WAS IST DIESER „ANGENEHME GERUCH“, DEN DIE OPFER ERZEUGEN?
Der Opferdienst wird in der Tora durch mehrere Pesukim (Verse) eingeleitet, die nicht leicht zu verstehen sind (Wajikra/Lev. 1:8-9): „Und dann sollen die Söhne Aarons, die Priester, die Stücke, den Kopf und das Fett auf das Holz legen, das auf dem Feuer des Altars liegt. Aber seine Eingeweide und seine Schenkel sollen mit Wasser gewaschen werden, und der Priester soll das alles auf dem Altar in Rauch aufgehen lassen. Es ist ein Brandopfer, ein Feueropfer, ein angenehmer Geruch für G’tt“.
Nicht wörtlich
Die Worte „ein angenehmer Geruch“ sind hier nicht wörtlich zu nehmen. Verbranntes Fleisch verströmt normalerweise keinen angenehmen Geruch. Vielmehr muss es eine metaphorische Bedeutung haben. Die Übersetzung von Onkelos (2. Jahrhundert) spiegelt hier wider, dass gemeint ist, dass das Opfer von G’tt wohlwollend angenommen wird. Raschi (1040-1105) übersetzt es so: „G’tt hat Freude daran, weil ‚Ich etwas befohlen habe und Mein Wille ausgeführt wird'“.
Guter Geruch symbolisiert die Akzeptanz G’ttes
Rabbi Jehuda Halevi erklärt dies in seinem Werk ‚der Kuzari‘ (2:25-26) wie folgt: „G’tt nimmt das Opfer gerne als Geschenk des Volkes an, weil es aufzeigt, dass man G’tt gehorcht. G’tt braucht unsere Opfer nicht. Die Opfer sind der Brennstoff für das Feuer, nicht für G’tt. Das Feuer auf dem Altar ist ein Feuer von Oben. Wenn das Feuer die Opfer verzehrt, zeigt es, dass G’tt die Opfer der Menschen annimmt“ (freie Übersetzung). Der ‚angenehme Geruch‘ manifestiert sich also darin, dass G’tt unsere Opfer wohlgefällig annimmt.
Das Abgewöhnen der falschen Richtung
Maimonides (1138-1204) gibt in seinem „More newuchim – Leitfaden für die Verirrten (3:32) eine interessante Erklärung für den Opferdienst: „In der alten Welt wurde der Opferdienst von allen als Dienst am Allmächtigen akzeptiert. Aber am Ende dienten die Menschen damit den Götzen. G’tt wollte diesen Dienst an den ‚Verirrten‘ nicht gänzlich verbieten. Er forderte das jüdische Volk auf, diese Art des G’ttesdienstes von den Götzen abzuwenden und sich wieder G’tt zuzuwenden“ (freie Übersetzung).
G’ttesdienst ist etwas Mystisches und Übernatürliches
Aber in seinem großen Werk, dem Kodex (Me’ila 8:8), schreibt Maimonides, dass das Opfern ein unbegreifliches Gebot ist, dass aber gerade das Befolgen dieser unbegreiflichen Gebote dafür sorgt, dass wir in die Olam Haba, die zukünftige Welt, kommen“. Gerade durch das Befolgen von Geboten, die nicht von der Logik diktiert werden, dienen wir G’tt. Der „angenehme Geruch“ besteht also nach dieser Auffassung in der Verneinung des Götzendienstes und der Annäherung an alle Aspekte dieser Welt, die dem Allmächtigen als Opfer dargebracht werden.
Ersatz für den Menschen: G’ttliche Gnade
Nachmanides (1194-1270) zitiert Maimonides, der an anderer Stelle in seinem „Leitfaden für die Verirrten“ (3:46) erklärt, dass die Opfertiere, die wir bringen, aus Rindern, Schafen und Ziegen bestehen. Diese Tiere wurden von den Völkern, unter denen die Juden lebten, als Götzen angebetet. Die Ägypter dienten dem Lamm, die Chaldäer den Ziegen oder ziegenähnlichen Geistern. Bis heute schlachten die Inder keine Rinder. Nach der Tora waren diese Tiere unter den Säugetieren die einzigen, die auf den Altar gebracht werden durften. Durch das Bringen dieser Götzen, demonstrieren wir die Absurdität des Götzendienstes. Nachmanides lehnt diese Erklärung ab und argumentiert, dass das Opfern sicherlich eine tiefere Bedeutung hat. Er lehnt diese Erklärung auch deshalb ab, weil das Opfern so alt ist wie diese Welt. Als Noach aus der Arche kam, brachte er bereits Opfer dar, obwohl es noch keinen Ägyptischen oder Chaldäischen Bürger auf der Welt gab. Kurz nach der Schöpfung brachte Abel bereits Opfer dar, obwohl es noch keine Spur von Götzendienst gab.
Das tägliche Gemeinschaftsopfer versus unser tägliches Fehlverhalten
Der tiefere Hintergrund des Opfers ist, dass G’tt uns erlaubt, ein Tier an unserer Stelle darzubringen. Normalerweise wurden Opfer als Sühne für Übertretungen gebracht. Wir Menschen sündigen mit unseren Gedanken, unseren Äußerungen und unseren Taten. Mit unseren Händen stützen wir uns auf den Kopf des Tieres. Damit sagen wir, dass wir wegen unseres schlechten Verhaltens eigentlich selbst hätten geopfert werden müssen, dass aber G’ttes Gnade diese Tiere an unserer Stelle annimmt. Gegen unser sündhaftes Gerede legen wir beim Opfern ein Sündenbekenntnis ab. Unsere Eingeweide, mit denen wir Lust erzeugt und böse Pläne geschmiedet haben, werden auf dem Altar verbrannt, ebenso wie die Gliedmaßen der Tiere, um für unsere bösen Taten zu sühnen, die wir mit unseren Gliedmaßen begangen haben. Das Tierblut wurde auf den Altar gesprengt, um deutlich zu machen, dass eigentlich unser Leben – stellvertretend – dort hätte geopfert werden sollen. Das tägliche Gemeinschaftsopfer dient der Sühne für unser tägliches Fehlverhalten.
Verbindung zwischen der höheren und der niederen Welt
Rabbiner Meir Simcha von Dwinsk (1843-1926) fasst dies in seinem Meisterwerk Meschech Chochma zusammen: „Ursprünglich waren Opfer auf den Opferhöhen außerhalb des Tempels erlaubt, weil dies darauf abzielte, das Volk zu lehren, den Götzendienst zu verlernen und seine Handlungen auf G’tt zu richten. Als der Tempel in Jeruschalaim errichtet wurde, kam der höhere Zweck des Opfers zum Vorschein. Es geht darum, alle irdischen Kräfte und Phänomene mit dem Allmächtigen zu verbinden. Als diese hohe Ebene erreicht war, wurde das Opfern auf den Opferhöhen verboten. Dies fiel zusammen mit den Gebeten der Anführer, die Neigung zum Götzendienst aus dem jüdischen Volk zu verbannen. Es gab also keinen Grund mehr, den Götzendienst zu „verlernen“. Dann konnte der positive Aspekt des Opfers voll zur Geltung kommen: alle unsere Gedanken, Gefühle, Gespräche und Handlungen mit G’tt zu verbinden.
© Oberrabbiner Raphael Evers
Foto: © Wikipedia – FOTLbill