Raawi trifft – Elishewa Patterson
Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas, hat Israel auf einer Pressekonferenz nach einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin beschuldigt, “Holocausts” zu begehen.
Abbas verwendete den Begriff als Antwort auf die Frage eines Reporters, ob sich der Palästinenserführer für die Ermordung von 11 israelischen Sportlern während der Olympischen Spiele 1972 in München vor 50 Jahren entschuldigen werde. “Wenn wir die Vergangenheit aufarbeiten wollen, nur zu”, sagte Abbas auf Arabisch, als er neben Scholz stand, berichtete die Times of Israel. “Ich habe 50 Massaker, die Israel begangen hat … 50 Massaker, 50 Massaker”, bevor er ins Englische wechselte und “50 Holocausts” sagte. Bundeskanzler Olaf Scholz schwieg zunächst und äußerte sich erst nach der Pressekonferenz zu dem Vorfall. Seitdem häufen sich die Beschwerden gegen die Bundesregierung. Auch Strafanzeigen gegen Mahmoud Abbas wegen Volksverhetzung wurden bereits gestellt.
Elishewa Patterson ist Fachanwältin für Arbeitsrecht in Frankfurt / Main. Sie ist ein aktives Mitglied der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt und Vorsitzende des Jüdischen Kulturvereins Ostend. Seit dem Jahr 2009 macht Elishewa Patterson mit Demonstrationen, Schweigemärschen und Flashmobs auf den wachsenden Antisemitismus in Deutschland, Europa und der Welt aufmerksam. Sie engagiert sich für interreligiösen Dialog mit Muslimen. Wir haben uns mit ihr einmal darüber unterhalten, wie es eigentlich mit der Immunität von Mahmoud Abbas aussieht und wie sich die Bundesregierung gegen solche Kommentare wehren kann.
Raawi: Kann man die Aussage von Herrn Abbas rechtlich schon als antisemitische Aussage geltend machen?
Elishewa Patterson: Es gibt kein Gesetz, keinen Paragraphen gegen Antisemitismus, solche Äußerungen gelten als Volksverhetzung. Es gibt keinen Paragraphen, der explizit sagt, dass man keine antisemitischen Äußerungen machen darf. Die Relativierung oder die Verleugnung der NS Verbrechen stellen allerdings zum einen immer eine antisemitische Aussage und zum anderen auch immer eine Volksverhetzung dar.
Welche Möglichkeiten hat denn der deutsche Staat, gegen eine solche Äußerung vorzugehen?
Der Staat kann auch außerhalb des Strafrechts reagieren und Maßnahmen gegen die Person Abbas, aber auch gegen die palästinensische Autonomiebehörde ergreifen.
Bei dem Versuch einer strafrechtlichen Verfolgung stellt sich nämlich die Frage nach der diplomatischen Immunität.
Im Falle der diplomatischen Immunität könnte Herr Abbas zwar theoretisch festgenommen werden, aber eine Strafverfolgung, also Anklage und Verurteilung, wäre ausgeschlossen. Abbas ist allerdings kein Diplomat, daher ist nicht automatisch von einer Immunität auszugehen.
Zwar genießen auch Repräsentanten anderer Staaten diplomatische Immunität, wenn sie die Bundesrepublik auf Einladung der Regierung besuchen, allerdings ist die palästinensische Autonomiebehörde, die Abbas ja vertritt, kein Staat im völkerrechtlichen Sinne. Unumstritten ist diese Ansicht nicht, aber damit würde formal eine diplomatische Immunität ausscheiden. Dessen ungeachtet ist Herr Abbas auf Einladung der Bundesregierung nach Deutschland gekommen, daher können wir davon ausgehen, dass ihm diplomatische Immunität zugebilligt wird, weil ja auch diplomatische Beziehungen mit der Autonomiebehörde bestehen. Aber die palästinensische Autonomiebehörde ist nach völkerrechtlichen Vorgaben trotzdem kein Staat und wurde bisher als solcher von Deutschland auch nicht anerkannt. Theoretisch könnte Herr Abbas daher wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung strafverfolgt werden.
Welche Konsequenzen hätte das für Mahmoud Abbas?
In einem Verfahren wegen Volksverhetzung würde er wahrscheinlich eine Geldstrafe bekommen. Deshalb kommt man nicht ins Gefängnis.
Wie kann ich mich als einzelner Bürger gegen die antisemitische Aussage von Herrn Abbas wehren und was kann der Staat Deutschland tun?
Eine Strafanzeige kann jeder stellen. Aus meiner Sicht sollten die Leute das jetzt auch tun. Als Bürger würden wir mit solchen Anzeigen auf jeden Fall ein Zeichen setzen, wenn wir jetzt in Massen bei der Polizei aufschlagen und Anzeige erstatten. Vor allem nicht jüdische Menschen sehe ich hier in der Pflicht.
Deutschland als Staat kann zwar keine Strafanzeige stellen, aber die Bundesregierung könnte Herrn Abbas öffentlich rügen und verkünden, ihn so schnell nicht wieder einzuladen oder auch Konsequenzen verhängen und wegen der menschenverachtende, Holocaust relativierende Äußerungenmal für einen Monat den Geldhahn zudrehen. Da die Palästinensische Autonomiebehörde sehr viel Geld von Deutschland bekommt, wäre dies durchaus eine Möglichkeit und ein klares Zeichen.
Jetzt hat sich ja unser Bundeskanzler während der Pressekonferenz nicht zu diesem Kommentar geäußert. Welche Reaktionen hätten Sie Olaf Scholz angeraten oder sich gewünscht in der Situation?
Also, er hätte sofort reagieren müssen. Ich weiß nicht genau, ob er den Kommentar gleich mitbekommen hat, oder ob es in der Übersetzung eine Verzögerung gab. Ich will ihm jetzt mal einfach im Zweifel zugute halten, dass er den Kommentar möglicherweise in dem Moment gar nicht registriert hat.
Aber wenn es so gewesen ist, dass er das gehört hat, egal ob die Pressekonferenz vorbei war oder nicht, hätte er Herrn Abbas sofort und mit jeder möglichen Vehemenz zurückpfeifen und sofort und konsequent Maßnahmen ergreifen müssen.
Bei allem Verständnis für die palästinensische Position, die ja auch eine Legitimität hat, und das müssen wir auch als Juden und auch als deutscher Staat, der Israel gegenüber immer solidarisch ist, anerkennen, dürfen solche menschenverachtende Entgleisungen nicht geduldet werden. Das geht dann nämlich nicht gegen die palästinensische Position, sondern gegen die antisemitische Äußerung.
Mir persönlich gefällt im Übrigen auch diese eher undifferenzierte, einem „Kadavergehorsam“ anmutende Haltung gegenüber der israelischen Regierung nicht. Es kann nicht sein, dass es in Deutschland keinen Raum für palästinensische Stimmen gibt und Äußerungen per se als antisemitisch angesehen werden, wenn sie die israelische Regierung kritisiert und/oder von Palästinensern geäußert wird.
Man muss immer differenzieren und auch einräumen, dass natürlich auch Israel nicht alles richtig macht. Wir brauchen überhaupt nicht darüber zu diskutieren, dass antisemitische Äußerungen deshalb zu tolerieren wären, erst recht nicht über das Existenzrecht Israels und schon gar nicht darüber, dass der Staat Israel sich vor Angriffen und Terror schützen darf. Aber nicht jeder, der sagt, die Palästinenser haben auch Rechte, ist ein Antisemit.
Da wünsche ich mir insgesamt eine höheren Differenzierungsgrad. Warum kann ich nicht Antisemitismuss anprangern, mit Israel solidarisch sein und dabei der Position der Palästinenser Raum lassen. Bei einer derart differenzierten Haltung würde die Verurteilung der Äußerungen von Herrn Abbas möglicherweise auch im arabischen Raum einen ganz anderen und vor allem überzeugenderen Eindruck hinterlassen.
Elishewa Patterson spricht sich immer wieder für einen offenen und konstruktiven Dialog insbesondere zwischen Muslimen und Juden aus.