wöchentlicher Toraabschnitt Wajischlach (Bereschit 32:4 – 36:43)

Lesezeit: 3 Minuten

SICH FÜR ETWAS EINSETZEN: 

DIE GRUNDLAGE UNSERER EXISTENZ

Der ewige Kampf für Spiritualität und geistiges Wachstum

„Ja’akow blieb allein zurück; ein Mann kämpfte mit ihm, bis der Morgen anbrach“ (32:24).

die Essenz des Kampfes

Die neuesten technischen Finessen ermöglichen uns oft ein sehr bequemes Leben. Unser luxuriöses Leben vermindert unsere Bereitschaft, uns für etwas ein zu setzen. Wie betrachtet die Thora Herausforderungen und geistige Kraftanstrengungen? Dieses ist eigentlich die Essenz des Kampfes zwischen Ja’akow und dem fremden Mann, der anscheinend der Schutzengel von Esau war.

einen Teil des Hüftbereiches nicht essen

Auf dem Weg nach Israel, sendet Ja’akow Boten mit Geschenken vorab zu seinem Bruder Esau, der wegen des Verkleidungsvorganges um die Beracha (den Segen) von Jitzchak noch immer wütend ist. Unterwegs ringt ein Mann – der Schutzengel von Esau – nachts mit Ja’akow. Am Ende des Kampfes erzählt der Mann, dass Ja’akows Name von nun an Jisraejl sei. Jisraejl bedeutet, dass er mit G“ttlichen Wesen und Menschen gestritten und gesiegt hat. Aber Ja’akow trug hierdurch einen eingequetschten Muskel oder Nerv in seiner Hüfte davon (dieses Organ nennt sich Spannader). Deshalb dürfen wir (von koscheren Tieren natürlich!) einen Teil des Hüftbereiches nicht essen. Zur Erinnerung. Aber an was oder wo ran?

in aller Ruhe einen Neuanfang machen

Eigentlich wollte Ja’akow nur seine Ruhe haben. Er war in seinem 63sten Lebensjahr vor Esau nach Charan geflüchtet und musste dort bei seinem äußerst betrügerischen Schwiegervater Lawan unheimlich schwer arbeiten. Seine Tochter Dina wurde durch Schechem entehrt und gekidnapt. Seine geliebte Frau Rachel war unterwegs während der Geburt deren Sohnes Benjamin gestorben. In Israel wollte Ja’akow in aller Ruhe einen Neuanfang machen. Aber G“tt gönnte ihm diese Ruhe nicht. Ja’akows Sohn Jossejf wurde von seinen Brüdern nach Ägypten verkauft und eine zweiundzwanzig jährige Trauerzeit und Suchwege begannen.

G“tt stellte Ja’akow eine rhetorische Frage: „Reicht Dir die selige Ruhe in der künftigen Welt nicht? Musst Du auch in dieser Welt Ruhe haben?“ (Midrasch).

scheue keine Herausforderung

Der Mensch wurde auf diese Erde gebracht bezw. hier erschaffen, um eine hohe geistige Ebene zu erreichen. Aber wir erhalten dieses nicht geschenkt. Die rhetorische Frage von G“tt an Ja’akow war die Widerspiegelung einer irdischen Realität für Menschen, die wirklich geistig wachsen möchten. Diese wirklichen „Topper“ scheuen keine Herausforderung, um das Unterste aus deren religiösen Kanne heraus zu holen. Auf ihrer Suche nach geistiger Erhebung machen sie sich auf den Weg. Sie sind darauf aus, ihr spirituelles Potential vollständig zu bewahrheiten, heraus zu holen, was möglich ist.

geistiges Wachstum fortsetzen

Ja’akow musste sein (geistiges) Wachstum fortsetzen. Der Verkauf von Jossejf war die nächste Herausforderung. Stillstand ist Rückschritt, sicherlich in geistiger Hinsicht. Ja’akow versuchte schon früh nachts, den Kampf mit dem Engel zu vermeiden. Aber am Ende der Nacht wollte er den Engel nicht mehr loslassen, da er sich bewusstwurde, dass sein andauernder Kampf gegen das Böse – symbolisch durch den Engel verkörpert – die Essenz seines Lebens sei. Manche Menschen sind dazu bestimmt, während ihres gesamten Lebens die Herausforderung für den „Kampf für Spiritualität“ ein zu gehen. Denn da ist die einzige Art, um sich immer mehr G“tt zu nähern.

Schabbat Schalom!

 

 

Author: © Oberrabbiner Evers

Oberrabbiner Raphael Evers

Oberrabbiner Evers wurde im Jahr 1954 in Amsterdam geboren und studierte Finanzrecht und klinische Psychologie in Amsterdam.  Er ist Dayan im Europäischen Beit din und seit Septmber 2016 Oberrabiner der Jüdischen Gemeinde Düsseldort. 

Foto: The Reunion of Jacob and Esau | © 1844 Francesco Hayes