Wa’era: Überlegungen zum Eigentumsrecht von Körperteilen

Oberrabbiner Raphael Evers
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Überlegungen zum Eigentumsrecht von Körperteilen

Wir haben gerade mit dem zweiten Buch der Tora, Schemot, begonnen. Hier beginnt auch die „Rechtsgeschichte“ des Judentums. Die Tora hat zu vielen, auch sehr umstrittenen Themen eine ganz eigene Sichtweise. Die Tora enthält viele Vorschriften, die auch heute noch von großer Bedeutung sind. Heute geht es um das Eigentum an Teilen des Körpers. Neben der Unantastbarkeit, Unverletzlichkeit und Unversehrtheit des Körpers stellt sich auch die rechtliche Frage nach dem Eigentum an allen Arten von Teilen, Geweben, Organen und anderen Teilen unseres Körpers, die uns zum Beispiel bei Operationen oder einer Entbindung entnommen werden können und die in der Industrie verwendet werden.

Und hier stellt sich die Frage, inwieweit unsere Körperteile als unser Eigentum anzusehen sind? Diese Frage beschäftigt seit jeher die Gemüter in der Medizin, Industrie und Forschung. Bis jetzt fand man noch keine zufriedenstellende Antwort.

 

Die Verwendung von menschlichem Gewebe in der Biotechnologie

Auch in Westeuropa ist eine Diskussion entfacht über die Eigentumsrechte von Körpermaterialien. Angewandte Wissenschaften, wie zum Beispiel bei der Biotechnologie, verwenden menschliches Gewebe. Die Forschungsunternehmen verdienen kräftig am menschlichen Material. Sie melden Patente an für neue Erfindungen, bei denen Körpermaterialien benutzt werden.

 

Gewinnung von Zellen und Gewebe

Die Moralwissenschaftlerin Donna Dickenson aus Oxford ist der Meinung, dass sich die Anzahl und Art der Rechte nach dem Beschaffungsaufwand des Körpermaterials richten sollte, also abhängig davon, wie viel ‚Arbeit‘ oder Mühe die Gewinnung des Materials kostete. Das Recht Eizellen zu verkaufen, findet sie allerdings zuweitgehend, weil die Gefahr bestünde, dass Frauen ausgebeutet werden. Auch hält Dickenson das Modell der Eizellspende für problematisch, weil es als Deckmantel, für die Gewinnung von Eizellen oder anderen Geweben, zu jedem denkbaren Zweck dienen könnte. In Amerika ist die Gewinnung von Zellen und Gewebe schon stark kommerzialisiert. Es ist bekannt, dass bis zu $50.000 an Studierende geboten wird, vorzugsweise an lange, blonde, athletische, musikalische Frauen: „Es gibt Hinweise darauf, dass kroatische Gynäkologen Eizellen von Kroatinnen ins Ausland verkauft haben“.

 

Das Recht zur Verweigerung

Donna Dickenson findet, dass Menschen das Recht haben sollten, anderen den Gebrauch ihrer Körpermaterialien zu verweigern. Im westeuropäischen Denken herrscht die Auffassung vor, dass Spender, wenn sie ‚etwas‘ von ihrem Körper zur Verfügung stellen, nur den Belang des Empfängers vor Augen haben sollten. Donna Dickenson findet das ungerecht: warum sollten nur Wissenschaftler und Bio-Banken einen Vorteil aus fremdem Körpermaterial ziehen können?

 

Die Eizellspende als mühsame Arbeit

Die Eizellspende ist zudem, so Dickenson, eine schmerzhafte und arbeitsintensive Prozedur, die mit Risiken verbunden ist. „Fast nie wird in den Diskussionen um die Ethik in der Stammzellforschung die Nutzung von Eizellen als Problemstellung aufgeworfen. Die Debatte betrifft immer nur den Status des Embryos, jedoch nie die Untersuchung an sich. Dies weckt den Eindruck, dass es keine ethischen Einwände gegen dieses Verfahren gäbe, wenn nur auf Techniken zurückgegriffen werden kann, die ohne Embryos auskommen“.

 

riskante Eingriffe

Dickenson ist fest davon überzeugt, dass dies nicht stimmt. „Für eine einzelne Stammzelllinie, die im Februar 2004 in Korea produziert wurde, wurden fast 250 Eizellen benötigt. Laut Aussagen stammten die Eizellen für das Projekt von koreanischen freiwilligen Spenderinnen. Damit von sechzehn Frauen, solche Eizellenmengen zu erhalten möglich sei, müssen sie hormonell stimuliert werden. Das sind riskante Eingriffe. Die Frauen müssen mehrmals in die Klinik. Sie müssen eine Punktion durchmachen, um die Eizellen zu extrahieren. Hier kann man getrost von mühsamer Arbeit sprechen“.

 

Der Handel mit Organen

Ferner plädiert Dickenson für neue Gesetze zur Regulierung des Handels mit Organen. Dass Körpermaterialien zu Handelsware werden, ist ein weiterer, unerwünschter Schritt in Richtung Privatisierung des Gesundheitswesens.

 

Mein Bauch gehört mir?

Es geht hier um wichtige ethische Fragen. Das Judentum betrachtet den Körper tatsächlich nicht als unser persönliches Eigentum, in dem Sinne, dass wir ‚über unseren Bauch‘ selbst alles entscheiden können. Die Halacha stellt eindeutige religiöse Normen und ethische Grenzen auf.

 

Die Anerkennung von Eigentumsrechten im Judentum

Dennoch gilt die Person als Eigentümerin aller ihrer Körperteile. Die ’verkörperte‘ Person hat das uneingeschränkte Recht, über alle ihr Gewebe zu verfügen und darüber zu bestimmen, was mit entnommenen Körperteilen geschehen soll. Diese sind keinesfalls ‚Res nullius‘ oder herrenlose Gegenstände.

Zivilrechtlich gesehen, entscheidet man also sehr wohl selbst über den eigenen Bauch. Es ist ebenso mehr als angemessen, für Schmerz, Unbequemlichkeit, Arbeitsausfall und Reisekosten eine Entschädigung zu zahlen. Selbstverständlich muss vor allen Organentnahmen die Einwilligung des Spenders vorliegen.

Jedoch: Körperteile als Handelsware zu betrachten, würde einen unerwünschten Verstoß gegen die Menschenwürde bedeuten. Es ist immer zu beachten, dass die Menschenwürde im Judentum großgeschrieben wird.

 

Autor: © Oberrabbiner Raphael Evers

Foto: © Jan Feldman