Das Jüdische Museum Berlin zeigt eine Videoarbeit zum Kibbuz Be’eri

Rehearsing the spectacle
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Anlässlich der Terror­akte der Hamas in Israel – und in Trauer und Verbunden­heit mit den Opfern – zeigt das Jüdische Museum Berlin (JMB) online und vor Ort in der Eric F. Ross-Galerie die Video­arbeit בחזרה על מחזה החזיונותy (Rehearsing the Spectacle of Spectres) der in Berlin lebenden israelischen Künstler Nir Evron und Omer Krieger. Im Zentrum des 2014 entstandenen Werks steht der Kibbuz Be’eri – eine der am schwersten von den Attacken des 7. Oktobers betroffenen israelischen Gemein­schaften an der Grenze zu Gaza.

Hetty Berg, Direktorin des JMB: Wir sind unendlich traurig und entsetzt über die grau­samen Verbrechen der Hamas in Israel. Diese Gräuel­taten sind durch nichts zu recht­fertigen. Unsere Herzen und unsere Gedanken sind bei allen, die von den Terror­angriffen betroffen sind, und allen, die Familie und Freund*innen in der Region haben. Wir sind Israel eng verbunden und fühlen mit allen, die jetzt leiden.

Das Wort „Kibbuz“ bedeutet auf Hebräisch „Zusammen­kunft“. Der Gedanke des Kollektiven prägt das Leben des 1946 gegründeten Kibbuz Be’eri bis in die Gegen­wart. In statischen und fahrenden Kamera­aufnahmen von Außen- und Innen­räumen des Kibbuz lenken Evron und Krieger den Blick auf öffentliche Versammlungs­stätten, die dem Kollektiven einen Raum geben. Diese filmischen Sequenzen wechseln sich mit Porträt­aufnahmen von Bewohnerinnen und Bewohnern des Kibbuz ab, die das Gedicht „Rehearsing the Spectacle of Spectres“ von Anadad Eldan (geb. 1924) rezitieren. Als sogenannter Kibbuz-Dichter schreibt Eldan Gedichte für die Zeremonien der Gemein­schaft, zudem hat er zahl­reiche Bände mit lyrischer Dichtung veröffentlicht. Er ist für seinen alliterativen Stil, seine moderne Ausdrucks­weise in biblischem Hebräisch bekannt. Die Mitglieder des Kibbuz Be’eri sind in Einzel­aufnahmen und Mehrfach­über­blendungen zu sehen, bisweilen setzt sich ihr Vortrag allein auf der Tonspur fort. Die Gedicht­zeilen und die filmische Umsetzung sprechen die Wehmut an, die sich angesichts der zwar angestrebten, im Miteinander aber schwer zu erreichenden Harmonie von Individuum und Gemeinschaft einstellt.

Wir wollten auf die Situation mit den Mitteln eines Museums reagieren, sagt Hetty Berg. Noch nie hat das JMB eine Ausstellungs­idee so schnell umgesetzt. Wir wollen, indem wir die Video­arbeit zeigen, im JMB einen Ort des Gedenkens schaffen, der Raum zum Inne­halten und für Reflexion bietet. Gleich­zeitig wollen wir dem Terror und den Morden etwas entgegen­setzen: Wir zeigen das Leben in Kibbuz Be’eri, bevor es zerstört worden ist, ein Kibbuz, in dem Kunst geschaffen wurde. Wir wollen die Erinnerung an das Leben dort vor dem Angriff bewahren. Das JMB hat geöffnet, wir setzen das Programm fort und sind für unsere Besucher*innen da.

Das Video beginnt und endet mit Luft­aufnahmen der geografischen Einbettung des Kibbuz, in dessen Nachbar­schaft Gaza liegt. In dieser von politischen Spannungen geprägten Region haben sich zahlreiche Friedens­aktivistinnen und -aktivisten aus Be’eri für ein Mit­einander aller eingesetzt. Auch sie sind unter den Opfern des aktuellen brutalen Terror­aktes. Hagay Avni ז״ל‎, einer der Mitwirkenden des Films und Mitglied der Verteidigungs­einheit des Kibbuz, ist im Kampf gegen die Hamas gefallen.

Das Ehepaar Eldan hat den Angriff hochbetagt überlebt. Vor zehn Jahren schrieb Anadad Eldan ein Trauergedicht anlässlich des Todes seiner Tochter, an das seine Frau Sari in diesen Tagen öffentlich erinnert:

על קירות בארי
עַל קִירוֹת בְּאֵרִי כָּתַבְתִּי קוֹרוֹתֶיהָ
מִמְּקוֹרוֹת וּמַעֲמַקִּים קְרוּעֵי קֹר
עֵת קָרְאוּ אֶת הַקּוֹרֶה בַּכְּאֵב וְאוֹרוֹתֶיהָ
נָפְלוּ לַעֲרָפֶל וַאֲפִלַּת לַיְלָה וִילָלָה כְּמָקוֹר
לַתְּפִלָּה כִּי נָפְלוּ יְלָדֶיהָ וְדֶלֶת נְעוּלָה
לְרַחֲמֵי שָׁמַיִם נוֹשְׁמִים שְׁמָמָה וּשְׁכוֹל
הוֹרִים לְלֹא רַחֲמִים מִי יְנַחֵם כִּי קְלָלָה
לוֹחֶשֶׁת אַל טַל וּמָטָר וּמֻתָּר לִבְכּוֹת לְמִי שֶׁיָּכוֹל
יֵשׁ שָׁעָה רוֹחֶשֶׁת חֹשֶׁךְ אַךְ יֵשׁ שַׁחַר וְהִלָּהּ

Auf Be’eris Mauern [Auf den Mauern meines Brunnens]
Auf Be’eris Mauern schrieb ich ihre Geschichte
Aus den von Kälte zerrissenen Ursprüngen und Tiefen
Nun lest das Geschehene im Schmerz und in ihrem Lichte
Fallt in den Nebel und in die Dunkelheit der Nacht und in den Urschrei
Zum Gebet denn ihre Kinder sind gefallen und die Tür ist verschlossen
Vor der Gnade des Himmels atmen sie Einöde und Trauer
Wer tröstet Eltern ohne Erbarmen denn es ist ein Fluch
Der flüstert weder Tau noch Regen soll auf Euch fallen und es darf weinen wer kann
Es gibt eine Stunde voller Finsternis, dennoch gibt es Morgendämmerung und einen hellen Schein

(Deutsch von Shelley Harten)

„Rehearsing the Spectacle of Spectres“
בחזרה על מחזה החזיונות
Nir Evron, Omer Krieger
2014, HD Video mit Stereosound, 10 Min.

In Auftrag gegeben von der Kibbuz Be’eri Galerie
Gedicht von Anadad Eldan, englische Übersetzung: Robert Whitehill-Bashan
Mitwirkende: Hagay Avni ז״ל, Carmit Dvori, Anadad Eldan, Marcel Visel, Asaf Weiss, Ziva Yellin
Kinematographie: Yair Agmon
Tongestaltung: Binya Reches
Digitales Compositing: Ido Shor

 

© Foto: Jüdisches Museum Berlin