Nach dem Exodus teilte sich das Jam Suf (Schilfmeer). Die Juden schafften es heil hinüber, aber die ägyptische Armee ertrank in den tosenden Wellen.
Die Chachamim erklären im Talmud (B.T. Pessachim 118), dass die Parnasa (der Lebensunterhalt) des Menschen so schwierig ist wie die Spaltung (Keriat) des Jam Suf.
Und im Traktat Sanhedrin (22) heißt es, dass auch eine Schidduch (Heirat) so schwierig ist wie die Spaltung des Jam Suf. Was verbindet diese beiden Lebensaufgaben, ein Einkommen (parnasa) zu erzielen und einen geeigneten Ehepartner zu finden?
Einige verweisen auf die Situation der Juden am Jam Suf. Sie waren in eine Falle getappt. Auf der einen Seite rückte die ägyptische Armee vor, auf der anderen Seite tobte das Meer. Auf der linken Seite waren wilde Tiere und auf der rechten Seite die Wüste. Die Bnei Jisrael hofften, dass G’tt ihnen im Kampf gegen die Ägypter helfen würde, dass es ihnen gelingen würde, zu fliehen oder dass sie auf andere Weise gerettet würden.
Sie rechneten nicht damit, dass G’tt das Meer für sie teilen würde. Ebenso schmiedet der Mensch viele Pläne für die Zukunft im Hinblick auf die Wahl des Partners und des Berufs. Manchmal gelingt beides mit Hilfe von Oben, aber aus einem völlig unerwarteten Blickwinkel, wie der Keriat Jam Suf. Ein typisches Beispiel dafür ist der Schidduch von Rabbi Shmuel Straschon, benannt nach seinen Initialen Raschasch (19. Jahrhundert).
Es geschah einmal, dass jemand einen Kredit benötigte und den Raschasch um Hilfe bat. Der Raschasch leitete einen Wohltätigkeitsfonds und lieh ihm den geforderten Betrag. Am Ende der Leihfrist gab der Schuldner das Geld zurück, währenddessen der Raschasch in Gedanken versunken lernte. Der Raschasch steckte den Umschlag zwischen die Blätter seines Talmuds. Nach einiger Zeit ging der Raschasch die Konten seines Wohltätigkeitsfonds durch. Aus den Büchern ging hervor, dass der Schuldner sein Darlehen noch nicht zurückgezahlt hatte. Der Raschasch rief ihn zu sich, aber der Schuldner behauptete, er habe das Geld bereits zurückgegeben. Da er dem großen Rabbi zu 100 % vertraute, hatte er keinen schriftlichen Nachweis über die zurückgegebene Geldsumme verlangt. Der Streit endete in einem Din Tora. Der Schuldner wurde vor ein Bait Din geladen und zur Zahlung aufgefordert.
In der Zwischenzeit wurde der Schuldner mit viel Häme überzogen, weil er anscheinend versucht hatte, den Raschasch zu betrügen. Der Schuldner genoss allgemeines Misstrauen und musste bald zurücktreten. Sein Sohn, der ein großer Talmid Chacham – Gelehrter – war, wurde gezwungen, die Stadt zu verlassen, weil es eine Schande war, dass sein Vater ein „Gannef“ genannt wurde.
Nach einer Weile lernte der Raschasch wieder dasselbe talmudische Thema, das er zuvor gelernt hatte, als das Geld vom Schuldner zurückgegeben wurde. Zu seinem Entsetzen sah er den Umschlag mit dem strittigen Geld. Der Raschasch rief den Schuldner sofort zu sich und entschuldigte sich. „Aber“, sagte der Schuldner, „das hilft mir überhaupt nicht. Ich habe bereits ein Kainszeichen auf meiner Stirn. Ich wurde entlassen, mein Sohn musste aus der Stadt fliehen“. Der Raschasch versank in tiefe Gedanken: Wie konnte er den Schaden und die Schande, die er ihm – natürlich indirekt und unabsichtlich – zugefügt hatte, wieder gutmachen?
Schließlich beugte er sich hinunter und fragte den Schuldner: „Wäre Ihr Sohn bereit, meine Tochter zu heiraten? Der Schuldner war über diese Frage verblüfft. Nach ein paar Sekunden riss er sich zusammen und sagte: „Ich nehme an, dass er das Angebot gerne annimmt“. Schließlich wurde die Chuppa gefeiert und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende.
Normalerweise wäre ein so einfacher Mann niemals in die Familie des Raschasch aufgenommen worden. Da aber im Himmel festgelegt war, dass die Tochter des Tsadiks (Gerechten) den Sohn des Schuldners heiraten sollte, geschah es so. Genau wie im Fall des Keriat Jam Suf kam die Lösung aus einer völlig unerwarteten Ecke.
Autor: © Oberrabbiner Evers
Foto: Pharaoh’s Army Engulfed by the Red Sea | © 1900 painting by Frederick Arthur Bridgman