Holocaust-Erziehung weitet sich in Afrika, der arabischen Welt und in Osteuropa aus

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Am Vorabend des Internationalen Holocaust-Gedenktags 2023 veröffentlichte das Zentrum für das Studium des zeitgenössischen europäischen Judentums an der Universität Tel Aviv seinen Jahresbericht mit dem Titel „For a Righteous Cause“ (Für eine gerechte Sache), der sich auf Initiativen von Regierungen und Bürgern auf der ganzen Welt zur Bewahrung des jüdischen Erbes, zur Aufklärung über den Holocaust und zur Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus im Allgemeinen konzentriert. Der Bericht soll die Wertschätzung für inspirierende Initiativen zum Ausdruck bringen, zu ähnlichen Aktivitäten ermutigen und Wege für weitere Verbesserungen vorschlagen.

Die in dem Bericht vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass die Anerkennung des Holocausts und die daraus abgeleiteten Lehren in jüngster Zeit selbst in Ländern, in denen Holocaust-Unterricht bisher unüblich war, einschließlich in Afrika und der arabischen Welt, zugenommen haben. Neben diesem positiven Trend wurden in Westeuropa, Amerika und Australien zahlreiche pädagogische, soziale und rechtliche Initiativen zur Bekämpfung von Holocaust-Leugnung und Antisemitismus ergriffen, was auf eine breite Anerkennung des Problems und seiner Schwere hindeutet.

Prof. Uriya Shavit, Leiterin des Zentrums: „Bedauerlicherweise muss man zugeben, dass trotz der weltweiten Unterstützung des Kampfes gegen Antisemitismus das Leben als Jude fast überall auf der Welt unsicherer geworden ist. Aber es ist keine Lösung, den Kampf aufzugeben. Wir müssen systematisch und auf vergleichende Weise lernen, was getan wurde und was verbessert werden kann.

Prof. Shavit fügte hinzu: „Unser Ziel war es zwar, positive Initiativen zur Bekämpfung des Antisemitismus in der ganzen Welt hervorzuheben, aber wir haben zu Beginn des Berichts auch darauf hingewiesen, dass dieser Kampf nicht zur einzigen identitätsstiftenden Aufgabe jüdischer Intellektueller und Organisationen werden darf, dass der jüdische moralische Kompass nicht nur auf dieses Thema beschränkt sein darf und dass sich das Studium der jüdischen Geschichte nicht nur auf den Holocaust konzentrieren sollte. Israel kann nicht Vorbehalte gegenüber europäischen politischen Parteien mit faschistischen Wurzeln äußern und erwarten, dass man in Europa eine andere Haltung gegenüber israelischen Parteien mit faschistischen Wurzeln einnimmt“.

Der Bericht wurde von acht Experten aus verschiedenen Disziplinen verfasst, darunter: Dr. Carl Yonker, Projektleiter und Senior Researcher am Zentrum (Around the World: Regierungsinitiativen, rechtliche Entwicklungen; das Beispiel Zypern); die Gründerin des Zentrums, Prof. Dina Porat (Holocaust-Gedenken in Afrika); Dr. Ofir Winter (Die arabische Welt); Rechtsanwältin Talia Naamat (Rund um die Welt: Regierungsinitiativen, rechtliche Entwicklungen); und der Forscher Fabian Spengler (Fußball: Der Testfall Borussia Dortmund in Deutschland).

Er enthält eine ausführliche Diskussion über Zypern und stellt das Land als vorbildlich dar: Obwohl in den letzten Jahren keine antisemitischen Vorfälle in dem Land verzeichnet wurden, hat die Regierung den Schwerpunkt auf die Vermittlung der Geschichte des Holocaust und der daraus gezogenen Lehren im Bildungssystem, in den Strafverfolgungsbehörden und in Sportvereinen gelegt. Dieser Ansatz basiert auf einer proaktiven Sichtweise, einem allgemeinen Engagement zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und der Einsicht, dass das Lernen über den Holocaust und die Bekämpfung von Antisemitismus für eine Gesellschaft, die ihre demokratischen und liberalen Werte stärken will, von entscheidender Bedeutung ist.

Außerdem analysiert der Bericht das wachsende Interesse an der jüdischen Geschichte und dem Holocaust in mehreren afrikanischen Ländern, die eine Ähnlichkeit zwischen den Tragödien des jüdischen Volkes und den auf dem afrikanischen Kontinent begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit sehen. Dieses Gefühl kommt beispielsweise im Genocide Memorial National Museum in Ruanda zum Ausdruck, das an den Völkermord an der Tutsi-Minderheit des Landes erinnert, der vier Jahrzehnte nach dem Holocaust stattfand, während die Welt schweigend zusah.

Dem Bericht zufolge war in diesem Jahr in mehreren arabischen Ländern ein ermutigender Trend zu beobachten: Die Anerkennung der Geschichte des Antisemitismus und der Verbrechen der Nazis nimmt zu. So nahm Ägypten im Januar 2022 an einer Sitzung der UN-Generalversammlung teil, die eine Resolution zur Verurteilung der Holocaust-Leugnung verabschiedete. Der ägyptische Botschafter bei den Vereinten Nationen übermittelte den arabischen Konsens zu dieser Resolution.

Dieser positive Trend spiegelt einen bedeutenden Umschwung im arabischen Diskurs über die jüdische Geschichte wider. Dies zeigte sich in einer ganzen Reihe neuer Initiativen, einige davon im literarischen Bereich, die die Bewahrung des jüdischen Erbes in mehreren arabischen Ländern, darunter Saudi-Arabien, Ägypten und Marokko, fördern. Diese Projekte werden in dem Bericht ausführlich beschrieben.

Auch in ehemals kommunistischen Ländern wurden bedeutende positive Entwicklungen beobachtet. Im Dezember 2021 startete das Elie Wiesel National Institute for the Study of the Holocaust in Rumänien das Projekt „Stories from the Holocaust – Local Histories“. Ziel dieser Initiative war es, das Wissen der Rumänen über die Geschichte ihrer Gemeinden aus der Perspektive der während des Holocaust verfolgten Juden und Roma zu verbessern. Im Jahr 2022 umfasste das Projekt Straßenausstellungen, in denen die Lebensgeschichten von Juden und Roma und deren Leidensweg während dieser dunklen Zeit dargestellt wurden.

Im November 2022 organisierte das bulgarische Außenministerium eine internationale Konferenz zur Bekämpfung des Antisemitismus und zur Bewahrung des jüdischen Erbes.

Ein bedeutender Fortschritt bei der Bekämpfung des Antisemitismus wurde auch in der Ukraine verzeichnet. Im Februar 2022, nur eine Woche vor der faschistischen russischen Invasion, verabschiedete das ukrainische Parlament strenge Strafmaßnahmen für antisemitische Hassverbrechen: fünf bis acht Jahre Gefängnis für antisemitische Gewalt und eine hohe Geldstrafe für antijüdische Aufwiegelung.

Eine Welle von Bildungs- und Gesetzesinitiativen in Europa, Amerika und Australien
Der Bericht dokumentiert zahlreiche Initiativen, die im vergangenen Jahr in der westlichen Welt zur Bewahrung des jüdischen Erbes, zur Aufklärung über den Holocaust und zur Bekämpfung des Antisemitismus eingeführt wurden. Die Initiativen zeigen ein wachsendes Bewusstsein für die Gefahren, die von antisemitischer Propaganda im Internet ausgehen, sowie eine zunehmende Erkenntnis, wie wichtig es ist, jüngere Generationen über den Holocaust zu unterrichten.

Zu den bemerkenswerten Initiativen gehören:
Im Oktober 2022 beging die Europäische Kommission den ersten Jahrestag der „Strategie der Europäischen Union zur Bekämpfung von Antisemitismus und zur Förderung des jüdischen Lebens (2021-2030)“. Zu den Maßnahmen des ersten Jahres gehörten: die Bekämpfung von Antisemitismus im Internet, die Unterzeichnung der Wiener Erklärung durch elf EU-Mitgliedstaaten und mehrere internationale Organisationen, die sich zur Entwicklung einer gemeinsamen Standardmethode zur Erfassung antisemitischer Vorfälle verpflichteten, sowie der Start eines Projekts zum Schutz jüdischer Friedhöfe in Moldawien, der Ukraine, Georgien, Polen, Ungarn, der Slowakei und der Tschechischen Republik.

Im Anschluss an die Diskussionen im Jahr 2022 werden das Europäische Parlament und die Europäische Kommission voraussichtlich das Gesetz über digitale Dienste verabschieden, das Online-Plattformen dazu verpflichtet, Hassreden zu entfernen, Informationen über die Verwendung von Algorithmen bereitzustellen und klare Regeln für die Behandlung von Beschwerden im Zusammenhang mit Hassreden aufzustellen.

Im Januar 2022 wurde dem österreichischen Parlament der erste jährliche Umsetzungsbericht vorgelegt, in dem die Maßnahmen zur Umsetzung der nationalen Strategie zur Verhinderung und Bekämpfung aller Formen von Antisemitismus aufgeführt sind. Zu den Maßnahmen gehörten der Schutz des jüdischen Lebens im Land und die Sicherung der Zukunft der jüdischen Gemeinde, die Annahme der IHRA-Arbeitsdefinition durch die österreichische Fußball-Bundesliga, die Abhaltung von Seminaren über Antisemitismus für Polizeibeamte und die Initiierung einer Erklärung gegen Antisemitismus im UN-Menschenrechtsrat.

Im März 2022 ernannte der Senat der Vereinigten Staaten die Historikerin Prof. Deborah Lipstadt zur ersten Sonderbotschafterin des Landes für die Überwachung und Bekämpfung von Antisemitismus. Im Sommer reiste Lipstadt nach Israel, Saudi-Arabien und in die Vereinigten Arabischen Emirate. Im März unterzeichnete Präsident Biden das Finanzierungspaket der Bundesregierung für 2022 in Höhe von 2 Millionen US-Dollar zur Umsetzung des Never Again Education Act. Diese Mittel werden für die Ausbildung von Lehrern durch das US Holocaust Memorial Museum sowie für spezielle Aktivitäten zur Überwachung und Bekämpfung des weltweiten Antisemitismus verwendet. Die Gouverneurin von New York, Kathy Hochul, unterzeichnete drei Gesetzesentwürfe, die sicherstellen sollen, dass in den Schulen des Bundesstaates eine qualitativ hochwertige Holocaust-Erziehung stattfindet, dass die Museen die vom Naziregime gestohlenen Kunstwerke anerkennen und dass die Überlebenden des Holocaust ihre Entschädigungszahlungen aus Deutschland in voller Höhe erhalten. Mehrere US-Bundesstaaten, darunter New York, Iowa, New Mexico und Arizona, haben die IHRA-Definition von Antisemitismus übernommen.

Im April brachte Kanada einen Gesetzentwurf auf Bundesebene ein, der Strafen für die Leugnung, Duldung oder Verharmlosung des Holocausts vorsieht und 70 Millionen Dollar für die Finanzierung von Initiativen der jüdischen Gemeinde bereitstellt. Die Stadt Toronto hat eine neue öffentliche Aufklärungskampagne mit dem Titel „Toronto for All“ gestartet, um das Bewusstsein für Antisemitismus zu schärfen. Die Kampagne ruft die Bürger der Stadt auf, sich über die jüdische Gemeinschaft und Antisemitismus zu informieren, integrative Räume zu schaffen und sich Gehör zu verschaffen, wenn sie Zeugen von Vorurteilen und Hass werden. Die kanadischen Provinzen British Columbia und Alberta haben die IHRA-Definition von Antisemitismus übernommen.

Im Juli gab die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Zusammenarbeit mit dem American Jewish Committee (AJC) ein spanischsprachiges Handbuch mit dem Titel „Handbook for the Practical Use of the IHRA Working Definition of Antisemitism“ heraus. Guatemala und Kolumbien nahmen die IHRA-Definition von Antisemitismus an und schlossen sich damit der Verpflichtung der Vereinigten Staaten, Kanadas und Argentiniens an, Antisemitismus in der gesamten westlichen Hemisphäre zu bekämpfen.

Auch in Australien gab es mehrere positive Initiativen. New South Wales, Victoria und South Australia haben die IHRA-Definition von Antisemitismus übernommen. Victoria und NSW verabschiedeten Gesetze, die die öffentliche Zurschaustellung von Nazi-Symbolen, insbesondere des Hakenkreuzes, unter Androhung einer Höchststrafe von einem Jahr Gefängnis und/oder einer hohen Geldstrafe verbieten. Queensland und Tasmanien führten ebenfalls Gesetze zum Verbot von Nazi-Symbolen ein.

Borussia Dortmund, der größte deutsche Fußballverein, kommt von der Ersatzbank
Der Bericht präsentiert eine detaillierte Fallstudie über den Wandel des deutschen Fußballvereins Borussia Dortmund, der sich als Vorbild für andere europäische Sportvereine und -organisationen im Kampf gegen Antisemitismus engagiert. Der Verein, der in der Vergangenheit ein fruchtbarer Boden für die Aktivitäten neonazistischer Pseudo-Fans war, tritt heute aktiv und entschieden gegen Antisemitismus auf. Unter anderem führt der Verein Bildungsreisen für junge Fans in Konzentrationslager durch und arbeitet eng mit Yad Vashem zusammen.