Bundespräsident Steinmeier – “Unsere Anteilnahme gilt allen zivilen Opfern dieses Krieges“

Krieg in Israel
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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich in einer Videobotschaft zu seiner bevorstehenden Reise nach Israel, Oman und Katar geäußert: „Ich fahre morgen, um Israel unserer fortgesetzten Solidarität zu versichern – Solidarität nicht nur mit Israel als Opfer des Terrors, sondern auch mit Israel, das sich wehrt.“

Jetzt ein Besuch in Israel? Ja, gerade jetzt! Ich fahre morgen, um Israel unserer fortgesetzten Solidarität zu versichern – Solidarität nicht nur mit Israel als Opfer des Terrors, sondern auch mit Israel, das sich wehrt.

Der 7. Oktober, der Terrorangriff der Hamas auf die Kibbuzim, auf tanzende Jugendliche, das bestialische Morden und Verschleppen wehrloser Kinder, Eltern und Großeltern, liegt nunmehr sieben Wochen zurück. Seither herrscht Krieg im Nahen Osten, und seither haben auch viele tausend Frauen, Männer und Kinder im Gaza-Streifen ihr Leben verloren.

Es mag eine schwierige Reise sein, aber sie ist notwendig. Ich fahre morgen in ein Israel, das in den Augen der Welt inzwischen nicht mehr in erster Linie als verwundet und überfallen dasteht – sondern ich fahre in ein Israel, das sich wehrt. Das um seine Existenz kämpft. Ein Israel, das für genau diese Gegenwehr immer mehr auch in der Kritik der Weltöffentlichkeit steht.

Seit seiner Gründung vor 75 Jahren war Israel immer bedroht in einer feindlich gesinnten Nachbarschaft. Aber noch nie wurde Israel so tief verwundet wie am 7. Oktober. Nie seit dem Holocaust wurden so viele Jüdinnen und Juden an einem einzigen Tag ermordet. Nie war Israel als sichere Heimstatt für Juden so sehr in Frage gestellt. Das ist der Einschnitt des 7. Oktober!

Ein israelischer Freund sagte dieser Tage zu mir: ‚Was ist die Idee des Staates Israel? Sie ist nicht, dass wir Juden nie wieder bedroht werden. Antisemitismus wird es – leider Gottes – immer geben. Nein, dass wir nie wieder wehrlos sind! Das ist das ‚Nie wieder‘, das Israel uns verspricht.‘

Diesem Versprechen ist auch unser Land verpflichtet, unser Land, in dem das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte an Juden erdacht, geplant und begangen wurde.

Aber was bedeutet das vielbeschworene ‚Existenzrecht‘ konkret? Natürlich bedeutet es das Recht auf Selbstverteidigung, wenn die Existenz bedroht ist. Darum kämpft Israel in diesen Tagen. Es ist ein Krieg gegen die Hamas, aber es ist auch ein Kampf um Israels innerstes Versprechen: Nie wieder wehrlos.

Niemand kann Israel verwehren, den Terror entschieden zu bekämpfen. Dieser Kampf bringt großes Leid jedoch auch unter unbewaffneten Zivilisten. Jede Vorkehrung, Zivilisten aus der Schusslinie zu bekommen, ist notwendig. Hinzu kommt die Versorgung mit dem Lebenswichtigsten. Das verlangt das humanitäre Völkerrecht, und das erwarten auch wir Deutschen.

Gestern habe ich mich mit Deutschen getroffen, die in den vergangenen Tagen aus dem Gazastreifen ausreisen konnten. Ihre Berichte über das, was sie und ihre Familien dort erlebt haben, sind bedrückend, sie haben mich zutiefst berührt. Auch für ihre Geschichten, für das Leid und die Verzweiflung unter den Palästinenserinnen und Palästinensern muss Raum sein in unserem Land.

Deutschland leistet humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung in Gaza, und – auch das wird Thema bei meinen Gesprächen sein – wir sprechen mit Israel darüber, wie während der Feuerpausen Menschen aus den Gefahrenzonen heraus- und Hilfsgüter hineingelangen können. Wir stehen bereit, um mitzuhelfen, Kranke und Kinder zu evakuieren.

Für uns steht außer Frage: Jedes Menschenleben wiegt gleich schwer. Und deshalb: Nein, humanitär dürfen wir nicht unterscheiden. Unsere Anteilnahme gilt allen zivilen Opfern dieses Krieges.

Aber politisch müssen wir differenzieren. Denn der Terror, der Israel am 7. Oktober heimgesucht hat, darf sich nicht wiederholen. Und ich wäre froh, wenn die Stimmen, die Israel kritisieren, wenigstens das Dilemma anerkennen würden, in dem Israel sich befindet. Hamas unschädlich zu machen und zugleich Zivilisten zu schützen: das ist ein furchtbares Dilemma – ein Dilemma, das Hamas absichtlich herbeiführt, indem es Menschen als Schutzschilde missbraucht, indem es seine Waffen, seine Tunnel, seine Kommandostrukturen unter Wohnhäusern, Schulen und Krankenhäusern versteckt, und das systematisch, mit Absicht, seit Jahren. Hamas ist keine Befreiungsorganisation zum Wohle der Palästinenser. Hamas ist eine Terrororganisation, die Israel vernichten will und gleichzeitig und zynisch die Palästinenser bewusst dem Leid ausliefert.

Und weil das so ist, gibt es keinen einfachen Ausweg. Dennoch – ein erster Schritt ist getan: Ich bin unendlich froh, dass die Freilassungen erster Geiseln, auch von deutschen Geiseln, begonnen haben, darunter auch die beiden kleinen Mädchen, deren Vater noch vor wenigen Wochen voller Verzweiflung hier im Schloss Bellevue vor mir saß. Ich danke den Vermittlern, die daran mitgeholfen haben, und ich werde bei meinem Besuch in Katar darüber sprechen, wie der Verhandlungsweg jetzt weitergehen kann. Der Weg zur Beendigung des Kampfes wird und kann nur über die Freilassung der Geiseln führen. Aller Geiseln!

Aber auch das ist wahr: Ein Waffenstillstand heute bringt nicht automatisch den Frieden von morgen. Es kann keinen dauerhaften Frieden geben, solange Hamas für Israel eine mörderische Bedrohung bleibt. Gleichzeitig darf der Krieg, den Israel jetzt führt, nicht jede Chance auf eine Verständigung in der Zukunft vergiften. Er darf nicht eine neue Generation der Verzweifelten hervorbringen.

Einen Ausweg gibt es nur mit einer Politik, die getragen ist von zwei Prinzipien: mehr Sicherheit für Israel und zugleich mehr Zukunftsperspektiven für die Palästinenser. Und wenn am Ende ein Frieden stehen soll, der eine Chance auf Dauer hat, so kann er nur bedeuten: zwei Staaten! Die Palästinenser müssen ihr Recht auf politische Selbstbestimmung ausüben und in Würde, Freiheit und Frieden mit ihrer Nachbarschaft leben. Die Idee der zwei Staaten war in den vergangenen Jahren vor allem eine Geschichte der verpassten und vertanen Chancen – verpasst von der internationalen Gemeinschaft, vertan auch durch die Ausweitung israelischer Siedlungen im Westjordanland.

Wenn dieser historische Tiefpunkt im Nahen Osten irgendetwas Besseres auslösen soll, dann einen neuen, dringenden und auf der ganzen Welt verstandenen Impuls für eine Zweistaatenlösung. Auch diesen Impuls will ich mitnehmen auf meine Reise.