Jom haZikaron und Jom haAtzma’ut

Jom haAtzma'ut
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JOM HAZIKARON 2022/5782 UND DAS GEDENKEN AN DEN 4. MAI KURZ VOR JOM HA’ATSMAUT UND DER BEFREIUNG AM 5. MAI

 Jom Hazikaron fangt hier in Israel am Dienstagabend dem 3. Mai an und wird 4. Mai den ganzen Tag gefeiert, dieses Jahr zusammen mit dem 4. Mai in den Niederlanden.

 

Jizkor ist Gedenken

Jizkor, möge G’tt all der Opfer des Zweiten Weltkriegs gedenken.

Möge G’tt den vielen tapferen Männer und Frauen gedenken, die ihr Leben für das Jüdische Volk und das Jüdische Land gegeben haben. Mögen alle ihre Seelen im Bündel des Lebens gebündelt werden.

 

Hilft das Erinnern bei der Trauerbewältigung?

Die Entschlossenheit, sich zu erinnern, die Bedeutung, die alle um mich herum diesen „memorial-days“ – in den Niederlanden und in Israel – beimessen, scheint darauf hinzuweisen, dass wir mit unserer Geschichte leben und dass das Erinnern uns hilft, weiterzukommen. Aber ist das wirklich der Fall? Bieten uns diese Momente echten Trost? Helfen sie uns, all die Zerstörung, das unendliche Leid, den Verlust all dieser tapferen Jungen, Mädchen, Männer und Frauen zu verarbeiten?

  

Der Gefühllosigkeit entgegenwirken

Viele Menschen stehen bei den Gedenkfeiern am Mittwochabend – hier und in den Niederlanden – in bitteren Tränen, aber leider gibt es immer wieder eine Reihe von völlig unsensiblen Menschen, die nicht den geringsten Respekt vor den Gefühlen von ‚Menschen, die alles erlebt haben‘ aufbringen können.

Gerade deshalb sind diese Gedenkfeiern so unglaublich wichtig. Um all der Gefühllosigkeit, Selbstgefälligkeit und Egozentrik entgegenzuwirken, die unsere moderne Gesellschaft kennzeichnen.

 

Das Gedenken erinnert uns an die Hoffnung und die Zukunft

Wir können und müssen zeigen, dass die Erinnerung an all das Leid und Unglück notwendig ist, um uns an bessere Zeiten zu erinnern, die unvermeidlich kommen werden. Das Böse wird nicht immer herrschen. Wir leben vor Messianischen Zeiten. In diesen Zeiten spielt die Hauptstadt Israels, Jerusalem, eine wichtige Rolle. Jerusalem hätte die Hauptstadt des Friedens sein sollen, doch im Vorfeld besserer und hoffnungsvollerer Zeiten ist sie leider zu einem Schlachtfeld widerstreitender Gefühle und Interessen geworden.

 

Israel: auch Schmerz und Trübsal

G’tt hat seinen Plan gezeichnet. Wir singen weiterhin die Hatikwa – die Hoffnung – weil die Hoffnung uns durch alles hindurch getragen hat.  

Israel hat in den letzten 74 Jahren viel durchgemacht. Leider war auch davor die Alija nach Israel und das Leben im Heiligen Land nicht immer nur rosig. Es gibt ein bekanntes talmudisches Sprichwort: „Israel wird mit jisurim – Schmerz und Trübsal – erworben“.

 

Negativität wird uns nicht vom Kurs abbringen

Zum Glück hat Israel aber auch eine enorme Anziehungskraft. Israel inspiriert zu religiösem Handeln und Wachstum. Israel steht für eine glorreiche Zukunft, in der viel positiver Mut und Hoffnung zu spüren ist. Das jüdische Volk konnte alle Pogrome, Verfolgungen und Zerstörungen überleben, weil es immer so sehr von Messianischer Hoffnung erfüllt war – Hatikwa bedeutet „die Hoffnung“ -, dass es durch nichts Negatives aus dem Gleichgewicht gebracht werden konnte.

  

Paradoxe Gefühle bei Gedenkfeiern

Wir gedenken. Am Jom Hazikkaron und am Vorabend des 4. Mai stehen wir traditionell vor einer wunderschönen untergehenden Sonne zusammen, allein und traurig. In der Regel kommen ein paar Glaubens- und Leidensgenossen auf mich zu und – während wir auf die ohrenbetäubende Stille warten – unterhalten wir uns über gemeinsame Familien, die jüngsten Ereignisse in Israel oder in unserer dezimierten Niederländisch-jüdischen Gemeinschaft.

 

Unterdrückung unserer Gefühle?

Als Psychologe bin ich immer wieder erstaunt über unsere paradoxe Haltung gegenüber dem Erinnern. Gefühle werden in der Regel bequemerweise übergangen. Würde zu viel Gefühlsausdruck den Anstand und die Feierlichkeit der Gedenkfeier stören? Vielleicht. Wollen wir vielleicht nicht mit der Intensität unserer Gefühle in einer so öffentlichen und offensichtlichen Zusammenkunft konfrontiert werden? Selbst wenn ich mit der Generation der Shoah-Überlebenden spreche, bleibt es ein relativ leichtes Gespräch. Ich gehöre der zweiten Generation an. Ich kenne die Kriege – in den Niederlanden und in Israel – nur aus den Erzählungen der Überlebenden und aus den Büchern. Manchmal scheint es, als ob wir all das Elend lieber vergessen würden. Wir können nicht weiter mit der traurigen Vergangenheit leben. Wir müssen nach vorne schauen, in die Zukunft. Ja, das tun wir!

 

Trost bei Gedenkfeiern

Aber im Hinterkopf tragen wir ein sehr großes Trauma mit uns herum, das auch unsere Aufmerksamkeit verdient. Wir müssen auch lernen, damit umzugehen und sie zu bewältigen. Wir müssen mit dem Leiden umgehen, weil es uns sonst wirklich zerstören kann. Wenn wir all das Elend weiterhin verdrängen und „zudecken“, wird es irgendwann wie ein Bumerang zu uns zurückkommen. Dieses „unverarbeitete Leiden“ kann viel in unserem eigenen Erleben und in unserem sozialen Leben zerstören.

 

Konfrontation ist unverzichtbar

Wir müssen es wagen, uns damit zu konfrontieren. Die Konfrontation – und nicht die Flucht davor – ist für die Verarbeitung unerlässlich. Was müssen unsere Großeltern und Eltern, all die ermordeten Cousins und Cousinen, Tanten und Onkel durchgemacht haben? Was haben sie gefühlt? Warum haben die Überlebenden des Holocaust so wenig gesagt? Und meine wichtigste Frage ist immer: Finden sie und wir – ihre Kinder – Trost in diesen Zeremonien? Ich frage mich, ob das auch für unsere – zweite – Generation gilt.

Und wenn wir über das Gedenken an den 4. Mai in den Niederlanden sprechen: Wie können wir den Verlust von fast einem ganzen Volk verarbeiten? Die Niederländisch-jüdische Bevölkerung wurde nahezu dezimiert. Können wir getröstet werden? Wollen wir vielleicht überhaupt nicht getröstet werden? Würden wir lieber bei unseren Toten bleiben?

Nein, das wäre nur destruktiv. Wir müssen uns der Zerstörung stellen. Deshalb sind Gedenkfeiern so notwendig und wichtig.

 

JOM HA’ATSMAUT UND DER BEFREIUNGSTAG FALLEN AUF DEN 5. MAI DIESES JAHRES: Das ist kein Zufall

KIBBUZ GALUJOT ODER DIE SAMMLUNG DER VERBANNTEN VON DEN VIER ECKEN DER ERDE: EIN VORBOTE DER MESSIANISCHEN ZEITEN, ebenfalls aus den Niederlanden realisiert

EIN ECHTER GRUND, DIESE TAGE MIT ALLEN HINTERGRÜNDEN ZU FEIERN

Datum

Jom Ha’atsmaut wird am 5. des zweiten Monats Ijar (April) gefeiert. Aber der 5. Ijar – übrigens mein Geburtstag – fällt dieses Jahr auf einen Freitag. Die Feier des israelischen Unabhängigkeitstages lässt sich nicht mit der Vorbereitung auf den heiligsten Tag der Woche, den Schabbat, vereinbaren. Deshalb feiern wir Jom Ha’atsmaut am Donnerstag, der in diesem Jahr genau mit dem Befreiungstag am 5. Mai zusammenfällt.

 

Was machen wir am Befreiungstag?

Zuallererst spenden wir uns gegenseitig eine Tasse Trost. Wir beklagen uns über die Vergangenheit. Aber dieses Klagen religiöser Menschen ist immer ein Anlauf zu tiefem Vertrauen, zum Glauben an den Allmächtigen, zur Freude über die Zukunft und zu einem unendlichen Hoffnungsstrom. Wir hatten Hitler überlebt – wenn auch schwer traumatisiert und dezimiert. Viele niederländische Juden gingen auf der Suche nach einer neuen Zukunft als Alija nach Israel. So entstand ein kleiner Kibbuz Galujot, eine Rückkehr der Israeliten im Rahmen einer weltweiten Umkehr und Rückkehr in das Land der Väter. Die nicht-jüdischen Niederlande leisteten große Unterstützung.

Der Königstag wird hier gefeiert

Aber viele Niederländische Juden blieben auch in Israel in Kontakt. Sogar der Geburtstag unseres Königs Willem Alexander wird hier bis heute gefeiert. Der niederländische Botschafter in Israel feierte den Königstag mit der Niederländischen Schule. Sie organisierten einen echten original Holländischen Trödelmarkt. Und was haben wir getan? Wir haben alle alten Sachen aus dem Keller und vom Dachboden geholt und durften sie irgendwo in Tel Aviv verkaufen – auf einem eigens dafür reservierten Platz. Wir haben den Holländischen Handelsgeist mitgenommen.

Jom Ha’atsmaut im Jahr 1948

Jeder vernünftig denkende Israeli feiert den Jom Ha’atsmaut mit einem Grillfest. Das schweißt die Menschen zusammen. Aber inhaltlich hoffen und beten wir, dass wir in Frieden leben dürfen. Es geht natürlich um die Bedeutung der Befreiung. Im Jahr 1948 lebten 600.000 Juden in Israel. Israel erklärte seine Unabhängigkeit, die Briten zogen ab und alle Nachbarländer erklärten dem jungen jüdischen Staat sofort den Krieg. Gttseidank haben wir diesen Unabhängigkeitskrieg überlebt. Es war ein Wunder. Und es bleibt ein Wunder.

 

Jom Ha’atsmaut heute

Seitdem sind viele Menschen nach Israel ausgewandert. Es war ein wahrer Kibbuz Galujot – eine Ansammlung von Exilanten und Ausgestoßenen aus allen vier Himmelsrichtungen der Erde. Dies wurde vor mehr als drei Jahrtausenden von großen biblischen Geistern, unseren Propheten, vorausgesagt. Der erste war Mosche Rabbenu, Moses unser Lehrer.

Zum ersten Mal als Israeli im Gelobten Land

Kurz bevor er das Heilige Land betritt, sagt er voraus, dass die Israeliten sündigen und aus Israel vertrieben werden. Aber danach verspricht Mosche (Dtn 30,1-7), dass sie aus den Völkern gesammelt werden und nach Israel zurückkehren. Ich bin auch ein „Rückkehrer“, der übrigens schon immer nach Israel gehen wollte, was aber aufgrund der Umstände nicht sofort gelang. Jetzt feiere ich zum ersten Mal in meinem Leben den Jom Ha’atsmaut als Israeli im Gelobten Land.

Der Rückkehrtext aus der Tora

Ich lasse Mosche Rabbenu, Moses selbst, sprechen: „Es soll geschehen, wenn all dies, der Segen und der Fluch, den ich dir auferlegt habe, über dich kommen wird, dass du es dir wieder zu Herzen nimmst unter all den Völkern, in die dich dein G’tt vertrieben hat. Und du sollst dich zu deinem G’tt bekehren und Seiner Stimme gehorchen, du und deine Kinder, von ganzem Herzen und von ganzer Seele, nach allem, was ich dir heute gebiete. Dann wird euer G’tt eure Gefangenschaft umkehren und Sich eurer erbarmen. Er wird euch aus allen Völkern, in die euer G’tt euch zerstreut hat, wieder zusammenführen. Auch wenn ihr im Exil am Ende des Himmels wart, wird euer G’tt euch sammeln und von dort wegbringen. Und dein G’tt wird dich in das Land bringen, das deine Väter besessen haben, und du wirst es wieder in Besitz nehmen; und Er wird dir Gutes tun und dich zahlreicher machen als deine Väter. Dein G’tt soll dein Herz und die Herzen deiner Nachkommen beschneiden, damit du deinen G’tt von ganzem Herzen und von ganzer Seele liebst, damit du lebst. Euer G’tt wird alle diese Flüche auf eure Feinde und auf die, die euch hassen und verfolgen, legen“. Zitat Ende.

Segnung und Verfluchung

Wir haben den Fluch erlebt, für den wir am 5. Mai den Befreiungstag feiern. Wir haben den Segen erfahren, weil wir unsere Identität im Laufe der Geschichte bewahrt haben. Ich möchte drei Punkte aus dieser Prophezeiung hervorheben:

1.    Wir haben uns tatsächlich bekehrt und sind zum Judentum zurückgekehrt. Das Judentum hat nie so geblüht wie heute.

2.    Wir sind zahlreicher geworden als unsere Vorfahren (obwohl wir immer noch ein relativ kleines Volk sind, wie es in der Bibel heißt (Dtn 7,7): „Nicht weil du größer warst als alle anderen Völker, hat G’tt Liebe zu dir empfunden und dich erwählt; denn du warst das kleinste aller Völker“).

3.    Und wir sind aus allen Teilen der Welt zurückgekehrt.

Cromwell und Menasche ben Israel: das Verdienst der Niederlande

In den Niederlanden lebte ein sephardischer Rabbiner, der 1604 in Lissabon geboren wurde. Er zog nach Amsterdam, wo er viel schrieb und veröffentlichte und schließlich Rabbiner der berühmten Amsterdamer Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde wurde. Menasche ben Israel war überzeugt, dass die Messianische Zeit erst dann kommen würde, wenn die Juden in der ganzen Welt verstreut wären. Im Jahr 1290 waren die Juden von König Edward I. aus England vertrieben worden. Menasche ben Israel betrachtete England als eines der vier Enden der Welt.  Er schrieb 1651 einen Brief an Cromwell, um die Juden wieder nach England zu lassen. Von Middelburg aus segelte Menasche ben Israel nach London, um seinen Fall vorzutragen. Im Jahr 1656 wurde dies tatsächlich erlaubt, und seither gibt es in England eine große jüdische Gemeinde.

eine gigantische Völkerwanderung

Damit sind wir nun in eine gigantische Völkerwanderung eingetreten, die der Prophezeiung des Moses durchaus gerecht wird. Am Jisrael Chai – das jüdische Volk lebt!

Autor: © Oberrabbiner Raphael Evers