Einige Wochen vor Pessach machten wir uns sehr früh morgens auf den Weg zur einzigen Mazzebäckerei in der Umgebung von Düsseldorf, der Hollandia Mazzebäckerei in Enschede (Niederlande). Dieses Jahr waren wir mit einer speziellen Delegation des Rabbinates Düsseldorf und des Oberrabbinates der Niederlande dort zu Besuch.
Dort, in Enschede, wo das ganze Jahr hindurch Mazzoth gebacken werden, erteilt der Direktor, Udo Karsemeijer, jedes Jahr traditionellen Juden die Erlaubnis, selber spezielle Mazzoth für den Seder-Abend zu backen. Dieses sind die sogenannten „Schmura-Mazzot“, wörtlich speziell „bewachte“ Mazzot, die mit einem speziellen „bewachten“ Mehl gebacken werden. Das Korn für diese speziellen Mazzot wird auf eine besondere Art geerntet.
Im Dorf Tjuchum in Nord-Holland wird an EINEM Tag im Jahr, unter Aufsicht von EINEM der Rabbiner, das Korn, das für diese spezielle Mazzot verwendet wird, geerntet. Das erfolgt auf eine besondere Weise, bei der die Mähmaschine im Vorfeld gesäubert wird, die Halme untersucht und unter dem wachsamen Auge des Rabbiners zur Bereitung des Mehls aussortiert werden.
Alle Säcke mit Mehl werden mit einem Rabbinats-Siegel versehen und in gesonderten Silos in der Mazzefabrik untergebracht.
Anschließend fängt der eigentliche Vorgang des Mazzoth-Backen erst an: der zähe Teig wird in die Maschine eingebracht und kommt als lederähnliche Masse heraus. Drei Walzen sorgen dafür, dass der Teig seine richtige Dicke erhält, d.h., wie dick die fertige Mazza wird.
Anschließend werden die kleinen Löcher in den Teig gestochen und die Mazza erhält ihre künftige genaue Form. Die Löchelchen dienen dazu, damit das Wasser im Teig während des Backvorganges verdampfen kann, da sonst ein hoher „Kuchen“ entstehen würde, ähnlich dem Brot, das die Araber in Israel gewöhnlich essen.
RUNDE MAZZOT
Nur in den Niederlanden und in Deutschland essen die Juden RUNDE Mazzot. In alle anderen Länder, in die Hollandia ihre Erzeugnisse exportiert – Norwegen, Schweden, Dänemark, Belgien, Frankreich, Spanien, Portugal, Rumänien, Jugoslawien, Nord-Afrika, Afghanistan und England-, gehen viereckige Mazzot.
Die runde oder viereckige Mazze wird anschließend aus dem Teig „ausgestanzt“ (zurechtgeschnitten) und landet dann im Backofen. Genau 35 Sekunden bleibt die Mazze im Ofen (die Schmura-Mazzen sind dicker und erfordern 55 Sekunden) und dann ist die Mazze endlich fertig.
VON 36 ZU 42 MAZZOT
Früher gelangten die Mazzot über ein Förderband in die Einpack-Abteilung, wo 8 Frauen dafür sorgten, dass in jedes Paket 2,5 Kg. Mazzot kamen. Möchten Sie wissen, wieso es genau 2,5 Kg. sein müssen?
2,5 Kg ist die Menge an Mazzot, die ein Erwachsener während der 8 Tage Pessach zu essen pflegt und das sind dann 80 runde oder 90 viereckige Mazzot. Heutzutage verpackt man 1 Kg. Mazzot je Packung und alles erfolgt maschinell.
Bis zum heutigen Jahr wogen 36 Mazzot 1 Kg. Die Rebbezin Frau Evers hat beim Direktor Karsemeijer für dünnere und knusprigere Seder-Mazzot plädiert. Es wurden Proben genommen und es klappte! Dieses Jahr werden die Seder-Mazzot besser schmecken. Und jetzt passen 42 Mazzot in 1 Kg.
Aber bevor wir überhaupt mit dem Backen beginnen können, wird die gesamte Hollandia-Fabrik durch 2 religiöse Aufseher des Niederländischen Oberrabbinates gründlich und in Gänze gesäubert. Das anschließende Backen der speziellen „Schmura-Mazzot“ darf höchstens 18 Minuten dauern.
Manche Leute essen die maschinell gebackenen Mazzot während der gesamten Pessach-Zeit. Aber am Sederabend verwenden andere lieber von Hand hergestellte Mazzot. Diese Mazzot werden gesondert entweder in Antwerpen oder in Israel bestellt.
EINE VON HAND GEBACKENE ODER MASCHINELL GEBACKENE MAZZA?
Was ist nun eigentlich besser, eine von Hand gebackene oder eine maschinell gebackene Mazza? Dieses ist eine Frage, die die Gemüter des vergangenen Jahrhunderts ernsthaft bewegte und auch heutzutage noch äußerst aktuell ist.
So kann es geschehen, dass jemand aus der Gruppe der „von Hand gebackenen Mazza“ Ihnen auf der Strasse oder in der Synagoge vorwirft, dass Sie maschinell gebackene Mazzot essen und dass dieses „vollkommen Chametz“ (also unkoscher) sein würde. Dieses ist sicherlich unrichtig, aber was ist nun Sache?
3300 JAHRE BEREITS VON HAND GEBACKEN
Während der vergangenen 3300 Jahre wurden alle Mazzot von Hand hergestellt und gebacken. Dieses hatte Vor- und Nachteile. Der Vorteil war, dass jeder Backvorgang mit einer guten Kawana (Absicht) erfolgte, um die Mitzwa (das Gebot) des Essens von Mazzot am Sederabend zu erfüllen. Aber der Nachteil war, dass das Backen nicht immer gleich schnell erfolgte. Dieses letztere ist jedoch massgeblich bei den Mazzot wichtig, da wir annehmen, dass der Teig nach achtzehn Minuten regungslosem Liegen bereits am gären ist und chametz (am Aufgehen) -und somit verboten – wird.
In der halachischen Literatur werden verschiedene Gründe genannt, weshalb maschinell gebackene Mazzot weniger gute Mazzot sind:
- Es fehlt genügend Kawana (Absicht) beim Mengen, Kneten und Backen, da der einzige Augenblick, in dem ein Maschgiach (religiöser Aufseher) eine richtige Kawana bei der Mazzot-Herstellung einbringen kann nur der ist, wenn er auf den elektrischen Knopf drückt, der die Maschinen in Betrieb setzt. Dieser Augenblick ist wohl sehr kurz und außerdem ist es nicht sein Koach (Kraft), der die Räder in Bewegung setzt, sondern die Kraft der elektrischen Spannungsfelder.
- Dieses ist kein Koach Gawra (menschliche Kraft) und kann keine gültige Absicht in den Teig übertragen, aus dem die Mazza hergestellt wird.
- Außerdem bestand die Befürchtung (Chashjash), dass nicht alle Bestandteile der Maschinen richtig gesäubert werden können.
- Andere hatten die Befürchtung, dass der Teig sich durch die Geschwindigkeit der sich bewegenden oder rotierenden Maschinen-Teile zu sehr erhitzen würde, wodurch frühzeitig „chimutz“ (Gährung) entsteht und die Mazzot auch in weniger als achtzehn Minuten mit dem Prozess „in die Höhe wachsend“ beginnen würden.
- Und letztendlich befürchtete der Minchat Jitzhak, dass der Teig auch innerhalb von 18 Minuten, durch den Kontakt des langen Teigkörpers mit dem sehr heißen Ofen, beginnen würde, auf zu gehen.
Die großen Poskim (halachische Entscheidungspersonen wie der Or Sameach und Rabbi Chaim Oser Grodsinsky) meinen aber, dass maschinell gebackene Mazzot heutzutage ganz in Ordnung sind.
SEDERABEND
Nach diesen wochenlangen Vorbereitungen bricht dann endlich der Sederabend herein. Am Vorabend diese Tages haben wir dann noch das ganze Haus oder die Wohnung, das Auto, die Synagoge und unser Büro mit einer brennenden Kerze durchsucht, um fest zu stellen, ob alles Chametz (gesäuerte Esswaren/Produkte) wirklich ganz entfernt wurden. Davor oder danach wird das Chametz an das Rabbinat verkauft.
Morgens gehen wir dann noch um 11 Uhr in die Synagoge bezw. in die Gemeinde, um das restliche Brot zu verbrennen. Danach erklären wir im Namen der gesamten Familie, dass alle mit zum Säuern versehenen Produkte, alles Chametz „dass ich gesehen und nicht gesehen habe, dass ich weg geräumt oder nicht weg geräumt habe, als wertlos und als irdischer Staub“ zu betrachten sind.
Sie können mit einem ruhigen Herzen die Pessachzeit beginnen, ohne Chametz und mit den herrlichen knusprigen Mazzot auf dem Tisch! Chag Sameach!!
Autor: Oberrabbiner Raphael Evers