Wajischlach

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DINA UND SCHECHEM, DIE SCHWEIGENDE MEHRHEIT

Ja’akov hatte seine Zusage, ein Zehntel seines Vermögens an G“tt ab zu führen, noch nicht eingelöst. Wenn man noch Zehntel schuldet, werden die Himmlischen Bücher geöffnet.

G“tt war über die Tatsache unzufrieden, dass Ja’akov seine Tochter Dina seinem beschnittenen Bruder Esau verweigert hatte. Dina hätte Esau auf den richtigen Weg zurückbringen können. Dina wurde vom unbeschnittenen Schechem genommen, dem Prinzen der Stadt Schechem.

Einige Mädchen aus Schechem machten Musik. Ja’akov war mit „Lernen“ zugange und bemerkte nicht, dass Dina weg ging, um sich das Spektakel anzusehen. Als Schechem, der Sohn von Chamor, Dina erblickte, vergewaltigte er sie und wollte sie heiraten.

 

Chamors Vorschlag

Vater Chamor kam mit einem Vorschlag zu Ja’akov: „Schechem verlangt nach Ihrer Tochter. Wenn Ihr Teil unserer Familie werdet, werden wir unsere Töchter Euch geben und Ihr werdet Eure Töchter uns geben. Ihr könnt in unserem Land wohnen (bleiben). Welchen Preis Sie auch verlangen, ich werde diesen Ihnen geben“.

Niemand griff ein

Besonders Schimon und Levi, die Brüder von Dina, waren außerordentlich wütend. Auf Kidnapping und Vergewaltigung gilt laut den Noachidischen – und damals gültigen Gesetzen, die Todesstrafe. Die Stadt schwieg. Niemand griff ein. Hier befindet sich eine große Gefahr. Die Offiziellen der Stadt Schechem hätte einschreiten müssen. Das erfolgte nicht und deshalb meinten Schimon und Levi, selber die Initiative ergreifen zu können.

List

Sie dachten sich eine List aus. Schimon und Levi sagten: „Wir können nicht auf den Vorschlag eingehen, einem Mann unsere Schwester zu geben, der noch eine Vorhaut hat…Aber wir würden Ihnen dienlich sein, wenn Sie alles, was männlich ist, beschneiden lasset“.

 

Nachlässigkeit der schweigenden Mehrheit

Die Einwohner von Schechem beschnitten sich selbst und hofften damit, in die Gunst von Ja’akovs Familie zu gelangen. Aber sie hätten den Prinz wegen Kidnapping und Vergewaltigung vor den Richter bringen müssen. Sie übertraten hiermit die Noachidischen Gebote gegen Kidnapping und Vergewaltigung und zur Einsetzung eines Rechtsystems. Nachlässigkeit der schweigenden Mehrheit führt zu vielen Problemen.

 

Aggression

Mehr als sechshundert Erwachsene und zweihundert Kinder wurden beschnitten. Es gab Dissidenten (also Gegner), die mit der Beschneidung nicht einverstanden waren. Letztendlich wurden alle Einwohner unzufrieden, sie bereuten also ihren Entschluss der Beschneidung, und versprachen den Dissidenten, dass sie Ja’akov- sobald sie wieder zu Kräften gekommen wären – angreifen würden. Dina informierte Ja’akov mittels eines Boten von diesen Plänen.

 

enorme Armee

Schimon und Levi überfielen die Schechemiten am dritten Tag nach deren Beschneidung. Jeder war schwach. Fast alle Männer wurden getötet. Zwanzig Männer konnten flüchten und alarmierten die anderen Kan’anitischen Könige, die eine enorme Armee zusammenstellten, um Ja’akov und seinen Kindern eine gehörige Lektion zu erteilen, so der Midrasch.

ernsthafte Vorwürfe

Ja’akov machte Schimon und Levi ernsthafte Vorwürfe. Er begriff, dass die Kanaaniter, die wohl wussten, dass das Land Israel an die von Avraham stammenden Nachkommen zugesagt war, sich nun plötzlich bewusstwurden, dass ein Anfang mit der Eroberung des Landes gemacht wurde.

Ja’akov befürchtete, dass die Kanaaniter alles unternehmen würden, ihn und seine Familie aus zu löschen. Schimon und Levi blieben bei ihrer Ansicht, dass sie das Recht hatten, die Ehre der Familie zu verteidigen, indem sie Ungerechtigkeiten rächen.

Letztendlich zogen die Feinde ab

Jehuda verteidigte seine Brüder Schimon und Levi und sprach jedem guten Mut zu. Sie sandten Boten zu ihrem Großvater Jitzchak mit der Botschaft, er möchte für sie dawwenen (beten). Die gesamte Familie, alle Diener und Mitarbeiter bereiteten sich auf einen Krieg vor. Letztendlich zogen die Feinde ab. Ja’akov war in letzter Minute gerettet (Midrasch).

Ja’akov machte seinen Söhnen ernsthafte Vorwürfe und hatte sie bis zu seinem Lebensende nicht gesegnet: „Schimon und Levi …ihre Schwerter nutzten sie zu Gewalt, in ihre Überlegungen komme nicht meine Seele“ (Gen. 49:5-6).

die schweigende Mehrheit, auch heutzutage ein aktuelles Problem

Die Brüder Schimon und Levi rächten sich an der schweigenden Mehrheit, die das alles zugelassen hatte. Und die schweigende Mehrheit, die ist auch heutzutage noch ein großes und aktuelles Problem…

 

 

ALLES ODER VIEL?

Esau war noch immer auf seinen (Zwillings-)Bruder Ja’akov wütend, da er der Meinung war, dass Ja’akov die ihm, Esau, zustehende Beracha (Segen) auf eine linke Tour von deren gemeinsamen Vater Jitzchak erschlichen hatte. Aber jeder hatte vergessen, dass Esau vor 50 Jahre, die Beracha, zusammen mit seinem Erstgeborenenrecht, an Ja’akov verkauft hatte.

Bei einem Versuch, Esau günstig zu stimmen, sendet Ja’akov ihm allerhand Geschenke: Vierhundertundvierzig Schafe und Ziegen, dreißig säugende Kamele und ihre Jungen, vierzig Kühe und zehn Stiere, zwanzig Eselinnen und zehn Esel (Gen. 32:16).

Aber Esau weigert sich, diese an zu nehmen, mit den Worten: „Ich habe viel“ (Gen. 33:9). Ja’akov antwortet: „Nimm bitte meine Gabe an. G“tt war mir günstig gesonnen und ich habe alles“.

„Viel“ wird durch unsere Weisen erläutert wie: ich habe viel, aber ich möchte andauernd immer mehr. „Alles“ bedeutet: ich bin mit allem, das ich habe, zufrieden. Ich benötige nichts mehr.

 

Zwei Lebensarten oder Lebensphilosophien

Diese Wörter verweisen auf zwei unterschiedliche Lebensphilosophien. Ja’akovs Lebensweise unterschied sich von der von Esau um Himmelsbreite. Ja’akov lebte mehr in einer geistigen Welt und war mit allem, was er hatte, zufrieden. Ja’akov hatte das Gefühl, dass seine materiellen Besitztümer mehr als genügend oder ausreichend waren, um seine spirituelle Vorstellungen erfüllen zu können. Er hatte überhaupt keinen Bedarf an mehr.

Ein bekanntes Sprichwort unserer Weisen lautet: „Die meisten Menschen möchten zweihundert haben, wenn sie nur hundert haben; er oder sie, die zweihundert haben, möchten vierhundert. Voraussichtlich verlässt niemand diese Welt mit nur die Hälfte von dem, was er jemals haben wollte“ (Kohelet Rabba 1:34).

 

Teufelskreis unseres Bestrebens

Habsucht führt dahin, dass wir uns viel zu viel auf das konzentrieren, was wir nicht haben. Dadurch arbeiten wir immer mehr, um Dinge zu kaufen, die wir nicht wirklich benötigen, mit Geld, das wir eigentlich nicht entbehren können. Dieser Teufelskreis unseres Bestrebens nach immer mehr lenkt uns von unserer wahren, unserer wirklichen Berufung ab.

Unser Suchen nach Menge stellt unseren Bedarf nach Qualität in den Schatten. Hierdurch verlieren wir all zu oft aus unserem Blickfeld, dass unsere wahre Berufung unsere geistige Entfaltung ist.

 

mit unserem irdischen Anteil zufrieden

Mit seiner Aussage „ich habe alles“ möchte Ja’akov uns zeigen, wie wir unser Leben mit Ewigkeit und anhaltenden Zielen füllen können. Indem wir mit unserem irdischen Anteil zufrieden sind, können wir geistig wachsen.

Die spirituelle Steigerung kam im Kampf mit dem Engel zum Ausdruck, der Mitten in der Episode der Geschenke von Ja’akov an Esau statt fand: „Ein Mann kämpfte mit ihm (Ja’akov) bis zum Morgengrauen. Er erkannte, dass er  nicht gegen ihn an konnte (also nicht gewinnen) und traf ihn an seinem Hüftgelenk“ (32:25-26).

 

Die Kampf zeigt unseren spirituellen Auftrag

Dieser Kampf kann auf unterschiedlichen Weisen erklärt werden. Alle Gelehrten sind sich darüber einig, dass dieser Engel ein „böser“ Engel war, der den Menschen auf die Probe stellt. Ich sehe hier im Kampf, den Ja’akov führte, den Kampf mit dem Bestreben nach immer mehr materiellem Besitz. Ja’akov – als Beispiel für alle seine Nachkommen, aber auch für seine Zeitgenossen – konnte es gegen den Engel aufnehmen.

Dieses zeigt nicht so sehr unsere physische Kraft, sondern an vorderer Stelle unseren spirituellen Auftrag. Wir stehen, was die Kraft zum Wachstum betrifft, höher als alle „böse“ Engel.

Wir haben die dankbare Aufgabe, uns durchgehend mit unserer geistige, spirituelle und religiöse Quelle in Verbindung setzen zu können.

Das sind unsere Aufgabe und unser „Lifestyle“, das ist unser bevorzugter Weg.

 

Re’uwen verpflanzt Ja’akovs Bett ins Zelt von Bilha

Daniel Kahneman hat ein neues Buch im vergangenen Jahr herausgebracht. Es heißt Thinking, fast and slow. Dieser siebenundsiebzigjährige Israelische Psychologe hat auf der Grundlage einer sehr langwierigen Untersuchung angedeutet, dass wie äußerst bizarre Denker sind und sicherlich nicht rational entscheiden.

 

Es gibt viele intellektuelle Fallstricke.

  1. Um einen Anfang zu machen, wir sind meistens faule Denker. Wir haben Probleme mit neuen, revolutionären Denkmustern. Wir bleiben meistens beim uns Geläufigen. Wir sehen nur die Information, die zu unseren Denkschemen passt (confirmation bias).
  2. Wir verlassen uns darauf, dass wenn wir auf dem Gebiet A gut sind, wir das auch auf dem Gebiet B sind.
  3. Weiterhin wird unser Urteil oft von neuerlichen Dingen beeinflusst, die wir gesehen haben oder denen wir begegnet sind.
  4. Wir leiden oft an chronischer Selbstüberschätzung bezüglich unserer Kenntnisse und unseres Könnens. Und das führt oft zu vollkommen verkehrten Entscheidungen, basierend auf nicht fundiertem Optimismus. Selbstüberschätzung von Menschen in maßgeblichen Macht-Positionen hat zu meist aussichtslosen Kriegen geführt, zu immer wieder Budgetüberschreitenden Projekten und Fusionen, die letztendlich auf nichts hinaus liefen.
  5. Der größte gemeinsame Nenner all dieses intellektuellen Elends ist eine durchgehende schamlose Selbstüberschätzung des in seiner Denkart faulen Menschen. Wir projektieren unsere Ideen und Wünsche auf den Zustand des Anderen und wenden für ihn oder für sie unsere aktuellen, gültigen Maßstäbe an.

 

 

Re’uwen verpflanzt Ja’akovs Bett ins Zelt von Bilha

Ich musste daran denken, als ich in der Thora die Geschichte unseres Erzvaters Ja’akov (Jakob) und seines ältesten Sohnes Re’uwen (Ruben) las. Kurz nach dem Tod von Ja’akovs geliebter Frau Rachel, verpflanzt Ja’akov sein Bett ins Zelt von Bilha, der Nebenfrau von Rachel.

Dieses gelang bei Re’uwen, dem Sohn von Lea, in die verkehrte Kehle, denn er empfand, dass seiner Mutter Lea hierdurch nicht genug Beachtung durch Ja’akov zu Teil wurde. Lea sollte die neue Hauptfrau von Jaakov sein. Was tat Re’uwen?

jeder irrt, der meint, dass Re’uwen mit Bilha geschlafen hatte

„Re’uwen ging hin und legte sich zu Bilha“ (Gen. 35:22). Laut dem Talmud irrt jeder, der meint, dass Re’uwen mit Bilha geschlafen hatte. Dieses scheint die wortwörtliche Übersetzung der Thora vielleicht her zu geben, aber das ist eine verkehrte Auslegung. Es wird ihm nur angerechnet, ALS OB er mit Bilha geschlafen hätte. Aber das Einzige, was Re’uwen tat, war, das Bett von Ja’akov zu verschieben. Er beging hiermit einen großen Fehler, das stimmt. Sich in die intimen Angelegenheiten Deiner Eltern ein zu mischen, wird als eine schwerwiegende Übertretung angesehen. Dieses gilt so, wie „bei Bilha liegen“.

Von Inzest war keine Rede

Re’uwen hat in der Tat etwas Verkehrtes gemacht, aber auf eine ganz andere Ebene, als der Leser zu wissen meint. Die Thora ist kein herkömmliches Buch. Sie ist aus der hohen moralischen Ebene geschrieben worden, die G“tt vom Menschen verlangt und erwartet.

Das Urteil ist deshalb oft hart. „Der, der meint, Re’uwen hätte gesündigt, irrt sich“ schreibt der Talmud. Von Inzest war keine Rede. Aber da Re’uwen einen großen Mangel an Achtung vor dem Intimleben seines Vaters Ja’akov und seiner Frau Bilha zeigte, heißt es doch „bei Bilha liegen“. Um Missverständnisse zu vermeiden, wurde dieser Passuk (Vers) früher bei öffentlichen Thora-Vorlesungen nicht übersetzt oder erläutert.

 

Warum nicht buchstäblich übersetzen?

Wieso weißt der Talmud, dass wir den Passuk (Vers) nicht buchstäblich übersetzen müssen?

Da sofort danach alle Söhne Ja’akovs einheitlich benannt werden: „Die Söhne von Ja’akov waren zwölf an der Zahl“ (35:22 Ende). Alle waren Tzadikkim (aufrichtige, heilige Menschen), so dass die Behauptung oder Meinung, dass Re’uwen mit Bilha Inzest begangen haben soll, nicht haltbar sind.

Re’uwen wird immer noch der Bechor von Ja’akov genannt 

In 35:23 wird Re’uwen immer noch der Bechor (der Erstgeborene) von Ja’akov genannt. Das Einzige, was ihm weg genommen wurde, war das Erstgeborenenrecht in Bezug auf die Zahl der Stämme. Dieses ging auf Josejf über, dem Erstgeborenen von Rachel, da aus Josejf zwei Stämme – Menasche und Ephraim – hervor gingen, die jeder einen eigenen Anteil in Eretz Jisrejl erhielten.

Re‘uwen wurde noch immer unter den Kindern als der Erste gezählt

Was die restlichen Rechte betrifft, blieb Re’uwen der Bechor in der Erbfolge, er behielt das Recht des Tempeldienstes (vergleichbar mit den Vorrechten der Kohanim heutzutage) und Re’uwen immer noch der Bechor (der Erstgeborene) von Ja’akov genannt er wurde unter den Kindern als der Erste gezählt.

 

 

MATSEWA – GEDENKSTEINE

Jakob errichtete im Laufe seines Lebens viele Gedenksteine, nicht nur über dem Grab seiner geliebten Frau Rachel. Er errichtete den ersten Gedenkstein auf dem Tempelberg nach seinem Traum von der Leiter, die auf der Erde fußte, deren oberes Ende aber in den Himmel reichte. Nachdem Jakob seinen Kopf auf den Felsen gelegt und seinen berühmten Traum von den auf- und absteigenden Engeln gehabt hatte, heißt es in der Thora: „Und er nahm den Felsen, den er unter seinen Kopf gelegt hatte, und errichtete ihn als Matsewa (Gedenkstein) (Bereschit/Gen 28:18).

 

Warum nehmen wir für Grabsteine und Denkmäler normalerweise Stein?

Biblischer Brauch

Es ist ein alter Brauch geblieben, einen Gedenkstein über dem Grab einer verstorbenen Person aufzustellen. Dass unser dritter Erzvater Jakob einen Gedenkstein auf das Grab seiner Frau Rachel legte, steht in Gen. 35,19ff: „So starb Rachel und wurde begraben am Weg von Ephrat, das ist Beet Lechem. Und Jakob setzte einen Stein auf ihr Grab. Dieser Brauch wird auch in anderen Büchern der Bibel beschrieben.

Ein Gedenkstein wird im Hebräischen „Matsewa“ genannt. Das Wort matsewa bedeutet wörtlich „etwas, das aufgerichtet wird“. Der Stein „erhebt sich“ über dem Grab und zeigt die Stelle an, an der ein bestimmter Verstorbener begraben ist. Die Matsewa ermöglicht es den Angehörigen, das Grab zu erkennen, es zu besuchen und dort für die Lebenden im Gedenken an den Verstorbenen zu beten.

 

Besuch eines Grabes

Beim Besuch eines Grabes ist es üblich, die linke Hand auf den Matsewa (Grabstein) zu legen und folgenden Vers (aus Jesaja 58,11ff) zu sprechen: „Und der E-wige wird dich beständig leiten, wird dich an trockenen Orten tränken und deine Gebeine stark machen; dann wirst du sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Quelle, deren Wasser nicht versiegt, in Frieden ruhend, bis der Tröster, der Friedensbringer, kommt“.

Beim Verlassen des Grabes legt man zu Ehren des Verstorbenen einen kleinen Stein auf den Matsewa, als Zeichen, dass man sein Grab besucht hat. Andere sehen darin ein Symbol der bleibenden Erinnerung. Durch das Hinzufügen eines Steins wird der Gedenkstein als symbolische Geste zur Erinnerung an die dort begrabene Person weiter ausgebaut.

 

Warum aus Stein?

Zurück zur Ausgangsfrage: Warum verwenden wir Stein für Grabsteine und Denkmäler? Um dies besser zu verstehen, sollten wir zunächst einen kurzen philosophischen Exkurs machen. Wir teilen die Natur im Allgemeinen in vier Ebenen ein:

– Die niedrigste ist die tote Materie, für die das Element Stein das offensichtlichste Beispiel ist.

– Dann kommt die Flora, die Pflanzenwelt.

– Noch höher steht die Fauna, die Tierwelt.

– Die Krönung der Schöpfung ist der Mensch.

 

Wenn wir die beiden Extreme vergleichen, scheint der Unterschied zwischen Mensch und Stein unüberbrückbar. Der Mensch hat Intelligenz und Sprache, der Stein ist tot.

Andererseits steht über den Menschen geschrieben (Bereschit/Gen 3,19): „Von Staub bist du genommen, und zum Staub wirst du zurückkehren“. Der Mensch ist vergänglich, aber ein Stein bleibt sehr lange oder ewig. Über Steine geht man ohne große Aufmerksamkeit darüber hinweg, aber dennoch bleiben sie ewig bestehen.

 

Der Mensch kann sich Ewigkeitswert erwerben

Dennoch sind sich Mensch und Stein in vielerlei Hinsicht ähnlich. Wenn Menschen ihr (religiöses) Potenzial ausschöpfen, können sie nachhaltige Wirkungen entfalten, manchmal sogar über Jahrtausende hinweg. Wir lesen immer noch täglich in der Tenach (Bibel) über diese Persönlichkeiten mit Ewigkeitswert. Sie sind in Stein gemeißelt, weil sie allen künftigen Generationen etwas zu sagen haben.

 

Missbrauch von G’ttgegebenen Talenten

Wie alles auf dieser Welt können die Dinge zum Guten und zum Schlechten genutzt werden. Was für einen Stein gilt, gilt auch für jeden Menschen. Wenn er seine G’ttgegebenen Talente missbraucht, tut er nichts Gutes. Aber wenn er oder sie sein oder ihr von G’tt gegebenes Potential zum Guten nutzt, kann der Mensch G’tt nahekommen und für immer interessant bleiben.

 

Nehmen Sie Ihre persönliche Inspiration überallhin mit

Kehren wir für einen Moment zu dem Gedenkstein zurück, den Jakob auf dem Tempelberg errichtete. Nach Rabbi Mosche, dem Sohn von Nachman (Nachmanides, 13. Jahrhundert), hat Jakob diesen Stein nicht auf dem Tempelberg, sondern weiter entfernt in der Stadt Betel oder Luz aufgestellt. Warum nahm Jakob diesen Stein so weit weg mit?

Manche sehen diesen Stein als eine Form der Bestätigung der Inspiration, die man während eines Gesprächs mit G’tt erhält. Symbolisch trug Jakob diese Inspiration von oben, an einen anderen Ort. Wenn wir in einem bestimmten Moment eine Inspiration von oben erhalten, bedeutet das, dass es sich nicht um ein einmaliges Ereignis handelt, sondern dass wir diese himmlischen Inspirationen mit uns tragen, wohin wir auch gehen. Halten Sie diese G’ttliche Energie fest und verankern Sie sie in Ihrer Persönlichkeit, so fest wie ein Fels, nehmen Sie sie überallhin mit und teilen Sie sie mit allen. Etwas zum Nachdenken…

 

BEI LAVAN GEWOHNT, ABER DOCH EIN GUTER JUDE GEBLIEBEN

„Sage zu meinem Herrn Esav: „So spricht Ihr Diener Ja’akov: Bei Lavan habe ich als Fremdling gewohnt (gartie) und dort bin ich bis jetzt geblieben““(Gen. 32:5).

Aus Angst vor Esav (Esau) hatte Ja’akov gesagt, dass er kein wichtiger Fürst geworden sei, sondern nur ein Fremdling geblieben sei: „Es lohnt sich nicht die Mühe, mich wegen Jitzchaks Beracha „sei ein Herrscher über Deinen Bruder“ zu hassen“. Diese Beracha ist bei mir nicht zur Geltung gekommen“.

 

Beracha bei ihm nicht zur Geltung gekommen

Der Toratext teilt die Mitteilung Ja’akovs auf: „gartie“ (ich habe zeitweise gewohnt) und „wa’echar“ (ich bin lange Zeit weg geblieben). Ja’akov wollte Esav verdeutlichen, dass die Berachot seines Vaters (also deren beider Vater, denn Ja’akov und Esav waren Zwillinge) bei ihm nicht zur Geltung gekommen waren.

 

alle sechshundertunddreizehn Mitzwot eingehalten

Aber deshalb würde Esav gerade in Zorn geraten können: „Wenn es Dir, Ja’akov, finanziell so schlecht geht, bedeutet das, dass Du die Mitzwot (Gebote) nicht eingehalten hast. Jitzchak, unser Vater, hatte mir gesagt, dass wenn Du gegen G“tt rebellierst und den Geboten nicht nach kommst, ich das Recht hätte, Dich an zu fallen“. Darauf antwortete Ja’akov, dass er, trotz allem, die sechshundertunddreizehn Mitzwot eingehalten hätte, aber deswegen noch kein wichtiger Mensch geworden sei.

 

Chutzpe (Frechheit)?

Aber ist das Chutzpe gegenüber seinem Vater Jitzchak, dass Ja’akov sagte, dass die Berachot von Jitzchak bei ihm nicht zur Geltung gekommen seien? Deshalb kamen die Worte: „Ich habe die sechshundertunddreizehn Mitzwot beachtet“. Die Berachot, die mein Vater mir auf dem Weg mit gegeben hatte, waren nicht auf die weltliche Größe und auf irdischem Reichtum gemünzt.

Die Segnungen waren auf ein Thora-Leben ausgerichtet. Da brauchst Du, Esav, nicht darauf eifersüchtig zu sein, denn Du hast Dich nie etwa um Torah-Kenntnisse gekümmert. So Ja’akov in seiner Diskussion mit Esav.

 

Timna, die Nebenfrau von Elifas

„Und Timna war eine Nebenfrau von Elifas, dem Sohn von Esau, und sie gebar dem Elifas den Amalek“ (Gen. 36:12). Wer war diese Timna, die Mutter von Amalek? Timna war eine Adelige: „und die Schwester von Lotan war Timna (36:22). Lotan war ein Fürst. Sie wollte jedoch lieber als Nebenfrau in der Familie von Awraham einheiraten, als eine würdige Position innerhalb ihres eigenen Stammesverbandes ein zu nehmen. Sie wollte jüdisch werden, wurde aber weg geschickt.

Um überhaupt in die Familie von Awraham einheiraten zu können, war sie letztendlich selbst dazu bereit, nur die Nebenfrau von Elifas, dem Sohn von Esav, zu werden.

In I Kroniken 1:36 wird Timna jedoch innerhalb der Kinder von Elifas genannt und nicht als seine Nebenfrau, wie hier!

 

Widersprüchlichkeit im Tenach?

Ist da die Rede von Widersprüchlichkeit im Tenach? Nein. Das bedeutet, dass Timna sowohl die Tochter wie die Nebenfrau von Elifas war. Elifas verführte die Frau von Se’ir. Das Ergebnis war Timna. Als sie heiratsfähig (früher wurden ja bereits 12-Jährige verheiratet) geworden war, heiratete Elifas sie als Nebenfrau. Dieses ist die Bedeutung des Satzes „und die Schwester von Lotan war Timna“. Timna wurde bei den Kindern von Se’ir nicht aufgezählt. Logisch. Sie war ein Kind von Elifas und nicht von Se’ir. Von Lotan war sie also nur eine Halbschwester.

 

Mamseret

Aber weshalb musste sich Timna bei ihrer Ehe mit Elifas mit einer so minderwertigen Rangordnung begnügen? Sie war immerhin von fürstlicher Abstammung! Aber da sie eine Mamseret war, ein Bastard aus einer außerehelichen Beziehung, konnte sie nicht mehr verlangen.

 

Weshalb muss die Thora dieses erwähnen? Es gibt viel mehr Bastarde! Timna war in dieser Hinsicht etwas besonderes, da sie die Mutter von Amalek, dem Erzfeind des Jüdischen Volkes, wurde.

Der Midrasch wirft es unseren Erzvätern auf schlimmste Art vor, dass sie dem Übertritt von Timna zum Jüdischen Volk verweigert haben.

Deshalb wandte sich Timna an die Dynastie von Esau, die letztendlich dem Jüdischen Volk auch feindselig gegenüber stand. Hierdurch konnte Amalek geboren werden, der der Vorfahre des Volkes sein würde, der die Juden sofort nach dem Exodus aus Ägypten überfiel. Auch Hamann, der zu Zeiten von Esther und Mordechai drohte, ganz Am Jiraejl zu vernichten, entsprang aus diesem Amalek (unsere Purim-Geschichte).

Interessant in diesem Kontext ist eine Vision von Nachmanides (dreizehntes Jahrhundert). Er behauptet, dass die Probleme, die wir ab und zu mit den Nachkommen von Jischmae’jl haben, auf das Wegschicken dieses Stammvaters durch seinen Vater Awraham und Sara zurück zu führen sind. Sara sagte, dass Awraham den Jischmae’jl fortschicken sollte, da er Jitzchak bedrohen würde. Awraham weigerte sich. G“tt intervenierte jedoch und ordnete an, dass Awraham auf Sara hören solle (Gen. 21:12): „In allem, was Sara zu Dir sagen wird, höre auf ihre Stimme!“.

 

EINSAMKEIT

Weltweit lesen wir diese Woche über unseren dritten Erzvater Ja’akow (Jakob). Ja’akow ging ganz allein nach Charan. Er war 63 Jahre alt, um dort für noch einmal 14 Jahre die G’ttliche Lehre bei Schem und Ever zu studieren. Nach sieben Jahren Arbeit stand Ja’akow als 84jähriger unter der Chuppa. Danach musste er alles Geschehene mit seinem Bruder Esau klären. Ja’akow hat in seinem Leben viel gelitten.

Er musste alles allein machen. Wie ist Jaakow mit seiner Einsamkeit umgegangen? Es gibt zwei Arten von Einsamkeit: soziale Einsamkeit und emotionale Einsamkeit. Im ersten Fall haben Sie weniger Kontakte, als Sie wünschen. Emotionale Einsamkeit kann man empfinden, wenn man von vielen Menschen umgeben ist, aber zu niemandem eine enge Beziehung hat. Einsamkeit ist ein subjektives Gefühl, keine objektive Tatsache.

 

mit Gtt verbunden sein

Das Wort religiös bedeutet mit G’tt verbunden zu sein. Für einen Zaddik (heiligen Mann) wie Ja’akow gab es keine wirkliche Einsamkeit, denn er blieb seinem G’tt immer nahe. Die Religion erfordert Taten. Die Religion verlangt Handeln. Im Jüdischen Leben gibt es nie einen langweiligen Moment“. Wir müssen ständig an uns arbeiten.

In den Sprüchen der Väter (I,14) findet sich ein bekanntes Sprichwort, das im Zusammenhang mit der viel empfundenen Einsamkeit eine ganz neue Dimension erhält. Hillel sagte: „Wenn ich nicht für mich selbst da bin, wer ist dann für mich da? Wenn ich nur für mich selbst da bin, was bin ich dann? Und wenn nicht jetzt, wann dann?“.

 

Motivation von aussen und Selbstmotivation

Was bedeutet dieser Spruch von Hillel? Nach Maimonides (12. Jahrhundert) sagt Hillel: „Wenn ich nicht nach Höherem strebe, wer wird mich dann inspirieren? Motivation von aussen ist nicht so effektiv wie Selbstmotivation“.

Rabbenu Jona (14. Jahrhundert) erklärt es wie folgt: „Wenn ich selbst nicht auf die Werke der Liebe, der Nächstenliebe und der guten Taten achte und nicht nach dem Guten strebe, wer wird mich darauf hinweisen? Gelegentliche Ermahnungen von anderen helfen zwar, haben aber keine dauerhafte Wirkung. Wenn man selbst motiviert ist, bleibt man zunehmend wachsam“.

 

Materieller und spiritueller Erfolg

Was den materiellen Erfolg betrifft, so steht im Talmud: „Schon vor der Zeugung eines Kindes steht fest, ob es reich oder arm sein wird“ (Talmud Nidda 15a). Deshalb fährt die Mischna fort: „Wenn ich mich nur um mich selbst kümmere, d.h. nur für meine körperlichen Bedürfnisse sorge, was habe ich dann erreicht?

Was das geistige Wohlergehen betrifft, so steht im Talmud: „Alles ist vorherbestimmt, außer der Ehrfurcht vor G’tt. Wenn man also nicht für geistiges Wachstum kämpft, wird man es nicht erreichen. Rabbi Mosche Chaim Luzzatto (17. Jh.) weist darauf hin, dass G’tt uns im Kampf gegen den Jetzer Hara (die böse Neigung) hilft, wenn wir uns um unser eigenes geistiges Niveau kümmern.

 

Individuelles Ziel

Jeder Mensch wurde geschaffen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, das ausschließlich für ihn bestimmt ist. Jeder Augenblick des Lebens dient dazu, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, das nur für diese Person und für diesen Augenblick gilt. Dieses Ziel kann nicht von einem anderen oder zu einer anderen Zeit erreicht werden, sagt der Gerer Rebbe, der ChidusheiHaRim (19. Jahrhundert): „Wenn ich das ausschließliche Ziel, für das ich geschaffen wurde, nicht erfülle, kann es kein anderer tun. Wenn ich die spezifische Aufgabe, die für diesen Moment vorgesehen ist, nicht erfülle, kann sie niemals erfüllt werden“.

 

Nutze den Augenblick

… Und wenn nicht jetzt, wann dann? Rabbenu Jona erklärt: „Wenn ich mein Leben jetzt nicht verbessere, wann dann? Nach meinem Tod wird es zu spät sein. Wenn ich mir gute Eigenschaften nicht schon in jungen Jahren aneigne, wann werde ich sie dann erwerben? Nicht, wenn ich alt bin, denn dann ist es sehr schwierig, Gewohnheiten loszuwerden. Verhaltensmuster, ob gut oder schlecht, sind bereits tief verwurzelt.

Sagen Sie nicht: „Heute bin ich mit meiner Arbeit beschäftigt. Wer weiß, ob sich die Gelegenheit nicht noch einmal bietet? Und selbst wenn sich die Gelegenheit noch einmal ergibt, ist dieser Tag bereits vorbei. Du hast eine Gelegenheit verpasst, G’tt zu dienen. Dieser Tag wird nie wieder kommen. Nie.

Nutze den Tag! Aber dann auf die richtige Art und Weise: indem man an sich selbst arbeitet. Sind Sie einsam? G’tt ist immer da!

 

EINIGE KOMMENTARE ERKLÄRT VON RASCHI 

In meiner Jugend begann ich unter der inspirierenden Anleitung von Oberrabbiner A. Schuster (Amsterdam) mit dem Studium von Raschis Werk. Raschi ist der bekannteste Kommentator des Tenach. Er lebte von 1040 bis 1105 in Troyes und Worms. Seine Methodik bestand darin, dass für Raschi jedes Wort in der Thora zählte, dass jedes Wort für Raschi eine Bedeutung hatte und dass Raschi besonders auf Logik, Kontext, Syntax, Redundanz und Grammatik achtete. Das ist close-reading.

 

„Sprich zu meinem Herrn Esaw: ‚So spricht dein Knecht Jaakow: Bei Lawan habe ich als Fremder (Gartie) gelebt, und dort bin ich bis jetzt geblieben'“ (32:5). Nach Raschi wollte Ja’akow aus Angst vor Esaw darauf hinweisen, dass er kein bedeutender Herrscher geworden, sondern einfach ein Fremder geblieben war: „Es lohnt sich nicht, mich zu hassen wegen Jitzchaks Beracha ’sei ein Herrscher über deinen Bruder‘. Diese Beracha hat sich bei mir nicht erfüllt.“

 

In einer zweiten Erklärung legt Raschi aus, dass das Wort „gartie“ den Zahlenwert 613 hat. Nach dieser Erklärung wollte Ja’akow Esaw mitteilen, dass er 20 Jahre lang mit dem bösen Lawan gelebt, aber dennoch die 613 Mizwot eingehalten und nichts von dessen bösem Verhalten übernommen hatte.

Die Worte „als Fremder gelebt und bis jetzt dort geblieben“ sind überflüssig. Ja’akow hätte einfach sagen sollen: ‚Ich bin lange bei Lawan geblieben‘, mit einem Wort: ‚echarti‘. Der Thora-Text spaltet Ja’akows Aussage auf: „gartie“ (ich habe vorübergehend gelebt) und „va’echar“ (ich war lange Zeit weg). Ja’akow wollte Esaw klarmachen, dass die Berachot seines Vaters nicht erfüllt worden waren.

Aber deshalb konnte Esaw einwenden: „Wenn es dir, Ja’akow, finanziell so schlecht geht, bedeutet das, dass du die Mizwot nicht eingehalten hast. Jitzchak, unser Vater, sagte mir, dass ich das Recht habe, dich anzugreifen, wenn du dich gegen G’tt auflehnst und deine Mizwot nicht einhältst”.

Ja’akow sagte darauf, dass er trotz allem die 613 Mizwot eingehalten habe, aber das mache ihn nicht zu einer wichtigen Person.

Es gibt jedoch ein Problem mit dieser Aussage. Ist es nicht eine Chuzpe (Unverschämtheit) gegenüber seinem Vater Jitzchak, dass Ja’akow sagt, Jitzchaks Berachot seien nicht wahr geworden?

Deshalb gibt Raschi eine zweite Erklärung: „Ich habe die 613 Mizwot eingehalten. Die Berachot, die mein Vater mir gab, waren nicht auf weltliche Größe und irdischen Reichtum ausgerichtet. Die Segnungen zielten auf ein Leben nach der Thora ab. Du, Esaw, solltest nicht neidisch sein, denn du hast dich nie um Thora-Wissen gekümmert“.

 

Die Viehherden als Geschenk für Esaw

Ja’akow schickt Esaw Viehherden als Geschenk, um ihn zu besänftigen 30 säugende Kamele und ihre Fohlen, 40 Kühe und zehn Stiere, 20 Eselinnen und zehn Esel (32:16). Raschi sagt: „30 säugende Kamele und ihre Jungen mit ihnen“. Das steht bereits in der Thora. Was fügt Raschi hier hinzu?

Der Text der Thora ist aber unklar. Waren es 30 säugende Kamele und ihre Jungen zusammen oder waren es 30 säugende Kamele und 30 weitere Junge? Raschi gibt an, dass es 30säugende Kamele und 30 Jungtiere waren.

Was veranlasst Raschi zu dieser Aussage? Logik! Die Thora erwähnt eine absteigende Reihe von Tieren als Geschenke für Esaw, von 220 Ziegen bis zu 30 Eseln. In dieser absteigenden Reihe sind 30 Kamele eine Unterbrechung des Trends: 220 Ziegen, 220 Schafe, aber 30 Kamele, wiederum 50 Kühe und 30 Esel. Wenn es sich um eine absteigende Reihe handelt, spricht viel dafür, dass es insgesamt 60 Kamele sind: 30 säugende Kamele und 30 Jungtiere.

 

Dina wird vergewaltigt. Shimon und Levi nehmen Rache: „Soll man mit unserer Schwester wie mit einer Sona (Prostituierten) umgehen? (34:31).

Raschi erklärt, dass in der aramäischen Übersetzung „unsere Schwester“ als direktes Objekt angegeben ist. Raschi scheint nicht viel dazu beizutragen. Das hebräische Wort „et“ kann jedoch auf zwei Arten übersetzt werden: mit „mit“ oder es wird nicht übersetzt und bezeichnet ein direktes Objekt. Die Übersetzung mit „mit“ würde den Eindruck erwecken, dass Dina zustimmte. Um jedes Missverständnis zu vermeiden, sagt Raschi, dass Dina nur das direkte Objekt war. Eine typische Kontextangabe.

 

 

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  • Jaakows Vorbereitungen (32:3-24)

 

Essaw kommt Jaakow mit 400 Mann entgegen. Als Vorbereitung auf das Treffen teilt Jaakow seine Familie und seine Tiere in zwei Lager auf, betet um Rettung und schickt seinem Bruder Geschenke.

 

  • Ein Kampf in der Nacht (32:25-33)

 

Ein „Mann“ ringt mit Jaakow bis zum Morgengrauen. Jaakow besiegt ihn, wird aber durch einen Schlag auf die Hüfte verletzt. Der „Mann“ kündigt Jaakow an, dass er ab jetzt Jisrael heissen soll. Er segnet ihn.

 

  • Jaakows Treffen mit Essaw (33:1-20)

 

Beim Treffen nach vielen Jahren umarmen sich die Brüder, gehen aber getrennte Wege.

 

  • Vergewaltigung, Beschneidung und Rache (34:1-31)

 

Sch‘chem vergewaltigt Dina. Er möchte sie heiraten, ihre Brüder aber setzen die Bedingung dafür, dass sich alle Männer der Stadt (heute Nablus) beschneiden müssten. Am 3. Tag nach besagter Massenbeschneidung töten Schimon und Lewi die von der Beschneidung noch geschwächten männlichen Einwohner und nehmen Dina mit.

 

  • Jaakows Reisen, Essaws Nachkommen (35:1-36:43)

 

G“tt befehlt Jaakow mit seiner Familie nach Bejt-El zu ziehen. Dort baut Jaakow einen Altar. D’wora, Riwkas Amme, stirbt. G“tt segnet Jaakow und ändert seinen Namen in Jisrael. Rachel stirbt bei der Geburt ihres Sohnes, den Jaakow Binjamin nennt. In Chewron sieht er seinen Vater Jitzchak wieder, der kurz danach stirbt. Der Stammbaum Essaws wird aufgelistet, zusätzlich zu den Fürsten von Se‘ir, dessen Land Essaw besitzt.

 

D’war Tora / Kurzer Gedanke zum Wochenabschnitt 

„Und er [Jaakow] befahl dem ersten [Knecht]: Wenn dir mein Bruder Essaw begegnet und fragt: Wem gehörst du an, wohin gehst du, und für wen sind diese da vor dir? So antworte: Deinem Knechte Jaakow; es ist ein Geschenk, an meinen Herrn Essaw gesandt, und er selber folgt nach.“

  1. Buch Moses 32:17-1

In unserer Parascha kommt es achtmal vor, dass Jaakow seinen Bruder Essaw mit der Anrede Adoni (Mein Herr) anspricht und sich selbst als Awd’cha (Dein Knecht) bezeichnet. Die Tora sieht Jaakows Unterwürfigkeit seinem Bruder gegenüber sehr kritisch an. In dem Midrasch (Bereschit Rabba 75:11) schwört der Ewige, dass Er Jaakow für die besagten acht Ereignisse seiner Subordination mit acht Königen bestrafen wird, die über die Söhne Jaakows herrschen werden. Der Wochenabschnitt endet tatsächlich mit einer Aufzählung von acht Königen, die über das Volk Jisrael im Lande Edom demzufolge regierten ehe ein König von den Söhnen Jisrael regiert wird.

Wir lesen also, dass Essaw die Herrschaft zuerst bekam, weil Jaakow sich ihm gegenüber demütig verhalten hat. Daraus ist eine wichtige Lehre zu ziehen: Wenn wir uns immer unterwürfig verhalten und uns klein machen, können wir keinen Respekt von anderen erwarten. Anders gesagt: Wir dürfen das gleiche Ansehen erhoffen, das wir anderen schenken.

 

Author: © Oberrabbiner Raphael Evers

Foto: The Death of Rachel | © 1847 Gustav Ferdinand Metz