler nieder, angelockt vom Kautschuk-Boom jener Zeit. Dort entwickelte sich eine einzigartige, isolierte jüdische Insel mitten im Regenwald.
Die jüdische Gemeinschaft heute
Heute zählt Peru schätzungsweise rund 2.000 Jüdinnen und Juden, die meisten davon in Lima. Das Gemeindeleben konzentriert sich auf drei große Pfeiler:
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Die Asociación Judía del Perú, die Dachorganisation der jüdischen Gemeinden,
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die aschkenasische Gemeinde, mit der Synagoge Sharón im Stadtteil San Isidro,
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die sephardische Gemeinde, die bis heute Elemente der ladinischen Kultur bewahrt.
Hier werden Schabbatgottesdienste gefeiert, Kinder besuchen den jüdischen Kindergarten und die Schule León Pinelo, und im koscheren Supermarkt „Kosher Market“ gibt es alles von israelischem Hummus bis argentinischem Rindfleisch.
Doch auch außerhalb der Hauptstadt lebt Judentum: In Iquitos pflegt eine kleine, aber entschlossene Gemeinschaft ihre Traditionen – oft unter schwierigen Bedingungen. Die Wege sind weit, Rabbiner selten, und vieles beruht auf Eigeninitiative. Seit den 1990er Jahren kam es zudem zu Rückkehr- und Konversionsbewegungen in den Andenregionen. Dort haben ganze Gruppen die jüdische Identität wiederentdeckt und offiziell angenommen. Sie nennen sich B’nai Moshe – Kinder Moses.
Leben zwischen Isolation und Globalität
Jüdisch in Peru zu sein, bedeutet, ständig Brücken zu bauen – zwischen Tradition und Moderne, zwischen Nähe und Distanz. Die Gemeinschaft ist klein, aber eng verbunden. Hochzeiten, Bar- und Batmizwa-Feiern, Schabbatessen – alles geschieht im familiären Rahmen, und jeder kennt jeden.
Gleichzeitig ist die Vernetzung mit der Welt stark. Junge Jüdinnen und Juden gehen häufig zum Studium nach Israel oder in die USA, kehren aber oft mit neuen Ideen zurück. Chabad betreibt in Cusco – einem der touristischen Zentren des Landes – ein Haus, das israelische Reisende ebenso willkommen heißt wie lokale Jüdinnen und Juden. Besonders während Pessach oder Sukkot verwandelt sich die alte Inka-Stadt in einen kleinen globalen Treffpunkt.
Herausforderungen des Alltags
So inspirierend das Engagement der peruanischen Juden auch ist – die Realität bleibt herausfordernd. Koschere Lebensmittel sind teuer und schwer erhältlich, Rabbinerstellen bleiben oft unbesetzt, und der Nachwuchs zieht nicht selten ins Ausland.
Zudem steht die Frage im Raum, wie sich Zugehörigkeit definiert: Sind die konvertierten Gemeinden im Amazonas und in den Anden Teil der offiziellen Gemeinschaft? Die Antworten darauf sind nicht immer eindeutig und führen zu Diskussionen über Identität, Halacha und Anerkennung – Themen, die auch in größeren Gemeinden weltweit aktuell sind.
Eine Zukunft mit leiser Stärke
Trotz aller Herausforderungen lebt jüdisches Peru. Die Gemeinschaft zeigt, dass jüdisches Leben nicht von Größe, sondern von Leidenschaft getragen wird. Ihre Stärke liegt im Zusammenhalt, in der Treue zu den Traditionen – und in der Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden.
Vielleicht ist das die größte Lehre aus den Anden: Judentum braucht keine großen Zahlen, um stark zu sein. Es reicht, wenn die Flamme brennt – auch auf einem fernen Berg, am Rand des Regenwaldes oder mitten in Lima.
Denn überall, wo Juden Schabbatkerzen anzünden, Kinder Hebräisch lernen und die Erinnerung an ihre Wurzeln wachhalten, ist Judentum lebendig. Auch – und gerade – in Peru.








