INZEST, VERBOTENE BEZIEHUNGEN, EHEHINDERNISSE UND HEILIGKEIT

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In der Mitte des dritten Buches der Tora, Levitikus, werden nicht weniger als 24 verbotene sexuelle Beziehungen behandelt. Der Text ist eindeutig (Lev. 18:1 ff.): „G’tt sprach zu Mose: ‚Sprich zu den Israeliten und sag zu ihnen: Ich bin dein G’tt. Ihr dürft nicht nach den Sitten des Landes Ägypten leben, in dem ihr gelebt habt, und auch nicht nach den Sitten des Landes Kanaan, in das Ich euch bringe. Ihr dürft nicht in ihre Verordnungen eintreten. Ihr müsst Meine Satzungen halten und meine Gebote beachten, indem ihr in ihnen geht. Ich bin dein G’tt. Ihr müsst Meine Gesetze und Verordnungen einhalten. Der Mensch, der sie befolgt, wird nach ihnen leben. Ich bin G’tt. Niemand darf sich einem Blutsverwandten seiner eigenen Familie nähern, um seine Schamteile zu entblößen. Ich bin G’tt. Du darfst die Scham deines Vaters, die Schamteile deiner Mutter nicht entblößen. Sie ist deine Mutter, du darfst ihre Schamteile nicht entblößen. Du darfst die Schamteile der Frau deines Vaters nicht entblößen. Es ist die Schande deines Vaters. Die Schamteile deiner Schwester, der Tochter deines Vaters oder der Tochter deiner Mutter, ob sie nun in dieser Familie oder außerhalb geboren wurde, darfst du nicht entblößen.“ Ende des Zitats.

 

Anonyme Website

Ein bekannter israelischer Rabbiner eröffnete vor drei Jahrzehnten eine Website, auf der jeder anonym seine Fragen stellen konnte. Seitdem hat er 70.000 Fragen beantwortet. Aufgrund der Anonymität trauten sich die Menschen, dem Rabbiner ihre Probleme öffentlich und ohne Angst oder Scham vorzutragen. Es stellte sich heraus, dass es viele eheliche Probleme gab. Auch die Scheidungsrate ist hier erschreckend hoch. Der Rabbiner erzählte von seinen Erfahrungen.

Er erklärte, dass es in der Tora viele Verbote gegen verbotene sexuelle Beziehungen gibt, weil sie die Gesellschaft stören und unmoralisch machen. Am Ende wird eine solche Gesellschaft zerfallen.

 

Wichtige Dinge werden geschützt

Dinge, die im Leben wichtig sind, werden durch Erziehung, Gesetzgebung, Rechtsprechung und gesellschaftliche Tabus geschützt. Wenn die Tora verschiedene verbotene Beziehungen deutlich und oft verbietet, können wir davon ausgehen, dass der Allmächtige auf (verborgene) Strukturen und Mechanismen hinweisen will, die für uns als Individuen oder für uns als Gesellschaft wichtig sind. Deshalb haben unsere Weisen weitere Zäune um sie herum errichtet, damit man nicht zu leicht gegen das Kernverbot verstößt.

 

Manchmal verbietet die Tora sogar die Annäherung

Aber es gibt zwei Verbote, die die Tora selbst mit Zäunen umgibt, weil sie für eine gute und enge Gemeinschaft so wichtig sind.

Das erste Verbot lautet (Ex 24,7): „Von der Lüge sollst du dich fernhalten“. Wir dürfen nicht mit der Wahrheit schummeln. Wir dürfen nicht nur nicht lügen, betrügen oder die Unwahrheit sagen. Wir müssen uns sogar von ihnen fernhalten.

Das zweite (sexuelle) Verbot findet sich in Levitikus (19:18). Hier heißt es nicht nur, dassder Geschlechtsverkehr verboten ist, sondern auch, dass man sich ihr nicht nähern darf. Die Tora schreibt vor, dass man sich auch nicht gegenseitig berühren soll, um die Versuchung des Geschlechtsverkehrs zu vermeiden. Der Hautkontakt kann intensiv sein.

 

Die Tora selbst verbietet die Umzäunungen

Warum verbietet die Tora selbst diese Umzäunungen? Auf dem Bahnsteig der U-Bahn gibt es oft eine gelbe Linie, um Unfälle zu vermeiden. Bis hierher und nicht weiter! Wenn man den Zügen zu nahekommt, ist man in Gefahr. Deshalb sind viele Bahnsteige mit farbigen Streifen versehen, um auf die Gefahr hinzuweisen. Geh nicht zu nah an gefährliche Dinge heran! Vergessen Sie das Wesentliche im Leben nicht.

 

Unehrlichkeit und sexuelle Belästigung

Der Internet-Rabbiner entdeckte zu seinem Erstaunen, dass 70 % der gescheiterten Ehen mit diesen beiden Vergehen verbunden waren: Die Ehepartner sprachen die Unwahrheit miteinander oder sie hielten sich nicht an die sexuellen Vorschriften. Wo die Tora davor warnt, auch nur den Anschein von Unwahrhaftigkeit zu erwecken oder zu viel verbotene körperliche Nähe zu vermeiden, sind die sensiblen Punkte in einer Beziehung. Ein Verstoß gegen diese beiden Grundprinzipien erweist sich als der größte Stolperstein für eine gute Ehe.

  

Gründe

Vor dem Hintergrund der Heiratsverbote – „Keiner von euch soll sich einer Blutsverwandten nähern, um ihre Scham zu entblößen“ – nimmt der Rabbiner Awraham ibn Esra aus dem 12. Jahrhundert klar Stellung. Der Mensch muss seine Familienbande durchtrennen, um sich fortzupflanzen. Er muss sich einen Partner außerhalb des engsten Familienkreises suchen. Sehr nahe Verwandte, die zu „leicht zugänglich“ sind, wurden verboten.

Sein Zeitgenosse Maimonides erklärt, dass es für den „Stamm“ (den Vater) beschämend wäre, mit dem „Zweig“ – seiner Tochter – zusammenzuleben.

Laut Nachmanides (13. Jahrhundert) wäre die einzige logische Begründung eine medizinische. Es hat sich gezeigt, dass eine zu enge familiäre Beziehung zwischen den Eltern einen negativen Einfluss auf den Nachwuchs hat.

Rabbi Menachem Recanati (13. Jahrhundert, Italien) erklärt dies. G’tt hatte bei der Schöpfung vorgesehen, dass die „Äste und Zweige“, die aus dem großen Stamm sprießen, jeweils ihren eigenen Beitrag zum Wohlergehen der Welt leisten. Würden sie in den Hauptstamm zurückwachsen, würde der Baum verdorren“. Zu enge Familienbande sind nicht gut für die Menschheit.

 

Das erste, was Sie Oben gefragt werden

In der Geschichte des Jüdischen Volkes galt die Familie und nicht die Synagoge als die grundlegende Einheit des Jüdischen Lebens. Die wichtigsten Erfahrungen im Jüdischen Leben werden in der Familie gemacht. Die Synagoge spielt nur die zweite Geige. Daher ist die Ehe nicht der freien Entscheidung des Einzelnen überlassen. Die Ehe ist verpflichtend, und der Talmud (B.T. Schabbat 31a) besagt, dass in der zukünftigen Welt die ersten drei Fragen, die einem Menschen gestellt werden, lauten: „Haben Sie ehrlich und fair gehandelt? Haben Sie sich die Zeit genommen, Tora zu lernen? Haben Sie eine Familie gegründet?“.

 

In gegenseitigem Einvernehmen zu humanen und religiösen Höhen gelangen

Nach der Tora geht es bei der Ehe nicht nur um das Körperliche. Es bedeutet, dass zwei Menschen es schaffen, eine Beziehung aufzubauen, die so erfolgreich ist, dass sie als Einheit denken und handeln und ihr Leben miteinander teilen wollen, um gemeinsam Kinder auf die Welt vorzubereiten. Die Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau ist einzigartig. Nur diese Partnerschaft birgt das Potenzial der Schöpfung, der Erschaffung neuen Lebens, eine der einzigartigen Eigenschaften G’ttes Selbst.

 

Je komplexer die Lebensform desto notwendiger die Beziehung

Je komplexer die Lebensform ist, desto notwendiger, dauerhafter und intensiver ist die Beziehung, die sich zwischen Eltern und Kind entwickelt. Da Tiere ihren Kindern wenig beibringen und keine Traditionen weitergeben können, besteht auch keine Notwendigkeit, ihre Kinder zu erziehen. Es gibt keine Notwendigkeit für ein Familienleben, denn es gibt keine Traditionen, keine Beziehungen, keine Disziplin, keine Ziele und keine Ideale.

 

Traditionen, Ideale und Ziele

Das menschliche Kind ist gerade deshalb so hilflos, weil es so viel zu lernen hat. Traditionen, Ideale und Ziele. Deshalb spielen die Eltern eine so wichtige Rolle beim Lernen, bei der Anregung und Motivation. Die Tora beschreibt den Menschen als ein sprechendes Wesen, und darin kommt die außergewöhnliche Natur des Menschen zum Ausdruck.

 

Ehe ist ein Dialog

Die Macht der Sprache ermöglicht es dem Menschen, zu kommunizieren, um sein geistiges Potenzial zu entwickeln. Die Ehe ist ein Dialog. Bei der Erschaffung des Menschen sah G’tt, dass es nicht gut ist, wenn der Mensch allein lebt. Der Mensch muss einen Partner finden, mit dem er versuchen kann, das menschliche und religiöse Wohl im Dialog zu erreichen.

 

Disziplin und Erhebung

Die Probleme unglücklicher Ehen stehen heutzutage im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die Folgen von schlechten Ehen sind unabsehbar. Die Tora ist unser Lebensgesetz, und es wäre sehr oberflächlich zu sagen, dass im Judentum kein Platz für diese Lebensfragen ist. Die Jüdische Lehre würde aufhören, ein Lebensgesetz zu sein, wenn sie nicht alles, was mit Ehe und Familie zu tun hat, regeln und disziplinieren und sie über das Tierische hinaus auf eine heilige Ebene heben würde.

 

Selbstbeherrschung und Erhebung

Die Symbolik der Ehe unterstützt beide Säulen der Jüdischen Moral: Selbstbeherrschung und Erhebung. Jede Eheschließung wird innerhalb der Gemeinschaft vor zwei Zeugen vollzogen, die die Gemeinschaft vertreten. Die Ehe ist eine gemeinschaftliche Angelegenheit, weil das Überleben des Jüdischen Volkes davon abhängt. Im Paralleldenken des Judentums symbolisiert die Ehe hier auf Erden auch die Beziehung zwischen G’tt und dem Menschen.

 

Enge Familienbeziehungen an der Wiege des Jüdischen Volkes?

Wir haben noch eine dringende Frage zu beantworten. Der italienische Kommentator Ovadja Sforno aus dem 16. Jahrhundert verweist auf enge Familienbeziehungen an der Wiege des Jüdischen Volkes. Awraham heiratete seine Halbschwester Sara, Jitzchak seine Nichte Rivka, Jaakow heiratete mehrere Schwestern und Amram heiratete seine Tante Jocheved. Doch aus dieser letzten Vereinigung gingen herausragende Jüdische Anführer hervor: Miriam, Aharon und Mosche!

 

Gute Motive gute Kinder

Da die Motive für die Heirat unserer Erzväter und -mütter rein und sauber waren, konnte die enge Familienbeziehung den Kindern nicht schaden. Sie haben nur geheiratet, um eine neue Generation von Dienern G’ttes in die Welt zu setzen. Heutzutage ist dies jedoch nicht mehr der Fall. Daher sind inzestuöse Beziehungen verboten.

 

Autor: © Oberrabbiner Raphael Evers

Foto: Day of Atonement | painting circa 1900 © Isidor Kaufmann