Zum 9. November durfte ich gestern an einer sehr besonderen Veranstaltung teilnehmen, die in Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde Hamburg, der Deutsch Israelischen Gesellschaft und unserem Büro stattfinden durfte.
Besonderer Dank gilt dabei dem Team der Zentralbibliothek Hamburg, die den Abend organisiert haben. Und natürlich Achim Doerfer, der sein Buch „Irgendwer musste die Täter ja bestrafen. Die Rache der Juden, das Versagen der deutschen Justiz nach 1945 und das Märchen deutsch-jüdischer Versöhnung“ an diesem Abend vorgestellt hat.
Ich durfte ein Grußwort sprechen und anschließend gemeinsam mit Eli Fel, Christoph Giesa und Achim Doerfer auf dem Podium diskutieren. Ein besonderes Anliegen war es mir eine andere Perspektive auf diesen Gedenktag einzunehmen. Den Ereignissen des Jahres 1938 werden – hört man sich einmal um – viele Namen zugeschrieben: Reichskristallnacht, Novemberpogrome oder Scherbennacht. Wenn wir heute aus einer jüdischen Perspektive über den 9. November sprechen, dann heißt das erstens, Antworten für eine jüdische Zukunft zu geben. Zweitens bedeutet es, stolz darauf zu sein, einer Gemeinschaft anzugehören, die sich gegen die bestialische Mordmaschinerie des Nationalsozialismus vielfach zur Wehr gesetzt hat. Über den 9. November zu sprechen, erinnert jedoch auch daran, dass die gemeinhin postulierte Aufarbeitung nur teilweise stattgefunden hat und dass sich gerade viele der Täterinnen und Täter überhaupt nicht verantworten mussten. Viele der Nutznießerinnen und Profiteure mussten ebenso wenig Verantwortung übernehmen.
Es ist wichtig darüber zu sprechen, dass überproportional viele Jüdinnen und Juden im spanischen Bürgerkrieg gegen den Faschismus kämpften. Es ist wichtig zu wissen, dass eine halbe Million sowjetischer Jüdinnen und Juden in der Roten Armee gegen die Nationalsozialisten kämpften. In den westlichen alliierten Streitkräften kämpfte ebenfalls eine große Zahl jüdischer Freiwilliger. Es ist wichtig, an den Widerstand zu erinnern und daran, dass dieser in Deutschland selbst beinahe unmöglich war – denn es waren eben nicht fast 20 Prozent der Bevölkerung bereit, Jüdinnen und Juden zu helfen. Diese Menschen waren Heldinnen und Helden. Nicht wenige meine Freunde haben Großeltern, die im Großen vaterländischen Krieg der Sowjets dazu beigetragen haben, dass Vernichtungslager wie Auschwitz oder Majdanek befreitet wurden, um nur wenige Beispiele zu nennen. Achim Dörfer treibt diese Debatte voran und sie ist auch deshalb wichtig, da sie dafür mit dafür sorgen kann, dass junge Jüdinnen und Juden eine eigene Sicht entwickeln können – eine eigene Sicht auf das Jüdisch-Sein, auf den Widerstand, auf Selbstbehauptung und Selbstbestimmung. Es ist wichtig zu verstehen, dass Jüdinnen und Juden gegen ihre Mörder Widerstand leisteten und sich keineswegs einfach ihrem „Schicksal“ ergaben, wie es auch heute noch viel zu oft behauptet wird. Jüdischer Widerstand war vielfältig und Jüdinnen und Juden haben maßgeblich dazu beigetragen, das nationalsozialistischen Deutschlands zu besiegen und zu überwinden. Mit diesem Blick auf den 9. November haben wir gestern den Abend zusammen verbracht und diese Perspektive mit dem Publikum teilen können.
Ihr
Stefan Hensel
Antisemitismusbeauftragter der Freien und Hansestadt Hamburg
Foto: © Armin Levy