Asara beTewet, der zehnte Monat von Tewet, der zehnte Monat des jüdischen Jahres
Wenn wir am zehnten Tag des Tewet fasten, zeigen wir damit, dass wir uns bewusst sind, dass dieser Fastentag den Beginn der Zerstörung des Tempels in Jerusalem symbolisiert. Am zehnten Tewet schlugen die Babylonier unter König Nebukadnezar eine Bresche in die Mauer um Jerusalem. Unsere Feinde belagerten Jerusalem zweieinhalb Jahre lang (nach Meinung einiger im Jahr 586 vor der Zeitrechnung).
Nach dem Ende des Holocausts wollte das Oberrabbinat Israels dieser schrecklichen Zeit auf spirituelle Weise gedenken. Sie hat daher den 10. Tewet als Gedenktag für die sechs Millionen Juden eingeführt, die in der Schoa umgekommen sind.
Dieser Fastentag gilt nicht nur als Gedenktag für die im Holocaust umgekommenen Menschen, deren Angehörige kein Todesdatum haben, sondern auch und vor allem als Gedenktag für die vielen hunderttausend Familien, die im Holocaust ermordet wurden, ohne eine Spur zu hinterlassen: „Für diese vielen, vielen Märtyrer, deren Todesdatum nicht bekannt ist, ist dieser Tag (10 Tevet) ihrem Gedenken und dem Aufstieg ihrer rechtschaffenen und reinen Seelen gewidmet. Wir zünden eine Kerze zum Gedenken an und beten das Kaddisch für sie“.
Der 10. Tevet ist ein besonderer Tag des Fastens. Wenn andere Fasttage – außer Jom Kippur – auf den Schabbat fallen, werden sie auf den Sonntag verschoben. Im Gegensatz zu anderen Fasttagen kann der zehnte Tewet auf den Schabbat fallen und trotzdem eingehalten werden. Beim Fasten am zehnten Tewet heißt es „eigentlich an diesem Tag“. Wenn der zehnte Tewet auf den Schabbat fällt, kann man trotz der großen Heiligkeit des Schabbats fasten. In der Praxis ist der jüdische Kalender jedoch so gestaltet, dass der zehnte Tewet niemals auf einen Schabbat fallen kann.
Rabbi Moshe Sofer (18./19. Jahrhundert) fragt, warum das Fasten am zehnten Tewet den Schabbat außer Kraft setzt? Es ist offensichtlich, dass Jom Kippur dem Schabbat übergeordnet ist, weil an Jom Kippur alle unsere Sünden gegenüber G’tt vergeben werden und dieser Fastentag aus der Tora stammt. Wenn wir in der Freitagnacht schlecht geträumt haben, können wir auch am Schabbat fasten, wenn wir uns Sorgen machen, dass der Traum wahr wird. Es geht um unsere Zukunft, und wir können fasten, um mögliches Unheil abzuwenden. Doch am zehnten Tewet geht es um eine lange zurückliegende Belagerung. Hier wird das Fasten normalerweise auf den Sonntag verlegt!
Asara beTewet ist der Tag, an dem HaSchem (G’tt) für das kommende Jahr entscheidet, ob der Tempel in Jerusalem wiederaufgebaut wird. Deshalb dürfen wir auch am Schabbat fasten, denn das ist etwas, das für unsere Zukunft ganz entscheidend ist.
Lasst uns an diesem zehnten Tewet inbrünstig beten, dass der Bait HaMikdasch, der Tempel, in diesem Jahr wieder aufgebaut wird. Lassen Sie den Emotionen freien Lauf und verzweifeln Sie nicht daran, dass Ihre Gebete nicht erhört werden. Denkt daran, dass G’tt alle Gebete aller Generationen sammelt, von den Sofrim (Gelehrte der mündlichenÜberlieferung, 450-200 v.), den Zugot (Gelehrte der mündlichen Überlieferung, 199-1 v.), den Tannaim (Mischna-Gelehrte, 1-200 v.), den Amoraim (Talmud-Gelehrte, 201-500), den Saboraim (Nach-Talmud-Gelehrte, 501-650) und den Geonim (babylonische Nach-Talmud-Gelehrte, 650-1000), die Risjoniem (‚die Ersten‘, 1001-1450) und alle Acharoniem (‚die späteren Gelehrten‘, 1450-heute). Mit der Zeit wird der „Korb“ der Gebete und Tränen immer voller und übervoller werden, bis HaSchem (G’tt) beschließt, den Tempel tatsächlich wieder aufzubauen. Es ist das kürzeste Fasten des ganzen Jahres, an dem wir inbrünstig auf eine baldige Wiedervereinigung des gesamten jüdischen Volkes am Fuße des Tempelbergs hoffen dürfen, bimhera bejamenu Amen!
Author: © Oberrabbiner Raphael Evers
Foto: © Adobe Stock | Panoramic sunset view of Jerusalem Old City and Temple Mount from the Mount of Olives