290 Straßen in Berlin nach Personen benannt, die sich antisemitisch geäußert haben

Berlin bei Ncht
Lesezeit: 2 Minuten

Der deutsche Historiker aus dem 19. Jahrhundert, der den später von den Nazis populär gemachten Satz „Die Juden sind unser Unglück“ prägte, hat in Berlin eine Straße nach sich benannt. Ebenso ein Beamter aus dem 15. Jahrhundert, der eine mörderische Säuberung der Juden in seiner Region unterstützte, und ein Leistungssportler, der ein Liebling des Nazi-Regimes war.

Insgesamt sind in Berlin mindestens 290 Straßen oder Plätze nach Personen benannt, die antisemitische Ansichten vertraten. Dies geht aus einer neuen Analyse hervor, die der Beauftragte der Stadt für die Bekämpfung des Antisemitismus durchgeführt hat.

Der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn, der im vergangenen Jahr zum Beauftragten ernannt wurde, fordert nicht, dass die Straßennamen geändert werden. Stattdessen sagte er dem RBB, sein Amt habe die Studie initiiert, um „eine systematische Grundlage für eine wichtige gesellschaftliche Diskussion zu schaffen“.

Dazu gehöre auch die Frage, wie mit der Tatsache umzugehen sei, dass Antisemitismus in Deutschland jahrhundertelang eine weit verbreitete Meinung war, was bedeutet, dass viele Menschen, die einen wichtigen Beitrag zur Gesellschaft geleistet haben, antisemitische Ansichten geäußert haben könnten. Martin Luther beispielsweise, der deutsche Theologe aus dem 16. Jahrhundert, der den Protestantismus begründete, rief dazu auf, Juden zu verfolgen und zu verbannen. Die Martinlutherstraße verläuft durch ein angesagtes Viertel in Berlin.

 

Berlin

 

Der Bericht verweist auf mehrere Straßen, die nach Personen benannt sind, die sich im Widerstand gegen das Naziregime engagierten, aber zuvor antisemitische Ansichten vertraten.

Ein prominentes Beispiel ist Martin Niemöller, ein Pastor, der sich gegen den Nationalsozialismus engagierte und 1946 das berühmte Gedicht „Zuerst kamen sie“ schrieb, in dem er viele Opfer des Nationalsozialismus aufzählt und das Schweigen der anderen Deutschen über die Verfolgung beklagt. Der Pastor-Niemöller-Platz, ein öffentlicher Platz und ein U-Bahnhof im nördlichen Teil Berlins, ehrt ihn.

Niemöller äußerte jedoch antisemitische Ansichten und beschuldigte Juden des Gottesmordes. Harold Marcuse, Professor für Neuere Deutsche Geschichte an der University of California, Santa Barbara, schrieb 2003, dass Niemöller „sicherlich ein rassistischer Antisemit war“. Niemöller, der schließlich wegen seines Widerstands gegen die Nazis zusammen mit jüdischen Häftlingen inhaftiert wurde, bekannte sich 1963 zu seinem Antisemitismus und entschuldigte sich dafür. Er starb 1984 im Alter von 92 Jahren.

Andere Personen, deren Namen auf Straßen in Berlin zu finden sind, das insgesamt 4.000 Straßen hat, haben eine klarere Erfolgsbilanz. Otto Dibelius, ein 1967 verstorbener Bischof, der noch vor dem Aufkommen des Nationalsozialismus über die „Lösung“ des „Judenproblems“ geschrieben hatte, ist Namensgeber für eine Straße, die zwei Blocks umfasst. Dibelius‘ Vorschlag lautete, die Einwanderung von Juden zu stoppen und abzuwarten, bis die Zahl der deutschen Juden sinkt.

Eine vier Blocks lange Straße, die nach Heinrich von Treitschke benannt ist, der den Satz „Die Juden sind unser Unglück“ prägte, endet an einem Einkaufszentrum, in dem sich ein Zara-Kleidungsgeschäft befindet.

Der Autor der Studie, der Politikwissenschaftler Felix Sassmannshausen, schlug vor, dass in einigen Fällen eine Umbenennung angebracht sein könnte. In anderen Fällen, so Sassmannshausen, könnte das Anbringen einer Gedenktafel oder eines anderen Hinweises auf die antisemitische Geschichte des Namensgebers der Straße ein guter Schritt sein.