Die Tora droht uns diese Woche auf eine Art, die unmissverständlich ist. Wenn Ihr Meine Gesetze befolgt, spricht G“tt, dann wird das Land blühen. Wenn Ihr Meine Gesetze ignoriert, also nicht beachtet, dann werde Ich fürchterliche Strafen über Euch verhängen. In der Parascha Bechukotai folgt eine furchterregende Auflistung von dem, was sich über das gesamte Volk ereignen wird.
jeder ist verantwortlich für was man tut und sagt
Strafe und Belohnung sollten vermuten lassen, dass wir wählen können. Aber haben wir wirklich einen freien Willen? Es sollte wohl etwas anders geben, wenn unsere gesamte Gemeinschaftsstruktur in Scherben zerbricht. In unserem tagtäglichen Glauben steht als herausragender Pfeiler, dass jeder dafür verantwortlich sei für was man tut und sagt. Ethische und religiöse Vorschriften machen nur Sinn, wenn wir frei wählen können.
seit der Geburt vorprogrammiert
Du kannst jemanden nur für seine Taten verantwortlich machen, wenn er oder sie anders hätten wählen können. Richter können niemand mehr verurteilen, denn Kriminelle würden dabeibleiben, dass sie entsprechend seit der Geburt vorprogrammiert seien. Die Schulen könnten wir abschaffen, denn Erziehung bringt nichts. So scheint es.
Aber die Wirklichkeit ist anders. Je weiter wir in die Gentechnologie vordringen, umso schwieriger wird jedoch das Problem des freien Willens. Alles scheint bereits in unseren Genen festgelegt worden zu sein. Können wir noch etwas wählen? Oder ist alles bereits ab der Geburt bis zum Tode festgeschrieben?
theologische und eine „menschlich tragische“ Färbung
Dieses Problem hat eine klare theologische und eine „menschlich tragische“ Färbung. Wenn G“tt alles von vornhinein weiß, kann ich nicht mehr wählen. Wenn G“tt weiß, dass ich morgen Radfahren gehe und ich mache es nicht, dann scheint es so, als ob der Allmächtige sich geirrt hätte. Und das kann nicht sein. Menschlich tragisch ist, dass wir uns frei fühlen, wenn wir unsere eigenen Lebensziele wählen. Eine Einschränkung in den Mitteln bezeichnen wir nicht als Unfreiheit. Jedoch ist das körperliche Leben sehr einschränkend.
zwei erlösende Denkmodelle
Wir plagen uns schon viele Jahrhunderte mit dem „Problem“ des freien Willens herum. Links und rechts habe ich Meinungen eingesammelt. Ich lege Euch zwei erlösende Denkmodelle vor und stehe für Kritik offen.
Der freie Wille ist kein Problem, sondern ein Geschenk G“ttes. Der freie Wille befindet sich in unseren Genen verankert. G“tt schuf den Menschen nach Seinem Ebenbild. Das Schönste, was G“tt uns geben konnte, war unser freier Wille, da wir in dem unserem Schöpfer am meisten ähneln. Und darauf werden wir jedes Jahr zu Rosch Haschana (Jüdisches Neujahr) abgerechnet. Der Preis für den freien Willen ist enorm. Schlechte Menschen können uns viel Elend einbrocken.
Mache einen Unterschied zwischen dem Körper und dem Geist, was auch schon ein tausende Jahr altes philosophisches Problem ist. Unser körperlicher Teil ist fest an unsere Gene verknüpft, aber unser geistiges Leben, unsere Neschomme (Seele) viel weniger oder vielleicht überhaupt nicht. Gerade in unserem „jiddischen Spirit“ liegt enorme befreiende Kraft.
Durch zu fragen wirst Du schlau!
Author: © Oberrabbiner Raphael Evers | Raawi Jüdisches Magazin