Im Schatten geopolitischer Spannungen und der politischen Rhetorik der Islamischen Republik Iran existiert eine der ältesten jüdischen Gemeinschaften der Welt – verwurzelt, aber vielfach unsichtbar. Das jüdische Leben im Iran ist geprägt von jahrtausendealter Geschichte, tiefer religiöser Identität, aber auch von Zurückhaltung, Misstrauen und einem Balanceakt zwischen Loyalität zum Heimatland und der Sorge um Freiheit.
Eine der ältesten Diaspora-Gemeinschaften der Welt
Die Präsenz des Judentums im Iran reicht über 2.500 Jahre zurück. Schon im 6. Jahrhundert v. Chr. ließen sich Juden nach dem Edikt des persischen Königs Kyros II. in der Region nieder. Die persischen Könige gelten in der jüdischen Geschichte zum Teil sogar als Retter: Kyros ermöglichte die Rückkehr aus dem babylonischen Exil und den Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem.
Bis zur Islamischen Revolution von 1979 lebten rund 80.000 bis 100.000 Juden im Iran. Heute sind es schätzungsweise zwischen 8.000 und 15.000 – je nach Quelle. Damit ist es die größte jüdische Gemeinde im Nahen Osten außerhalb Israels, abgesehen von der Türkei.
Verfassung und Realität
In der Verfassung der Islamischen Republik ist das Judentum als offizielle religiöse Minderheit anerkannt. Die jüdische Gemeinde darf ihre Religion frei ausüben, betreibt Synagogen, Schulen, ein Altersheim und sogar einen eigenen Vertreter im iranischen Parlament, der Madschles. Diese Rechte sind auf dem Papier festgeschrieben und werden vom Staat öffentlich betont – als Zeichen religiöser Toleranz.
Doch die Realität ist komplexer. Juden im Iran leben in einem Spannungsfeld: Sie sind iranische Staatsbürger und fühlen sich oft tief mit ihrem Land verbunden. Gleichzeitig erleben sie Repressionen, vor allem wenn es um Israel, zionistische Themen oder politische Meinungsfreiheit geht.
Viele jüdische Iraner vermeiden jede Form der öffentlichen Kritik – nicht nur aus Angst vor Repressalien, sondern auch, um die fragile Sicherheit ihrer Gemeinschaft nicht zu gefährden. Die Loyalität gegenüber dem Iran wird von der Regierung immer wieder eingefordert – nicht selten auf eine Weise, die Distanz zu Israel demonstrieren muss.
Alltag und Identität
Im alltäglichen Leben unterscheiden sich jüdische Iraner oft kaum von ihren muslimischen Nachbarn. Sie sprechen Persisch, viele tragen traditionelle Kleidung, und es gibt zahlreiche jüdische Händler, Ärzte und Akademiker. In Städten wie Teheran, Isfahan und Schiras existieren funktionierende jüdische Gemeinden.
Das religiöse Leben ist weitgehend auf den privaten und halböffentlichen Raum beschränkt. Feste wie Pessach oder Jom Kippur werden gefeiert, allerdings unter erhöhter Wachsamkeit. Koscheres Essen ist in Synagogen oder Gemeindezentren erhältlich, aber nicht leicht zugänglich. Jugendliche wachsen oft in einem Klima der Vorsicht auf – mit einem tiefen Bewusstsein für die Geschichte ihrer Vorfahren, aber auch mit den Einschränkungen des heutigen politischen Systems.
Die Rolle Israels – ein vermintes Thema
Die Existenz Israels ist im Iran offiziell ein Tabu – der Staat erkennt Israel nicht an, und „zionistische Verschwörungen“ sind fester Bestandteil der staatlichen Propaganda. Für jüdische Iraner ist das ein heikles Thema. Viele haben Verwandte in Israel oder in den USA. Dennoch vermeiden sie jeden öffentlichen Bezug zu Israel – eine Äußerung könnte als illoyal oder gar als Spionage gewertet werden.
Gleichzeitig betonen viele jüdische Iraner ihre Unterscheidung zwischen „Zionismus“ und „Judentum“ – eine Unterscheidung, die auch von der Regierung genutzt wird, um sich als religiös tolerant zu präsentieren, während sie gleichzeitig Israel dämonisiert.
Zwischen Bleiben und Gehen
Viele jüdische Iraner sind nach 1979 ausgewandert – aus Angst, aber auch in der Hoffnung auf mehr religiöse und wirtschaftliche Freiheit. Heute lebt ein Großteil der iranisch-jüdischen Diaspora in Los Angeles, New York oder Tel Aviv. Dennoch sind nicht alle gegangen. Diejenigen, die geblieben sind, betonen oft ihre kulturelle und historische Verwurzelung im Iran.
Ein älterer Gemeindemitglied in Teheran sagte einmal: „Dies ist mein Land. Meine Vorfahren sind hier begraben. Ich liebe mein Land, auch wenn es mich manchmal nicht zurückliebt.“
Ausblick
Das jüdische Leben im Iran ist geprägt von Paradoxien: Es ist gleichzeitig sichtbar und unsichtbar, geschützt und gefährdet, alt und modern. Solange es politische Spannungen gibt – insbesondere mit Israel und dem Westen – bleibt die jüdische Gemeinde ein sensibler Seismograph für die Frage, wie viel religiöse Vielfalt im Iran tatsächlich möglich ist.
Doch eines ist sicher: Die jüdische Geschichte Irans ist nicht nur eine Geschichte von Minderheit und Ausgrenzung, sondern auch eine Geschichte tiefer Zugehörigkeit – und der Hoffnung, dass religiöse Identität eines Tages nicht mehr mit politischem Misstrauen verwechselt wird.