Jüdische Geschichte und Gegenwart in Deutschland Die neue Dauerausstellung im Jüdischen Museum Berlin eröffnet am 23. August 2020

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Am Sonntag, dem 23. August 2020, eröffnet das Jüdische Museum Berlin nach über zweieinhalb­jährigem Umbau eine neue Dauerausstellung im Libeskind-Bau. Auf 3.500 Quadratmetern zeigt sie die Geschichte der Juden in Deutschland vom Mittelalter bis in die Gegenwart mit neuen Schwerpunkten und neuer Szenografie. Die Ausstellung Jüdische Geschichte und Gegenwart in Deutschland wird von einem 20-köpfigen Team des Jüdischen Museums Berlin konzipiert und von der Arbeits­gemeinschaft chezweitz GmbH/Hella Rolfes Architekten BDA gestaltet. Die vorherige Dauerausstellung war seit Eröffnung des Museums im Jahr 2001 zu sehen. Bis zur Schließung im Dezember 2017 hatte sie über elf Millionen Besucher.

 

Neue Perspektiven auf die jüdisch-deutsche Geschichte

„Die Geschichte der Juden hat sich nicht geändert – aber unsere Perspektive darauf. Mit unserer neuen Ausstellung reagieren wir auf veränderte Sehgewohnheiten, Besucher­erwartungen und auf einen neuen Forschungsstand“, sagt Hetty Berg, Direktorin des Jüdischen Museums Berlin.

„Wir setzen andere Schwerpunkte als vor 20 Jahren: So rücken wir die Beziehungen von Juden zur ihrer nichtjüdischen Umwelt in den Fokus und greifen stärker Themen jüdischer Kultur und Religion auf“, sagt Cilly Kugelmann, leitende Kuratorin der Ausstellung.

Zwischen Zugehörigkeit und Ausgrenzung

Die Ausstellung erzählt die Geschichte der Juden in Deutschland vom Mittelalter bis heute. Jüdische Gemeinschaften waren stets eng mit ihrer Umgebung verflochten. Zugehörigkeit und Ausgrenzung thematisiert die Ausstellung in ihren unterschiedlichen historischen Ausprägungen, von nachbar­schaftlichem Zusammenleben bis zur Gewalt.

Ein Schwerpunkt liegt auf der Geschichte nach 1945: Diese reicht vom Umgang mit der Zäsur des Holocaust über den Neubeginn jüdischen Lebens in der Bundesrepublik und der DDR bis hin zur Migrations­gesellschaft im heutigen Deutschland.

Was zeichnet die jüdische Gemeinschaft aus? Welche Perspektiven hat sie auf politische, gesellschaftliche und kulturelle Phänomene ihrer Zeit? Und wie definiert sie sich heute? Die Ausstellung lässt eine Vielzahl jüdischer Stimmen zu Wort kommen, die unterschiedliche und teils wider­sprüchliche Sichtweisen auf die historischen Herausforderungen zeigen.

Einblicke in jüdische Kultur und Religion

Anders als zuvor wird die 1700-jährige Geschichte der Juden in Deutschland nicht streng chronologisch erzählt: Der Rundgang durch die neue Ausstellung wechselt zwischen historischen Epochen und Einblicken in jüdische Themen jenseits geografischer und zeitlicher Grenzen. Was ist im Judentum heilig? Was bedeutet der Schabbat? Welchen Klang hat das Judentum? Acht thematische Inseln laden Besucher ein, sich mit allen Sinnen in jüdische Kultur und Religion zu vertiefen. Sie können liturgischen Gesängen, Purim-Rasseln und Popmusik lauschen oder in Interviews erfahren, ob, wie und warum Juden heute den Geboten folgen. Die raumgreifende Arbeit des Künstlers Anselm Kiefer Schewirat ha-Kelim (Bruch der Gefäße) bietet eine Interpretation der Schöpfungs­mythen der lurianischen Kabbala.

Das Thema Antisemitismus durchzieht alle Epochen und wird zusätzlich in einem eigenen Segment behandelt: Vier Kurzfilme greifen antisemitische Fallbeispiele der Gegenwart auf, die aus unterschiedlichen Perspektiven von Historikern und Sozial­wissenschaftlern eingeordnet werden.

Mehr Gegenwart

Das Rückgrat der Ausstellung bilden fünf historische Kapitel. Sie reichen von den Anfängen jüdischen Lebens in Aschkenas über die Emanzipations­bewegung im 19. Jahrhundert und deren gewaltsames Ende durch den Nationalsozialismus bis zur Vielstimmigkeit jüdischen Lebens heute.

Mehr Gegenwart zeigt die Ausstellung nicht nur in der ausführlichen Darstellung der Zeit nach 1945, sondern auch durch zeitgenössische Deutungen historischer Phänomene. So wird die jüdische Rezeption Richard Wagners durch Kommentare zur heutigen Aufführungs­praxis von dem General­musikdirektor der Berliner Staatsoper, Daniel Barenboim, und dem Intendanten der Komischen Oper Berlin, Barrie Kosky, beleuchtet. Die Themen-Räume Tora oder Gebot und Gebet beschäftigen sich mit Überlieferung und religiöser Praxis heute.

Die israelischen Künstler Victoria Hanna, Hagit Hollander und Gilad Ratman interpretieren mit ihren Arbeiten unterschiedliche Aspekte jüdischer Tradition. Ratmans Video­installation Drummerrsss wurde eigens für die Ausstellung produziert und bildet den Auftakt zum Rundgang. Dieser endet mit der Video­installation Mesubin (Die Versammelten), einem Schlusschor, der die Vielstimmigkeit jüdischer Gegenwart in Deutschland zum Ausdruck bringt.

Schätze der Sammlung

Stärker noch als zuvor stellt das Museum den Reichtum der eigenen Sammlung ins Zentrum. Von den mehr als 1000 ausgestellten Objekten stammen knapp 70 Prozent aus dem eigenen Bestand. Die interaktive Medien­installation Familienalbum präsentiert das Herzstück der Sammlung: das historische Vermächtnis deutscher Juden aus aller Welt, das in den vergangenen 20 Jahren zusammen­getragen wurde. Besucher können sich in über 500 Dokumente und Fotos, Alltags­gegenstände und Kunstwerke aus den Nachlässen von zehn Familien vertiefen und den Lebenswegen mehrerer Generationen nachspüren.

Vielfalt der Zugänge

Neben Original-Objekten ist eine Vielfalt an audiovisuellen Medien, Virtual Reality, Kunst­installationen, interaktiven Spielen und Hands-on-Stationen zu sehen.

Die Architektur Daniel Libeskinds wird neu in Szene gesetzt und lässt charakteristische „Libeskind-Momente“ – die ungewöhnlichen Fensterbilder oder Leerstellen der Voids – eindrücklich hervortreten.

Die JMB-App bietet Audios, Informationen, Spiele und kurze Filme auf Deutsch und Englisch (demnächst auch auf Hebräisch, Italienisch, Französisch und Spanisch) – darunter Interviews mit Daniel Libeskind, Künstlern, Stiftern, Zeitzeugen und Kuratoren des Jüdischen Museums Berlin. Tastmodelle, Tastpläne, unterfahrbare Vitrinen und eine klare Wegeführung sind selbst­verständliche Angebote für einen barrierearmen Besuch.

 

 

 

© Foto : Jüdisches Museum Berlin, Foto: Yves Sucksdorff.