EU-Beauftragter: Jährliche Antisemitismusliste des Simon-Wiesenthal-Zentrums geht zu weit

Simon Wiesenthal Zentrum
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Das Simon-Wiesenthal-Zentrum, benannt nach dem berühmten, 2005 verstorbenen Nazi-Jäger, definiert sich selbst als „eine jüdische, weltweit tätige Menschenrechtsorganisation, die den Holocaust und den Hass in einem historischen und aktuellen Kontext erforscht“.

Der stellvertretende Dekan des Zentrums, Rabbiner Abraham Cooper, hat jahrzehntelang dazu beigetragen, Antisemitismus-Kontroversen zu entschärfen, in die Prominente verwickelt waren, wie etwa die jüngste Kontroverse um Nick Cannon im Jahr 2020, bei der Cooper persönlich mehrere Dialogsitzungen mit Cannon abhielt. Andere Vertreter des Wiesenthal-Zentrums werden regelmäßig in Mainstream-Artikeln zitiert.

Die jüngste Veröffentlichung der jährlichen „Global Anti-Semitism Top Ten“-Liste des Zentrums hat jedoch heftige Kritik von Spitzenvertretern in Europa hervorgerufen, darunter der oberste Antisemitismusbeauftragte der Europäischen Union, der der Meinung ist, dass die Gruppe Wiesenthals Erbe beschmutzt und dem weltweiten Kampf gegen Antisemitismus schadet.

Seit 2010 veröffentlicht das Zentrum eine Liste mit den seiner Meinung nach antisemitischsten Organisationen der Welt. Die Listen der vergangenen Jahre haben auch Kritik hervorgerufen, darunter die Erwähnung des ehemaligen Berliner Bürgermeisters Michael Müller im Jahr 2017, weil er sich nicht entschiedener gegen die Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionsbewegung ausgesprochen hat. Führende Vertreter des deutschen Judentums nannten diesen Eintrag „grotesk“.

Die Liste des Zentrums für das Jahr 2021 erwies sich als noch widersprüchlicher. Nach dem Staat Iran, der offen zur gewaltsamen Zerstörung Israels aufruft, und der Hamas, der palästinensischen Gruppe, die den Gazastreifen beherrscht und von den Vereinigten Staaten als Terrororganisation eingestuft wird, steht an dritter Stelle der Liste 2021 die BBC, die seit ihrem umstrittenen Bericht über einen antisemitischen Anschlag in London unter intensiver Beobachtung steht. Auf Platz 5 steht die Jewish Voice for Peace, eine jüdische antizionistische Aktivistengruppe.

Deutschland auf Platz 7 der Antisemitismus Liste des Simon-Wiesenthal-Zentrums

Und auf Platz 7 steht ganz Deutschland, dem es laut Wiesenthal Center „nicht gelungen ist, antisemitische Angriffe von rechts, von Islamisten und die Dämonisierung Israels von links einzudämmen“.

Nach Angaben der Bundesregierung gab es 2019 in Deutschland 2.032 dokumentierte antisemitische Vorfälle – die höchste Zahl seit 2001 und ein Anstieg von 13 % gegenüber 2018.

Der Eintrag über Deutschland hob Michael Blume, den Beauftragten gegen Antisemitismus des Landes Baden-Württemberg, hervor, weil er 2019 einen Facebook-Post eines „Freundes“ „geliked“ hatte, in dem es hieß: „Zionisten, Nazis und Radikale sollten sich schnell von meiner Freundesliste verabschieden.“ Der Bericht des Wiesenthal Centers besagt, dass Deutschland es Blume erlaubt, „diese antisemitischen und israelfeindlichen Aktivitäten in den sozialen Medien zu betreiben.“

Blume sagte der Jewish Telegraphic Agency, dass er sich nicht daran erinnere, einen solchen Beitrag „geliked“ zu haben, und dass er dies möglicherweise bei einem Text getan habe, der später bearbeitet wurde.

„Ich glaube, dass der Zionismus völlig legitim ist und dass Israel das Recht hat, für alle Zeiten sicher zu existieren. Für mich ist Antizionismus gleichzusetzen mit Antisemitismus, schlicht und einfach. Ich bin wiederholt als Freund und Verbündeter nach Israel gereist und habe ausführlich über dieses Thema gesprochen und geschrieben“, so Blume gegenüber JTA.

Katharina von Schnurbein, die Koordinatorin der Europäischen Union für die Bekämpfung von Antisemitismus, schrieb am 29. Dezember 2021 auf Twitter, dass die Aufnahme von Blume in das Zentrum „das unschätzbare Vermächtnis von Simon Wiesenthal diskreditiert“, einem Holocaust-Überlebenden, der sein Leben der Verfolgung von Nazi-Kriegsverbrechern gewidmet hat und Hinweise lieferte, die zur Ergreifung der SS-Offiziere Adolf Eichmann und Franz Stangl führten.

Das Wiesenthal Center, so twitterte von Schnurbein, schade mit seiner Liste „dem Kampf gegen“ Antisemitismus.

Seit ihrem Amtsantritt im Jahr 2015 hat sich von Schnurbein auf den Aufbau breiter Allianzen für Initiativen konzentriert, die ihr Büro weitgehend hinter den Kulissen gefördert hat. Sie hat nur selten öffentlich Kritik an gemeinnützigen Organisationen geübt und ist nicht dafür bekannt, sich mit Organisationen anzulegen, deren Leitbilder sich mit denen ihres Amtes überschneiden.

Sie war nicht allein. Der Dachverband der jüdischen Gemeinden in Baden-Württemberg, die Israelitischen Kultusgemeinden, unterstützte Blume und verurteilte die Wiesenthal-Liste in einer Erklärung scharf.

„Die jüdischen Gemeinden im Land verurteilen einhellig den Versuch, den Antisemitismusbeauftragten des Landes Baden-Württemberg zu verunglimpfen, indem er in die Liste der ‚Top 10 Worst Antisemitic Events‘ des Simon-Wiesenthal-Zentrums für das Jahr 2021 aufgenommen wird“, schreibt die IRG-Gruppe in einer Erklärung. „Es ist abscheulich, diesen Brückenbauer auf eine Liste von Feinden Israels zu setzen.“

Cooper verteidigte die Liste mit den Worten, das Wiesenthal-Zentrum leide „nicht an verschwommener Sicht“.

Da fast die Hälfte der jüdischen Weltbevölkerung in Israel lebt, „kann man ‚Antisemitismus‘ nicht bekämpfen, ohne sich all jenen entgegenzustellen, die Zionisten angreifen und den Zionismus dämonisieren“, schrieb Cooper in einer E-Mail an JTA. „Diese Tatsache ist in der IHRA-Definition von Antisemitismus verankert. Im Jahr 2021 und darüber hinaus müssen Menschen, die Verantwortung für die Überwachung und Bekämpfung von Antisemitismus tragen, deutlich machen, dass dies auch die Dämonisierung von Zionisten und die Dämonisierung des Zionismus einschließt.“

Die Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) für Antisemitismus enthält Beispiele für einige Formen von israelfeindlichen Äußerungen. Dutzende von Ländern haben die Definition übernommen, trotz der Proteste palästinensischer Aktivisten und anderer, die sagen, dass sie die freie Meinungsäußerung über den jüdischen Staat einschränkt.

 

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