Keine besonderen Vorschriften
Es gibt kaum spezielle Vorschriften oder Gebete für Tu Bischwat. Vergeblich werden wir das neue Jahr der Bäume in Tenach (Bibel) suchen. An diesem Tag arbeiten wir oder gehen zur Schule. Es ist fast ein gewöhnlicher Tag, aber nicht ganz. In Israel, aber auch außerhalb Israels, gehen Kinder „auf die Felder“, um Stecklinge zu pflanzen. Es ist auch ein alter Brauch, vor allem an Tu Bischwat für einen guten und schönen Etrog (Zitrusfrucht) für das kommenden Sukkot zu davenen (beten).
Die Jüdische Sicht auf die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt ist nahezu unbekannt. An Schawuot zB. – dem Wochenfest – wird die Synagoge mit Blumengestecken und Pflanzen geschmückt, weil die Flora an Schawuot unter G`ttes Urteilsspruch steht, aber auch in Erinnerung an den Berg Sinai, der in voller Blüte stand, als uns die Thora gegeben wurde. G`ttes Gegenwart in der trockenen Wüste verwandelte den kargen Berg in eine üppige Park- und Gartenanlage.
von der Sorge weniger zu einem globalen Phänomen
Das Interesse an der Umwelt hat sich schnell von der Sorge einiger weniger zu einem globalen Phänomen entwickelt. Die jüngsten groß angelegten industriellen und wirtschaftlichen Entwicklungen haben zu einer wachsenden internationalen Besorgnis geführt. Bis jetzt wurde in Jüdischen Kreisen Umweltfragen wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Das bedeutet aber nicht, dass unsere Weisen – auch vor mehr als zweitausend Jahren – kein Auge für die vielen Umweltthematiken der menschlichen Existenz hatten. Ganz im Gegenteil.
Es gibt niemanden, der sie wiederherstellen kann
In den ältesten Midraschim – Auslegungen – gibt es eine bemerkenswerte Passage: „Nachdem G`tt Adam erschaffen hatte, führte er ihn im Gan-Eden – das Paradies – herum. Seht meine Werke“, sagte er, „wie schön ist alles! Ich habe alles für Sie geschaffen. Bewahre die Natur und zerstöre nicht Meine Schöpfung. Denn wenn man mit der Umwelt nachlässig umgeht, gibt es niemanden, der sie wiederherstellen kann“ (Kohelet Rabba 7, sinngemäß). Welch` prophetische Weisheit, welch` Weitsicht! Wer in der alten Welt hätte vor Jahrtausenden ahnen können, dass 1990 die Umwelt zum Weltproblem Nummer eins werden würde?
Der Konflikt zwischen dem Menschen und der Umwelt
Der Konflikt zwischen dem Menschen und der Welt um ihn herum wird von unseren Weisen als eine Folge des Fall des Menschen im Paradies betrachtet. Durch den Sündenfall wurde die harmonische Beziehung zwischen Menschen und Natur gestört. Seitdem hat sich der Mensch von seiner Umwelt entfremdet, in der die anderen Lebewesen, die diesen Planeten bevölkern, ihr Brot und ihren Schutz direkt aus der Hand des Schöpfers erhalten. Das Furnier unserer Zivilisation ist weniger ein Ausdruck unserer Genialität als vielmehr die Folge eines grundlegenden Mangels an Harmonie mit der Natur.
Umweltverschmutzung nach Jüdischem Recht
Obwohl der Begriff Umweltverschmutzung in der Mischna (mündliche Lehre) noch nicht als solcher bekannt war, diskutierten Mischna- und Talmudgelehrte bereits ausführlich Probleme wie Lärmbelästigung, Luftverschmutzung und Gestank- und Erschütterungs-Schäden.
Die Industrie im alten Israel konnte sich nicht mit der am Rhein messen, aber auf der Mikroebene wurden alle modernen Probleme bereits im Traktat Bawa Batra diskutiert.
Verursacher der Umwelt-Schäden
Gerbereien, Kalköfen und Tennen waren wegen des Gestanks, des Rauchs und der vom Wind verwehten Spreu Verursacher der Umwelt-Schäden par excellence. Diese umweltverschmutzenden Industrien, so klein sie in unseren modernen Augen auch sein mögen, mussten außerhalb der Städte angesiedelt oder dorthin verlagert werden.
als eine Form von Schaden
In der Halacha – dem Jüdischen Gesetz – wird Umweltverschmutzung als eine Form von Schaden betrachtet, so dass das Verursacherprinzip nicht als eine Erfindung unserer postindustriellen Gesellschaft bezeichnet werden kann. Eine aktuelle Frage ist, ob z.B. bei „Schäden durch Rauch oder Qualm“ pauschale Entschädigungszahlungen zulässig und verbindlich sind. Finanzielle Ausgleichsvereinbarungen zwischen Unternehmen und Geschädigten in deren Umgebung können von der Regierung gelöst werden. Es öffnet sich vielleicht unsere Augen, wenn wir erfahren, dass der italienische Rabbiner Daniel Estrosa aus dem 16. Jahrhundert sich bereits mit diesem Thema beschäftigt hat.
In einer historisch gewordenen Responsum ordnete er die Schließung eines Schlachthofs an, der eine starke Geruchsbelästigung verursachte, obwohl der Schlachthof den Anwohnern das Recht auf Verschmutzungsschäden abgekauft hatte.
Kosten für die Verlagerung
Umweltschädigende Betriebe können zur Verlagerung in eine andere Umgebung gezwungen werden. Doch wer soll die Kosten für die Verlagerung tragen? Im Prinzip sollte der Verursacher zahlen, aber unter bestimmten Umständen sollte auch die Gemeinschaft einen Beitrag leisten. Dieses Problem des Abwälzens der Verantwortung wird oft durch eine bekannte Responsum aus der Türkei illustriert. Der Rabbiner Chaïm Palache wurde im 18. Jahrhundert mit einem unangenehmen Problem konfrontiert.
eine nachbarliche Missionarstation
Ein Haus im Jüdischen Ghetto stand zum Verkauf. Die stets aktive christliche Mission war daran interessiert, denn sie suchte schon lange nach einer geeigneten Basis für ihre missionarischen Aktivitäten und was wäre besser geeignet als eine nachbarliche `Missionarstation‘ mitten im Jüdischen Viertel? Da „Geld keine Rolle spielt“, boten die Missionare dem Jüdischen Besitzer eine sagenhafte Summe an.
Interesse aller
Der Hausbesitzer befand sich in einem enormen Dilemma. Rabbi Palache bot ihm einen Lösungsweg an. Auf der Grundlage des Gebots „alles Böse aus unserer Mitte zu entfernen“ bestimmte er, dass der Besitzer des Hauses die als „trojanisches Pferd“ getarnte Missionierung nicht hereinlassen dürfe. Das Grundstück musste an einen Juden verkauft werden. Der entgangene Gewinn wurde nach Vorgabe von Rabbi Palache dadurch kompensiert, dass die Preisdifferenz von der Gemeinde getragen werden sollte. Die gesamte Jüdische Gemeinde musste sich an der Differenz beteiligen, denn es lag im Interesse aller, dass die Mission kein Pied-à-Terre innerhalb des Jüdischen Stadtstaates bekam. Mutatis mutandis könnte dies auch für Industrien gelten, von denen alle profitieren.
gute Umweltinfrastruktur
Eine gute Umweltinfrastruktur verhindert eine Menge Elend. Schon die Thora beteiligt sich an der Stadtplanung. In Numeri 35:2-5 wird vorgeschrieben, dass um die achtundvierzig levitischen Städte herum ein Raum von eintausend Ellen als noi la’jer – Stadtlandschaft, Stadtbild – offengelassen werden muss, in dem keine Bebauung erlaubt war und um den herum ein weiterer Gürtel von zweitausend Ellen Ackerland geplant werden muss. Nach Maimonides (1135-1204, Ägypten) galt diese Bestimmung für alle Städte im Heiligen Land. Vielleicht wollte die Thora auch die Entstehung gigantischer städtischer Ballungsräume verhindern.
Umweltverschmutzung: Ein moralisches Problem
In modernen Publikationen wird die Umweltverschmutzung viel zu technisch behandelt. Umweltprobleme sind viel mehr auch ein moralisches Dilemma. An der Wurzel jeder Form von Wasser-, Boden- oder Luftverschmutzung steht ein unverantwortliches Individuum, das seinen Abfall auf Kosten der Gesellschaft entsorgt und dem es egal ist, welche Auswirkungen sein Umweltverbrechen hat, solange es ihm nutzt.
Kombination von materieller und geistiger Verschmutzung
Der bekannte Schriftsteller Aryeh Carmell [1] weist auf ein interessantes Zusammenwirken von materieller und geistiger Verschmutzung hin, gerade in unserer Zeit. Es sei eine Ironie, dass die Weltöffentlichkeit völlig mit der Umweltverschmutzung beschäftigt sei, der ständigen Verschmutzung unseres moralischen Bewusstseins aber kaum Aufmerksamkeit geschenkt werde. Tag für Tag werden wir mit Bildern und Texten von Gewalt, Sex und Verbrechen zugeschüttet. Dr. Paul Ehrlich, einer der größten Ökologen unserer Zeit, hat sich dazu bereits geäußert. Nur mit der Thora und den Geboten, die uns bei der Offenbarung am Sinai gegeben wurden, sind wir in der Lage, uns und unsere Kinder vor den Gefahren der geistigen Verschmutzung zu schützen.
Author: © Oberrabbiner Raphael Evers | Raawi Jüdisches Magazin
[1]Carmell, A., und Domb, C., Judaism and the Quality of the Environment, Challenge, Feldheim Publishers, Jerusalem/ New York, zweite, überarbeitete Auflage, 1978, ISBN 0-87306-174-8, S. 500ff.