Jom Kippur: Versöhnungstag

Jom Kippur
Lesezeit: 31 Minuten

HINTERGRÜNDE VON KOL NIDREJ 

Die Melodien machen uns ein Wenig nostalgisch, melancholisch. Die Ausstattung, der weiße Parochet (der Vorhang vor dem Thoraschrank) und die weißen Kittel (Bekleidung) versetzen uns sofort in Stimmung. Da stehen wir dann wieder in der Synagoge, genauso wie in allen vorhergehenden Jahren. Wir sind ein Jährchen älter geworden. Aber wenn wir uns selbst gegenüber ehrlich sein möchten: hat sich im vergangenen Jahr wirklich etwas verändert? Hat sich auch nur EINES unserer guten Vorsätze bewahrheitet? Wie beurteilen wir die Vergangenheit?

 

nur für Versprechen zwischen Mensch und G“tt

Kol Nidrej ist für viele unverständlich. Wie kann ich unseren Nachbarn erklären, dass wir den heiligsten Tag des Jahres mit der Erklärung beginnen, dass alles, was wir in der Vergangenheit versprochen haben und was wir künftig noch versprechen werden, null und nichtig sei. Klar, die Nichtigkeitserklärung gilt nicht für die Versprechen zwischen dem Menschen und seinem Mitmenschen und nur für Versprechen zwischen Mensch und G“tt, aber das muss ja wohl eine tiefere Bedeutung haben.

 

Untreue uns selbst gegenüber

Kol Nidrej betont die Bedeutung von was wir sagen und wie wir die Dinge sagen. Kol Nidrej handelt von Zusagen, denen wir nicht nachgekommen sind. Minderst genauso schlimm ist die Untreue uns selbst gegenüber. Unsere Ideale haben wir wieder nicht verwirklicht. Darum geht es. Wir sollten lernen, nicht nur auf das zu achten, was wir in unseren Mund stecken, sondern auch auf das, was aus unserem Mund herauskommt.

 

Fünf Minuten des Gebets mit Verstand und Gefühl

Das schließt sofort an die Worte an, die wir Dawwenen, beten. Viele Menschen haben Mühe damit, dem G“ttesdienst an den Jamim Nora’im, an den Hohen Feiertagen, zu folgen.

Fünf Minuten des Gebets mit Verstand, Gefühl und persönliches Eingebunden sein sind wichtiger, als fünf Stunden Lippenbekenntnis. Es ist wichtig, um gerade bei Bereiche, die Dich spezifisch berühren, länger zu verweilen. Lasse die Worte in Dich eindringen, fühle sie. Und wenn Du wirklich tapfer bist, schließe die Augen und sprich die Worte immer wieder aufs Neue. Es ist ein Unding, von Dir selber zu erwarten, dass jedes Gebet Dich tief emotional berührt. Beherrschst Du Hebräisch nicht richtig? Mache Dir keine Sorgen! G“tt versteht jede Sprache. Als ein liebendes Elternteil weiß G“tt, was sich in Deinem Herzen bewegt.

Befürchtest Du, nicht Schritt halten zu können? Beim nächsten Gebet kannst Du Dich so wieder einreihen. Bist Du Dir bewusst, dass Millionen und Millionen Juden weltweit gerade an diesem Tag die Synagogen besuchen? Mit Deiner Anwesenheit bezeugst Du ganz eindeutig Deine Zugehörigkeit zum Judentum und zum Jüdischen Volk.

Wir kennen drei Arten von Tage des Fastens:

–        Tage der nationalen Trauer um den Verlust des Tempels, wie an Tischa beAw.

–        Es gibt auch Tage des Fastens, um zur inneren Einkehr und des Bedauerns zu gelangen. Was wir für unsere eigene Mahlzeit normalerweise aufwenden, geben wir jetzt als Tzeddaka für unseren bedürftigen Mitmenschen. Wir identifizieren uns mit dem notleidenden Teil der Bevölkerung.

 

Aber Jom Kippur

– Wir denken eine Weile nicht über unsere täglichen Sorgen nach.

– Wir tragen keine Lederschuhe.

– Wir stehen den ganzen Tag in der Synagoge um Tefillot (Gebete) auszusprechen.

 

Nachahmung der Engel

Wir versuchen, die Engel, die himmlischen Wesen, etwas nachzuahmen. Heute wollen wir unsere höheren menschlichen Aspekte betonen, indem wir uns weniger um unsere materiellen Bedürfnisse kümmern. Wir zeigen, dass unsere wirklichen Bestrebungen anderswo sind, höher, weiter. Die Essenz unserer Menschlichkeit taucht genau an Jom Kippur auf.

 

 

Jom Kippur, der große Versöhnungstag – Essenz einer religiösen Erfahrung

Dann wiederum stehen wir plötzlich vor dem einen großen Fastentag, den die Tora vorschreibt. An diesem besonderen Tag denken wir über unsere Normen und Werte nach, sowohl im zwischenmenschlichen Umgang als auch in der Beziehung zwischen Mensch und G’tt. Nehmen Sie das Kol nidre. Kol nidre unterstreicht die Bedeutung dessen, was wir sagen und wie wir es sagen.  Bei dem Kol nidre geht es um Versprechen und Aussagen, die wir getätigt haben, Verpflichtungen, die wir nicht eingehalten haben, Ideale, die wir nicht erfüllt haben.

 

drei Arten von Fasttagen

Wir haben drei Arten von Fasttagen. Tage der nationalen Trauer um den Verlust des Tempels, wie Tischa beAw. Es gibt auch Fasttage für Einkehr und Reue. Was wir normalerweise für unser eigenes Essen ausgeben würden, geben wir jetzt für Tzedaka für unsere bedürftigen Mitmenschen aus. Wir identifizieren uns mit den Notleidenden unserer Gesellschaft.

Als Engel

Aber Jom Kippur ist einzigartig; wir fasten nicht so sehr aus Protest gegen unser Konsumverhalten oder um unser Verlangen nach immer mehr zu zügeln. Das Fasten steht im Einklang mit vielen anderen Aspekten dieses heiligen Tages:

 – wir denken eine Zeit lang nicht an unsere täglichen Sorgen;

– wir tragen keine Lederschuhe;

– Wir stehen den ganzen Tag in der Synagoge, um die Tefillot – die Gebete – zu sprechen.

Wir versuchen irgendwie, die Engel, die Himmlischen Wesen, zu imitieren. Heute wollen wir unsere höheren menschlichen Aspekte betonen, indem wir uns weniger mit unseren materiellen Bedürfnissen beschäftigen. Wir zeigen, dass unsere wahren Bestrebungen woanders liegen, höher, erhabener.

 

5 große Gebete

Das Wesen unseres Menschseins kommt gerade heute zum Vorschein. Jom Kippur ist der einzige Tag, an dem wir 5 Tefillot, 5 große Gebete, sprechen: Abendgebet, Morgengebet, Mussafgebet, Mittaggebet und Ne’ila-gebet. Diese stellen die fünf Ebenen der Neschama, der Seele, dar. Die 5 Stufen, sind alle einmal im Jahr aktiv – nur an Jom Kippur. Die ’nefesch‘ ist das physische Leben, das ‚ru’ach‘ sind die irdischen Ambitionen, die ’neschama‘ sind die religiösen Gefühle. Chaja“, die vierte Ebene, ist unsere höhere Lebensquelle, und „Jechida“ ist der Punkt des Kontakts mit dem G’ttlichen in der Welt, von dem Wortstamm „Echad“.

Letzteres ist besonders wichtig, weil heute alle unsere Sünden zwischen dem Menschen und G’tt vergeben sind.

Rein waschen

Kippur“ kommt von kappara, rein waschen. Wie ist es möglich, dass alle unsere Vergehen an diesem Tag wie Schnee in der Sonne verschwinden? Ist das Abracadabra, der Hokuspokus des Judentums? Sicherlich nicht! Wenn dieser Kontakt mit „Echad“ in uns aktiv ist, sowohl das Gefühl der Verbindung mit dem Einen und Einzigen als auch mit der Einheit unseres Volkes, dann verschwindet jeder Mangel automatisch. Dass G’ttliche im Menschen ist auch unsere einzigartige Eigenschaft. Das ist die Größe des Menschen. Deshalb ist Jom Kippur der heiligste Tag des Jahres, denn genau an diesem Tag findet dieser Prozess der Selbstanalyse, Selbstprüfung, Selbstkritik und Veränderung statt.

Innerliche Harmonie?

Finden wir als Volk allmählich zu unserer inneren Harmonie zurück? Der Sohar, eine kabbalistische Quelle, sagte voraus, dass im Jahr 5600/1840 ein Geist der Weisheit, des Wissens und der Einsicht über die Welt fegen würde, was zur industriellen und technologischen Revolution führte, die jeden Aspekt unseres täglichen Lebens beeinflusste und viele unserer Menschen von ihren roots – Wurzeln – entfernte.

 

Doch danach würde ein Geist der Teschuwa die Welt durchdringen, zurückkehren im physischen Sinne – nach Eretz Jisrael – und im spirituellen Sinne, dessen Früchte wir in der allgemeinen Jüdischen Wiederbelebung der letzten Jahre sehen. Können wir darin ein Zeichen dafür sehen, dass diese lange und bittere Galut – diese erschütternde Diaspora – allmählich zu Ende geht?

Warum sind wir eigentlich im Galut, Goles, Exil, weit weg von unserem Heiligen Land? Wegen unserer Zwietracht, Eifersucht und internen Streitigkeiten wurden wir aus unserem eigenen Heiligen Land, unserem Israel, vertrieben. Leider ist es uns bis heute nicht gelungen, diese gegenseitige Machloket zu beenden.

Zweiter Aspekt: Tag des Gerichts

Offensichtlich können wir es nicht allein schaffen. Deshalb haben wir Jom Kippur. Rosch Haschana und Jom Kippur sind zwei verschiedene Tage. An Rosch Haschana wird G’tt zum König gekrönt. Zu den Aufgaben eines Königs gehört es, Recht zu sprechen. Rosch Haschana ist der Tag des Gerichts, Jom Kippur ist der Tag der Versöhnung und der Vergebung. Rosch Haschana ist eigentlich ein viel strengerer Tag als Jom Kippur. Das Urteil ist streng. Die Justiz ist und muss streng sein und darf keine Schwächen und Ausreden zulassen.

Das Wort Teschuwa gehört zum anderen Ganzen, zum Wesen von Jom Kippur. Wir waren bereits verurteilt. Aber eine Audienz beim Allmächtigen ist uns noch vergönnt. Wir bitten um Vergebung. Jetzt bitten wir darum, dass unsere Schwächen berücksichtigt werden.

 Sündenbekenntnis

Außerdem bekennen wir den ganzen Tag lang unsere Schuld, und weil wir bereit sind, uns zu ändern, behandelt uns G’tt anders. Schließlich ist der Allmächtige nicht nur unser König, sondern auch unser barmherziger Vater, Awinu Malkenu.

Dieser Gedanke gibt Hoffnung für die Zukunft! Aber wir müssen etwas für diese Zukunft tun, gerade auf der zwischenmenschlichen Ebene. Die Mitzwa schlechthin an Jom Kippur ist das Vidui – das Sündenbekenntnis der Sünde. Warum müssen wir unsere Missetaten Wort für Wort buchstabieren?

Keine Abwälzung der Schuld

Unsere Selbstreinigung-Kraft ist nur begrenzt. Erst wenn wir gezwungen sind, unsere Unzulänglichkeiten bis ins kleinste Detail zu beschreiben, beginnen wir, das volle Ausmaß, die weitreichenden Auswirkungen unseres Handelns zu verstehen. Es ist so einfach, über unsere schwerwiegendsten Verfehlungen hinwegzukommen, vor allem, wenn sie sozial akzeptiert sind.

Außerdem, so Rav Soloweitschik, ist es selbst dann, wenn wir bereits bereit sind, uns den tiefgreifenden Auswirkungen unserer nicht ganz perfekten Taten zu stellen, oft sehr schwierig, zuzugeben, dass es unsere Fehler sind. Wir geben oft anderen die Schuld, den Umständen, der Gesellschaft, unserer miserablen Kindheit!

Keine Lippenbekenntnisse

Das bedeutet „aschamnu“: Wir haben etwas falsch gemacht – ich übernehme die Verantwortung. Das Vidui, das Sündenbekenntnis, ist eine Mitzwa – aber sie darf nie zum Lippenbekenntnis werden. Damit würden wir unsere Religion, unsere eigene Aufrichtigkeit karikieren.

 

Ende oder Anfang?

Ist Jom Kippur das Ende eines Bewusstwerdungsprozesses oder ist es der Beginn eines höheren, edleren Funktionierens? Jom Kippur wird mit dem Ne’ila-Gebet beendet. Ne’ila bedeutet Schließung. Aber dann wäre das Wort „Seĝiera“ besser gewesen! Ne’ila zeigt eine Wortstammverwandtschaft mit dem Hebräischen Wort ‚Na’alaim‘, ‚Schuhe‘ – Instrumente, mit denen wir vorwärts gehen können.

Dies ist die aufsteigende Linie von Tischrei, der Teschuwa, der Reue aus Ehrfurcht vor Rosch Haschana und der Furcht vor Jom Kippur, und wir nähern uns allmählich zu Sukkot über, dem Laubhüttenfest – Seman Simchatenu, die Zeit unserer Freude, die Zeit, in der wir die vier Pflanzenarten nehmen, die die vier Arten des Judentums symbolisieren, die alle zu einer großen Einheit zusammengefasst werden sollen!

Zwei Cherubim – die kommende Generation

Was für ein wunderbarer Gedanke! Unsere Aufgabe ist es, weiterzumachen und weiterzugeben. Wir wollen unsere Werte und Normen an die jüngeren Generationen weitergeben, die unsere Zukunft sind. Jom Kippur erinnert uns daran. Einmal im Jahr betrat der Kohen Gadol – der Hohepriester – das Allerheiligste. Oben auf der Aron Hakodesch, der heiligen Lade standen 2 Cherubim, Engel in Gestalt eines Jungen und eines Mädchens, die an die Lade selbst genietet waren. Beim Anblick dieser Cherubim musste der Hohepriester erkennen, dass es bei uns nur eine wichtige Aufgabe gibt: die Erziehung unserer Kinder, die die Fackel des Judentums ins 21. Jahrhundert tragen sollen.

Element des Lebens

Jom Kippur ist die Jahrzeit von Rabbi Akiwa, der uns lehrte, dass die Tora für uns das ist, was das Wasser für die Fische ist. Rabbi Akiwa lehrte die Tora weiterhin berabbim (öffentlich), obwohl die Römer das Tora-Lernen bei Todesstrafe verboten hatten.

Als Pappus ben Yehuda Rabbi Akiwa auf die Gefährlichkeit seiner Tora-Lehre ansprach, antwortete dieser mit einem Maschal (Gleichnis) über einen Fuchs, der den gejagten Fischen im Fluss riet, sich vor den Netzen der Fischer auf das trockene Land zu flüchten.

Obwohl die Gewässer voller Gefahren waren, verstanden die Fische, dass sie nur überleben konnten, solange sie in ihrem natürlichen Lebensraum blieben.  Wären sie auf das Festland „geflohen“, hätte das den sicheren Tod bedeutet. Wenn wir die Tora aufgeben, geben wir unser wichtigstes Element des Lebens auf, und die Dinge gehen nicht gut für uns aus.

Tag der Freude

In der Geschichte unseres Volkes war Jom Kippur nicht nur ein Tag der Besinnung, sondern auch ein Tag der Freude. Wenn unsere Kinder durchhalten und unsere Ideale und Moralvorstellungen weitertragen, gibt es tatsächlich Grund zur Freude und zum Optimismus.

Awinu Malkenu – Unser Vater – Unser König. Jom Kippur ist ein Tag, an dem sich Gesetz und Liebe die Waage halten. Wir halten uns zurück: Wir fasten, tragen keine Lederschuhe. Es scheint ein harter Tag zu sein. Zugleich aber sind Liebe und Vergebung das Motiv aller Gebete. Mosche fragte nach G’ttes wahrer Natur. Die Antwort ist eine Beschreibung von Güte und echter Liebe: „HaSchem, HaSchem, Ee-l chanun werachum – Ewiger G’tt, mitfühlend und barmherzig, schwer zu erzürnen und groß in Liebe und Wahrheit“.

Vor und nach der Sünde

Warum erscheint der Name G’ttes zweimal am Anfang dieses Gebets? Unsere Weisen antworten, dass G’tt uns vor der Sünde genauso liebt wie nach der Sünde. Wir kennen verschiedene Arten von Liebe. Aber die einzige wahre Liebe, die über Zeit, Rasse, Kultur und Sprache hinausgeht, ist die Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Ein Vater geht anders mit seinen Kindern um als eine Mutter. Dieser Unterschied wurde bereits vor 2000 Jahren im Talmud gemacht, als er das fünfte Gebot erklärte: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren“ (Schemot/Ex. 20:12) im Gegensatz zum Gebot, Mutter und Vater zu fürchten.

 

Liebe und Ehrfurcht

Wenn wir von Respekt und Ehre sprechen, steht der Vater an erster Stelle, denn das Kind liebt natürlich seine Mutter. Aber wenn wir von Ehrfurcht und Furcht sprechen, fürchtet man eher seinen Vater als seine Mutter. Man stellt also die Mutter an die erste Stelle, um diese natürliche Tendenz auszugleichen. Zwei Eltern, zwei Kräfte, zwei Modelle für Beziehungen. Die eine zeigt bedingungslose Liebe – immer nährend und tolerierend – und die andere ist gekennzeichnet durch Erwartung und Verantwortung, Faktoren, die Wachstum und Gehorsam, Beschränkung und Disziplin anregen.

Liebe und Forderungen

Kinder werden in Liebe und Einschränkung, bedingungsloser Liebe und konsequenten Forderungen erzogen. Wenn wir von unseren Kindern nie etwas verlangen, wachsen sie als verwöhnte Egoisten auf und glauben, dass ihnen alles zusteht. Außerdem entwickelt das Kind das Gefühl: „Ich kann nichts alleine machen“. Alles wird für ihn getan, weil er es nicht selbst tun kann. Das Ergebnis ist eine Person, die nichts für sich selbst tun kann. Wenn wir etwas fordern, zeigen die Eltern, dass das Kind der Herausforderung gewachsen ist. So entwickelt man innere Stärke und Selbstvertrauen.

Herausforderung

Ein kluges Elternteil weiß, dass er das Kind immer mehr herausfordern sollte, um eine konstante Entwicklung zu fördern, aber er sollte nie zu viel verlangen, denn dann wird das Kind frustriert sein. Auf einer tieferen Ebene ist dies das Modell, das G’tt für uns festgelegt hat, wenn Er sowohl Awinu als auch Malkenu genannt wird, unser Vater und unser König. Einerseits verlangt G’tt viel von uns: 613 Gebote und Verbote. Die Tora ist nicht einfach, aber Er weiß, dass wir selbst unsere Fehler korrigieren können. Wir bitten weder um Gnade noch um einen Vermittler.

Wenn wir es schaffen, unser Bedürfnis nach Essen und Trinken und anderen irdischen Dingen für einen Tag zu überwinden, schätzen wir das Gefühl, etwas erreicht zu haben.

Wie bei den Eltern folgt uns G’ttes bedingungslose Liebe überall hin, auch wenn Er viel von uns verlangt. Dieser nährende, Himmlische Aspekt wird Schechina genannt, ein weibliches Wort, das Teil von G’ttes Attributen ist, in denen Er uns immer hegt und pflegt, ganz gleich, wie wir geistig aussehen. Einer unserer größten Gelehrten, der Kotzker Rebbe, sagte einmal, dass die Schechina mit einer liebenden Mutter verglichen werden kann, die ihr Kind mit einer schmutzigen Windel annimmt und es sogar küsst, wenn sie diese wechselt.

Gleichgewicht von Liebe und Gerechtigkeit

Jom Kippur ist das reinste Gleichgewicht von Liebe und Gerechtigkeit. Jom Kippur bringt uns an die äußersten Grenzen. Es gibt keinen anderen Tag im Jüdischen Jahr, der so viel verlangt. Aber was die Liebe betrifft, so gibt sie uns auch das Maximum. G’ttes rechte Hand ist immer ausgestreckt, um den schuldbeladenen, zurückkehrenden Menschen zu empfangen. Gibt es eine größere Freude als das Wissen um diese G’ttliche Nähe, Vergebung und Reinigung?

 

Der Schrei des Herzens

Ganz gleich, wie weit wir uns verirren, das Schofar bringt uns immer zurück. Elul begann mit dem Schofar und Jom Kippur endet mit dem Schofar. Das Schofar symbolisiert ein „cris de coeur“, einen Schrei des Herzens, für den es keine Worte gibt, denn unsere Spaltungen untereinander, unsere Rebellion gegen G’tt ist oft so tief, dass sie nicht in Worte gefasst werden kann.

Aber in unseren Herzen brennt immer noch ein Funke, wie schwach er auch sein mag. Wenn er stimuliert wird, kann er wieder aufflammen und Menschen in Brand setzen. Das Schofar symbolisiert diesen geistigen Hilferuf und zeugt von der Lebenskraft, die in unseren Herzen noch vorhanden ist, selbst wenn es keine Hoffnung zu geben scheint.

 

Religiöse Eile

Wahre G’ttesfurcht zeigt sich in einer offenen und herzlichen Haltung gegenüber unseren Mitmenschen. In letzter Zeit gibt es eine deutliche Tendenz, in unserer religiösen Eile den Menschen zu vergessen. Rabbi Akiwa erklärt die Nächstenliebe zu einem wichtigen Leitprinzip. Die ausschließliche Betonung von „das ist erlaubt und das ist nicht erlaubt“ entfremdet uns von uns selbst. Ein altes talmudisches Sprichwort besagt, dass „wer den Vater liebt, der liebt auch seine Kinder“.

Schatten

Wir bleiben Kinder, Kinder G’ttes, ganz gleich, wie weit sich das Kind von seinem Vater entfernt hat. Einmal im Jahr wäscht der liebende Vater seine ungezogenen Söhne und Töchter rein. Lassen Sie sich diesen Tag nicht entgehen. Es gibt einen bekannten Vers, der besagt: „G’tt ist dein Schatten“.

So wie ein Schatten den Taten des Menschen folgt, folgt auch G’tt unseren Taten. Wenn wir uns an G’tt wenden, wendet sich G’tt an uns. Die Tora fordert Demut und Schuld, wenn wir um Vergebung bitten. Übertriebenes Ego steht unserer Einheit im Weg.

Wir müssen es wagen, uns nach Jom Kippur direkt in die Augen zu sehen. Nur dann ist unsere Gemeinde eine echte Gemeinde im Sinne der Gemeinsamkeit. An Kippur geht es nicht um uns. Wir haben uns nicht selbst geschaffen und leben nicht für uns selbst. Wir leben für unsere Ideale: unser Judentum! Wir versuchen, das an unsere Kinder weiterzugeben, aber es muss auch Vorbilder und Beispiele geben. Sonst können wir nichts weitergeben.

 

Kehila

Unsere Kehila ist gleichzeitig ein Bund der Zusammengehörigkeit, aber auch eine anspruchsvolle Instanz. Wir brauchen Sie. Mehr Engagement, mehr Aufopferung für unsere schöne Gemeinde. Ich wünsche Ihnen eine gute Kawana – intensive Andacht bei unseren Tefillot, den besonderen Gebeten und Schanim Rabbot, für viele Jahre.

 

DAS SÜNDENBEKENNTNIS  VON JOM KIPPUR

Letzte Woche haben wir Rosh Haschana gefeiert. Rosch Haschana ist ein Tag des Gerichts, ein Jom Hadin.
Jom Kippur hingegen ist der menschlichste Feiertag des Jüdischen Jahres. Der Mensch wird vor allem mit sich selbst, seinem Verhalten gegenüber G’tt und den Mitmenschen, seiner Aufgabe in der Gemeinschaft und seiner Rolle in der Welt konfrontiert.

 

Tag der Reue und der Vergebung

An Jom Kippur werden unsere Sünden abgewaschen. Wir stehen den ganzen Tag in der Synagoge und fasten, beten und weinen. Es ist der Tag der Reue und der Vergebung.

Jom Kippur ist der Tag der höchsten Konfrontation Tag im Jüdischen Kalender. Der Mensch wird völlig auf sich selbst zurückgeworfen. Zwischen Rosch Haschana und Jom Kippur gibt es große Unterschiede.

An Rosch Haschana krönen wir G’tt zum König über die Welt.
An Jom Kippur bekennen wir unsere Sünden und hoffen, durch Teschuwa, durch Reue, Vergebung für all unsere Sünden zu erhalten.

40 Tage der Buße

In den Tagen der Bekehrung zwischen Rosch Haschana und Jom Kippur bereiten wir uns auf diese Konfrontation zwischen G’tt und den Menschen vor. Aber eigentlich hatten wir schon viel früher mit der Vorbereitung auf Jom Kippur begonnen. Seit dem Beginn von Elul, dem Monat vor Rosch Haschana, versuchen wir, zu G’tt zurückzukehren. Es sind eigentlich 40 Tage der Buße, in denen wir uns auf Jom Kippur vorbereiten. Unser tägliches Ego muss dafür sensibilisiert werden.

 

durch Selbstbeobachtung wachsen

Welche Bedeutung hat Jom Kippur in diesem Wachstumsprozess? Jom Kippur lehrt uns, durch Selbstbeobachtung zu wachsen (in uns selbst hineinzuschauen) und unsere Fehler einzugestehen. Nur dann können wir einen Neuanfang machen und rein und neu beginnen.

Wir sagen 10x Vidui

An Jom Kippur zählen wir in der Synagoge sogar zehnmal alle möglichen Sünden auf, derer sich ein Mensch schuldig machen kann. Es wird gemeinsam und laut gesagt, damit derjenige, der sich einer oder mehrerer der aufgelisteten Sünden schuldig gemacht hat, dafür nicht von der Gemeinschaft ausgeschlossen wird. Und es gibt niemanden, der nicht eine der ausführlich aufgelisteten Untaten begangen hat.

nach dem Hebräischen Alphabet geordnet

Das Vidui, das Sündenbekenntnis, ist alphabetisch nach dem Hebräischen Alphabet geordnet, damit man es sich leichter merken kann.

Das Eingeständnis, dass wir Fehler gemacht haben, hat eine reinigende Wirkung. Ein Sündenbekenntnis löst uns von der falschen Vergangenheit und bereitet uns auf eine bessere Zukunft vor. Es ermöglicht es uns, durch Introspektion (Blick nach innen) und kritische Analyse unseres eigenen Handelns ein besserer Mensch zu werden.

Ich werde im Folgenden auf eine mögliche Erklärung der verschiedenen Teile des Sündenbekenntnisses eingehen:

 

Diebstahl kommt sehr regelmäßig vor, in grober, aber meist in (sehr) subtiler Form. Haben Sie schon einmal etwas weggenommen, das Ihnen nicht gehört, z. B. ein Lakritz aus den provokativ geöffneten Supermarktregalen und vor der Kasse gegessen und nicht bezahlt? Wir haben gestohlen“ gilt nicht nur zwischen Mensch und Mitmensch, sondern auch in der Beziehung zwischen Mensch und G’tt (wie Maleachi (3:8) sagte: „Ihr beraubt mich ständig“). Wir vergessen oft, eine Beracha über das zu sagen, was wir essen. Das nennt man eigentlich „Diebstahl von G‘tt„, weil wir Gtt zu kurz kommen lassen. Bekannt ist die Aussage aus den Sprüchen (28:24), wo es heißt: „Er beraubt seinen Vater und seine Mutter“. Nach dem Talmud (Berachot 32b) bedeutet der „Vater“ hier Haschem (G’tt) und die „Mutter“ das jüdische Volk oder die Mitmenschen.

 

Negativ sprechen. Wir haben mit doppelter Zunge gesprochen (wir haben nicht ehrlich gesagt, was wir meinten), wir haben verleumderische Sprache, Lügen, Betrug, Klatsch (der sogar zu Rufmord werden kann) oder schmutzige Sprache benutzt. Diese Avera (Übertretung) gilt auch für Mitmenschen und für G’tt. Haschem sagt durch seinen Propheten Male’achi (3: 13): „Du hast sehr unfreundlich zu Mir gesprochen“. Oft sprechen wir abfällig über Tora-Themen oder nehmen die Ehre Haschems nicht wirklich ernst und zeigen damit, dass es sich nicht lohnt, Haschem wirklich zu dienen. Dazu gehören auch Geschäftsgespräche an Jom tov und Schabbat, ob in der Shul oder nicht!

Perverses Handeln und Denken. Was richtig und eindeutig gut war, haben wir pervertiert und schlecht gemacht, wir haben falsch gehandelt, indem wir andere Menschen zur Übertretung oder Sünde angestiftet haben. Wir haben auch unreine Gedanken gehegt und nach Dingen gesucht, die wir vermeiden sollten. Dann haben wir andere in der Öffentlichkeit beschämt; das Judentum neigt dazu, hier eine härtere Linie zu fahren, als wir es hier gewohnt sind.

 

Spott und Gelächter. Wir haben Menschen oder wichtige und heilige Dinge lächerlich gemacht. Davor warnt schon der Prophet Jeschaja, weil man mit ein paar Worten alles, was gut und geweiht ist, völlig „zerstören“ kann (28:14). G’tt duldet keine spöttischen und hochmütigen Menschen, die andere herabsetzen, indem sie sie lächerlich machen. Nach dem Talmud haben diese leichtsinnigen Spötter keinen Platz im Paradies.

 

Die Missachtung des G’ttlichen Befehls. Wir waren rebellisch, gegen Haschem, G’tt, unsere Eltern und unsere Lehrer. Manche Menschen gehen auf Abwege, weil sie ihre Leidenschaften nicht zügeln können, aber wenn man sich wissentlich über einen Befehl G’ttes hinwegsetzt, rebelliert man gegen den Allmächtigen.

 

Aufständische Rebellion. Wir waren rebellisch, vielleicht sowohl gegen unsere Eltern als auch gegen die Höchste Autorität. Rebellisch und widerspenstig sind fast gleichbedeutend. Wir haben unsere Herzen vom Dienst an G’tt abgewandt.

 

Feindseligkeit. Wir haben eine feindselige Haltung eingenommen. Die gegenseitige Intoleranz ist das größte Übel, unter dem wir in diesem Zeitalter leiden.

 

Wenig Flexibilität und wenig Bescheidenheit. Wir haben uns hartnäckig verhalten. Schon Mosche Rabbenu hat früh in der Jüdischen Geschichte, im Buch Exodus, auf unsere Starrköpfigkeit hingewiesen: „Siehe, es ist ein halsstarriges Volk“ (32:10). Ganz gleich, was uns widerfährt, wir sehen darin nie die Hand G’ttes. Selbst wenn wir klare Verhältnisse bekommen, bestehen wir darauf, dass das, was uns passiert, nur ein Zufall ist. Wir sind felsenfest davon überzeugt, dass wir Recht haben, und werden niemals demütig.

 

Verdorbenheit. Wir haben verhängnisvolle Dinge getan. Das Wort „Schichet“ wird häufig mit Korruption, Götzendienst und Unzucht oder Obszönitäten in Verbindung gebracht. Aber Verdorbenheit manifestiert sich auch auf subtile Weise, indem sie andere verängstigt, indem sie immer wütend und jähzornig ist, oder indem sie nicht bereit ist, anderen zu helfen, indem sie sich weigert, Tzedaka (Wohltätigkeit) zu geben.

 

Bewusste-unbewusste Fehler. Ein Fehler oder Irrtum kommt auch von irgendwoher. Normalerweise sprudelt er aus dem Unterbewusstsein und das bedeutet, dass wir normalerweise nicht zulassen, dass diese schlechten Neigungen in unser Bewusstsein gelangen. Aber sie sind Teil unserer Persönlichkeit, und Vergehen, die sich daraus ergeben, können nicht mit dem Etikett „slipper of the tongue“ abgetan werden.

 

Schlechtes Beispiel abgeben. Wir haben nicht nur selbst gesündigt, sondern auch andere in die Irre geführt. Jeder Mensch hat eine freie Wahl. Das heißt, er kann manchmal oder regelmäßig etwas falsch machen und andere mit hineinziehen. Eine subtile Form davon ist, ein schlechtes Beispiel zu geben. Leider folgt man oft schlechten Beispielen.

 

Ich hoffe, dass Sie sich nach diesem Ehrfurcht gebietenden und heiligen, aber auch harten Tag von Ihren Sünden befreit fühlen und besser mit ihnen umgehen können. Sicherlich haben Sie sich dadurch für die Zukunft erfüllt gefühlt. Mögen Sie die Fastenzeit gut überstehen; ich wünsche Ihnen einen gesunden Biss!

anstatt eines Menschen, wird ein Tier geopfert

Zu Opfern bedeutet Annäherung

Weshalb bevorzugen die Aschkenasim ein Widderhorn? Das Widderhorn erinnert an die Akedat Jitzchak auf dem Tempelberg Moria – die große Opferung, die Awraham sich zumuten wollte, für seinen Glauben an HaSchem.

Aber auch hier ergibt sich eine tiefere Symbolik: anstatt eines Menschen, wird ein Tier geopfert.

 

KaRaV = annähern, näher herbeibringen 

Das Judentum wandte sich in der Antike gegen Menschenopfer, ein geläufiger Kultus von damals und auch schon von davor. Ein Opfer, damit ist das Erbringen eines Opfers gemeint, heißt in Hebräisch „KORBAN“, kommt vom Hebräischen Stamm KaRaV = annähern, näher herbeibringen. Das Judentum behauptet, dass der Mensch das Tierische, das sich in ihm befindet, zu G“tt „näher bringt“, über das ausschließlich Biologische uns Sinnlose erhebt, veredelt und vervollständigt.

 

Es geht darum, nur das Tierische im Menschen zu verbessern

Der Widder symbolisiert das Ungezähmte, das Tierische, die Menschen-unfreundliche Gewalt. Auf dem Berg Moria wird der typisch Jüdische Weg aufgezeigt: nicht der Mensch sollte geopfert werden; das Menschliche im Menschen bildet ein Potential für das Gute. Es geht darum, nur das Tierische im Menschen zu verbessern, es zu mindern.

 

Das Tierische gegensätzlich zur Moral

Widder gegensätzlich zu Jitzchak, tierische Instinkte gegensätzlich zur Moral, Macht gegensätzlich zum Recht, rohe Gewalt gegensätzlich zu einem humanistischen, religiösen Gefühl. Finden wir diesen Kampf nicht in der Geschichte der Menschheit laufend wieder?

Uns hat auch nicht jeder für sich in seinem eigenen Leben einen ähnlichen Kampf – und sei es nur auf einem viel kleineren Niveau – auszufechten? Der Kampf zwischen Lüge und Wahrheit, zwischen dem Schlechten und dem Guten, der Kampf zwischen „HaSchem in uns“ und dem „Satan in uns“?

 Letzte Tekia des Jahres

Der Schofar – das Symbol des immer wiederkehrenden Apells zur Selbstverbesserung – ist die Waffe gegen das Schlechte in uns und der uns umgebenden Welt. Dieser Symbolik gemäß, wie gewohnt, blasen wir am Ende des Jom Kippur- G“ttesdienstes noch ein Mal ein „TEKIA“- ein langgestreckter Ton. Unsere Chachamim erklären überwiegend, dass der Satan – das Schlechte – während des gesamten Jahres über die Macht verfügt, das Jüdische Volk „an zu klagen“ – was bedeutet, dass der himmlische „Staatsanwalt“ anscheinend eine Anzahl Beschwerden über das Jüdische Volk hat – außer an Jom Kippur, an dem er machtlos ist.

 

„haSatan“ ist dreihundertvierundsechzig 

Interessant auffallend ist hierbei, dass der Kabbalistische Zahlenwert des Satans, „haSatan“, dreihundertvierundsechzig ist, dass bedeutet, alle Tage des Jahres – dreihundertfünfundsechzig – mit Ausnahme des einen Tages Jom Kippur.

 

Um dieses sofort im Keim zu ersticken, blasen wir „TEKIA“

Am Ende des heiligsten Tages des Jüdischen Jahres möchte Satan seine verurteilenswerte Tätigkeit wieder aufnehmen. Um dieses sofort im Keim zu ersticken, blasen wir gerade an diesem Moment ein „TEKIA“.

 

uns die moralische Kraft zu verleihen, den „Satan“ zu bekämpfen

Die Absicht, der Zweck der Jamim Nora’jim (Rosch Haschana und Jom Kippur) ist, uns die moralische Kraft zu verleihen, den „Satan“ zu bekämpfen, den kleinen Satan im individuellen Leben und den großen Satan in der Menschheitsgeschichte.

Der lange und beeindruckende, durch Mark und Bein gehende Ton TEKIA am Ende von Jom Kippur bedeutet, dass wir versuchen sollten, die Lektion der moralischen Überwindung des Tierischen im Menschen im täglichen Leben um zu setzen, dass nach Jom Kippur wieder beginnt. Sie erfolgte zum ersten Mal in der Geschichte symbolisch auf dem Berg Moria.

 

 Opferbereitschaft

 Die Halacha, das Gesetz und unser Minhag, unsere Art, die Gebete zu verrichten, schreiben ein Widderhorn nicht ohne triftigen Grund vor.

Die Erinnerung an die Akedat Jitzchak ist nicht nur ein Gedenken eines geschichtlichen Ereignisses.

Sie hat auch noch jetzt eine tiefgehende Bedeutung: die Aufopferung für die gute jüdische Sache, aber auch die Opferbereitschaft, diese gute Jüdische Sache in die Zukunft zu führen.

Wir hoffen und dawwenen (beten) dass HaSchem (G’tt) uns in das Buch des Lebens aufnehmen und versiegeln wird.

DAS EGO UND JOM KIPPUR: VERBESSERE DEIN EGO UND STRAHLE POSITIVITÄT AUS!

Mit Rosch Haschana feierten wir die Erschaffung des Menschen. Aber bei der Erschaffung von Adam und Eva ging Vieles schief. Der Mensch hat ein falsches Ego entwickelt, das ihm noch immer beunruhigt. An Rosch Haschana müssten wir an diesem Ego arbeiten, uns mit ihm abfinden und es real und wahrhaftig machen. Mit Jom Kippur versöhnen wir uns und vereinen uns mit G’tt.

Unser Ego formt unsere Persönlichkeit, aber gleichzeitig ist es unsere Unfähigkeit, mit HaSchem eins zu werden. An Jom Kippur möchten wir uns mit dem Göttlichen in der Welt identifizieren. Unser Ego sollte mit diesem Göttlichen verschmelzen. Wir müssen HaSchem näher erleben. Der erste Jude, Awram, machte diese Reise zuerst.

Das Ich oder das Ego steht im Mittelpunkt des Bewusstseins. Das Ego garantiert die Einheit im Denken, Fühlen und Agieren der Person. Das Ego trennt den Menschen von der Umwelt und schafft gleichzeitig das Gefühl, dass die Person und sein Ego gleich sind.

Um die Bedürfnisse der Umwelt zu befriedigen, schafft die Person verschiedene wechselnde Rollen: z.B. den tyrannischen Boss bei der Arbeit, den Pantoffelhelden zu Hause. Das Ego ist ein falscher Versuch, sich selbst wahrzunehmen, wie man es sich wünscht und nicht wie man ist. Aus einem religiösen Standpunkt betrachtet, hat das Ego keinen Sinn, denn es verhindert, dass unser reales reines „Ich bin“ im Tiefsten des Herzens den Frieden G“ttes und die Einheit als die einzige wahre Realität spürt.

In GENESIS 2:25 sind Adam und Eva nackt und fühlen sich nicht beschämt, sie befinden sich in einem Zustand, in dem sie noch kein Ego oder die Emotion des Schams besitzen. Ihr Ich ist noch rein und real. Sie befinden sich näher zu G“tt. In GEN 3:6, nachdem beide die verbotene Frucht gegessen haben, verstecken sich Adam und Eva in Schande, als G“tt nach ihnen sucht, „AJEKA“ (GEN. 3:9) Wo bist du, Adam?

Das ist das erste Mal in der Heiligen Schrift, dass so interpretiert werden kann, dass Adam und Eva nach dem Essen der verbotenen Frucht ein Ego besitzen. Von diesem Moment an haben Adam und Eva ein eigenes Ego, ein Ich, das bereits eine Identifikation mit der Form hat, in Form einer Repräsentation des Schams. Das Schamgefühl ist ein negatives Gefühl, das sich auf der untersten Stufe aller Gefühle befindet. Es ist ein Ego, getrennt von der wahren Realität, ein Ego, das sie von G“tt entfernt.

Das Empfinden, unvollständig zu sein, hervorgerufen durch unsere unterdrückten Gefühle, sowie der Wunsch, den Tod zu überleben, waren immer die treibenden Kräfte des Menschen. Seit eh und je versuchte der Mensch, dieses Gefühl der Unvollständigkeit durch den Erwerb von Gegenständen, durch die Verwendung von Substanzen, durch die Realisierung von Aktivitäten, durch Veränderungen in der Gemütsverfassung, sowie durch den Aufbau von Beziehungen, zu ersetzen.

Schon der erste Mann und die erste Frau, Adam und Eva, wenden diesen Mechanismus an. Als G“tt Adam fragt, warum er von den verbotenen Früchten des Baumes der Erkenntnis gegessen hat, fühlt Adam ganz natürlich (aus seinem Innern heraus), dass er einen Fehler begangen und Schuld auf sich geladen hat. Es ist genau in diesem Moment, wo Adam, der erste Mensch, erstmals zu diesem Mechanismus greift, um den Einklang mit sich selbst wiederherzustellen.

Er wandelt die Wahrnehmung der Realität so um, dass er sich durch das verzerrte Bild der Verantwortung entziehen kann. Mit dieser verzerrten Wahrnehmung der realen Welt kreiert Adam gleichzeitig ein verzerrtes Selbstbild von einem Adam, der frei ist von jeglicher Verantwortung für sein Handeln.

Die Verantwortung sieht er ganz und gar bei der Frau, bei Eva, die ihn dazu verleitet hat, von der verbotenen Frucht der Erkenntnis zu essen. Als G“tt daraufhin Eva fragt, warum sie vom Baum gegessen hat, wendet sie den gleichen Mechanismus an, den sie bei Adam beobachtet hat, um sich der Schuld zu entledigen. Um ihre innere Zerrissenheit auszugleichen, nimmt sie die Realität verzerrt war. Es ist die Schlange, die die alleinige Verantwortung für den Fehltritt trägt. Auch Eva kreiert in diesem Moment ein falsches Bild von sich selbst.

Unsere unterdrückten Gefühle bestimmen unser Wertesystem und die Art und Weise, wie wir uns selbst und die anderen sehen. Die unterdrückten Gefühle kreieren wortwörtlich die Ereignisse und das Geschehen in unserer Welt. Wir meinen die Ereignisse, die wir später so verdrehen, dass sie verantwortlich für unsere reaktiven Verhaltensweisen sind. Auf diese Weise funktioniert der Selbstverstärkungsmechanismus des Egos. Wenn eine Person sich von der einzigen wahren Realität abgespalten fühlt, kreiert sie, genau wie Adam, eine fiktive Realität im Geist, eine Realität von einem Selbst, so wie wir sein wollen, oder wie wir denken, dass wir zu sein haben und nicht wie wir tatsächlich sind.

Zwei Gefühlswahrnehmungen spielen in diesem kognitiven Prozess eine wichtige Rolle: die Angst und die Schuldgefühle. Wenn wir uns von unserem realen Ich entfernen, bekommen wir Angst und empfinden Schuld. Wir greifen sofort auf den Mechanismus der verzerrten Wahrnehmung zurück, um uns so zu sehen, wie wir gerne sein möchten oder denken, dass wir sein sollten und nicht wie wir in Wirklichkeit sind. Das falsche Bild, das wir von uns haben, das Ego, erschwert die zwischenmenschliche Kommunikation und entfernt uns von unserem wahren und wirklichen Ich.

 

Die Wege zur Auflösung des Egos

Die Auflösung des Egos nimmt einen zentralen Platz in unserem Judentum ein, weil sie ein essenzieller Schritt auf dem Weg zur Einheit mit G“tt ist. Unsere Analyse über die spirituellen Wege zur Auflösung des Egos hat drei spirituelle Wege identifiziert, die wir in den folgenden Abschnitten erläutern werden.

 

Der spirituelle Weg Abrahams „Trenne dich von der Illusion“

Schon im Vers GEN. 12 sagt G”tt zu Awram: “Ziehe hinweg aus Deinem Land, weg von Deinem Geburtsort und von Deines Vaters Haus in das Land, das ICH Dir zeigen werde.“ Hier können wir sehen, dass G“tt Awram befiehlt, alle Quellen seiner ursprünglichen Ausrichtung (das Haus seines Vaters) wie auch alle anderen, durch die Umgebung eingeprägten Verhaltensweisen (Dein Land und Deinen Geburtsort) zurück zu lassen.

G“tt erteilt Awram nicht nur den Befehl, sich von seinem kollektiven Bewusstsein mit den unbewussten Schatten und Archetypen (idealisierte Urmodelle, die späteren Varianten zugrunde liegen), sowie der bewussten individuellen Persönlichkeit, m.a.W. von seinem Ego, zu trennen, damit er sich mit seinem wahren Selbst (‚Ich bin‘) verbinden kann, dass sein Leben mit Hilfe des G“ttlichen Bewusstseins ausrichten wird auf seinem Weg zur Nähe G“ttes. Nein, G“tt benennt es sogar, in welcher Reihenfolge er, Awram, sich von seinen Egos trennen sollte. In GEN. 12:1 gibt G“tt ausdrücklich zu verstehen, dass Awram zuerst seine kollektive Persönlichkeit seines Landes – Me-arzcha – aufgibt, danach sich von der kollektiven Persönlichkeit seiner Verwandtschaft – Mi-moladetecha –  und schließlich auch von der individuellen Persönlichkeit zu trennen hat, die ihn mit der Erziehung im Hause seines Vaters eingeprägt wurde – Mi-Beit Awicha.

Wie genau Awram sich von seinen kollektiven und individuellen Egos loslösen soll, erklärt G“tt ihm in diesem Moment noch nicht – womöglich um ihn nicht zu erschrecken -, weil die Trennung von den bis dahin angeeigneten Identifikationen eine gewaltige Veränderung darstellt.

Aber G“tt kann Awram davon überzeugen, den Weg zum wahren Ich anzutreten, zusammen mit seiner Frau Sarai. Hier zeigt sich deutlich, dass Awram dabei ist, sich in den Vater der Gruppe von Personen zu verwandeln, die sich von ihrem wahren und reinen ‚Ich bin‘ leiten lassen wollen. Awram verhielt sich nicht wie alle anderen in seiner Zeit, noch übernahm er ihre Gewohnheiten.

Awram hatte den Mut und die Tapferkeit auf der einen Seite zu stehen, während alle anderen Menschen sich auf der anderen Seite befanden. Awram widmete sich der Vermittlung seines Wissens an seinen Sohn und an seine Familie, damit auch sie dem rechten Weg G“ttes folgen konnten. Indem er als Vorbild das Richtige und die Gerechtigkeit vorlebte, konnten auch sie auf ihre inneren Stimmen hören und sich auf die Suche nach ihrem wahren und reinen ‘Ich’ machen. Die Auflösung des Egos ist ein Prozess langer, intensiver und persönlicher Arbeit an sich selbst, ist aber notwendig, wenn wir uns G“tt nähern möchten.

Um die Auflösung des Egos in seinem Leben realisieren zu können und sich nicht ablenken zu lassen von den weltlichen Mühen und Sorgen, braucht der Mensch mentale und finanzielle Ressourcen, damit er den Weg zum wahren Ich ohne Hindernisse beschreiten kann. Deshalb soll der Mensch sich anstrengen, in der materiellen Welt durch Arbeit und Bildung genügend Wissen und Geld zu sammeln, noch bevor er die Reise antritt. In der heutigen Zeit bedeutet das, dass er durchdacht handelt, um seine Ressourcen für den späteren Lebensunterhalt schnellst möglich abzusichern und sein Wissensstand so weit wie möglich ausbaut. Natürlich verbirgt sich hier auch schon das Risiko, dass der geschäftige Mensch ein großes und mächtiges Ego aufbaut, das er nicht mehr ablegen kann und ihn von seinem ursprünglichen Ziel, die Auflösung des Egos um sich G“tt zu nähern, abbringt. Oft sehen wir, dass große und mächtige Mitglieder einer Gesellschaft ihr großes und mächtiges Ego nicht mehr ablegen können. Man weiß aus der Psychologie und Soziologie, dass ‘viel Geld und Macht korrupt macht und Armut noch um einiges mehr’. Man braucht nur die Geschichten aller Diktatoren und Mächtigen dieser Welt und die Armut in den armen Ländern zu beobachten und zu analysieren, um die obige Aussage bestätigen zu können. (Beispiele: Brasilien, Venezuela, Belarus, viele Länder-Potentate auf dem afrikanischen Kontinent, auch im Nahen Osten).

Der Mensch kann also leicht von seinem Weg abkommen.

Deshalb ist es nicht gut, wenn der Mensch den Weg alleine geht. Der Mensch braucht eine Person neben sich, die bereit ist, den gleichen Weg mit zu gehen, eine Person, die den anderen erneut emotional ausrichten und ihn einen Spiegel der Wirklichkeit vorhalten kann.

Führen Sie diese Suche nicht allein durch. Suchen Sie selbst eine kritische Person, ein sparing Partner. Nur so erreichen Sie mehr spirituelle Nähe zu sich selbst, zu Ihrer Umwelt und zu Ihrem G’tt, dem EINZIGEN.

 

AN JOM KIPPUR, dem GROSSEN VERSÖHNUNGSTAG, STEHEN WIR AUGE IN AUGE MIT UNSEREM SCHÖPFER

Was kann, ja was soll Jom Kippur für den modernen Menschen bedeuten?

JOM KIPPUR IST FÜR JEDEN DA

Vor zwölf Jahren veröffentlichte der moderne Amerikanische Rabbi Kalman Pack sein berühmtes „Jom Kippur – überlebens – Paket“:

eine Überlebensstrategie für Menschen, die mit der Verfolgung der G“ttesdienstabläufe zu Jom Kippur Mühe haben.

So argumentierte er, dass fünf Minuten Gebet mit Verstehen, Gefühl und persönlichem Eingebundensein wichtiger seien, als fünf Stunden nur Lippenbekenntnisse.

Auch betonte er, dass man unmöglich von sich selbst erwarten darf, durch jedes Gebet emotionell tief berührt zu werden.

 

Bist Du nicht gut in Hebräisch? Mache Dir keine Sorgen! G“tt versteht jede Sprache.

Als ein liebendes Elternteil weiss G“tt, was in Deinem Herzen vor sich geht.

Rabbi Pack setzt seine Aussagen mit der Angabe fort, dass es gerade bei Themen, die Dich speziell betreffen oder berühren, wichtig ist, sich länger damit zu befassen.

Lasse die Worte Dich durchdringen, fühle sie.

Und wenn Du tapfer bist, schliesse Deine Augen und sage die Worte immer wieder aufs Neue.

Befürchtest Du, nicht mehr mit zu kommen?

Beim nächsten Gebet kannst Du Dich doch wieder einklinken.

Werde Dich bewusst, so setzt Rabbi Pack fort, dass Millionen und Abermillionen Juden weltweit gerade an diesem Tag die Synagoge besuchen.

Durch Deine Anwesenheit bezeugst Du deutlich Deinen Anteil am Judentum und am Jüdischen Volk.

AUSSCHLIESSLICH NUR FÜR DIE ORTHODOXIE?

Wichtiger Rat an all diejenigen, die es bereits weit im Judentum gebracht haben:

Aber wie ist es mit dem Atheisten, mit dem fünften Sohn vom Seder?

Mit den Abseitsstehenden, mit den Menschen, die meinen, dass sie an nichts glauben?

Für den sekularen Juden ist Jom Kippur der problematischste Tag im Jüdischen Kalender.

Für Pessach, Schawuot, Sukkot, Chanukka und Purim gibt es eine natürliche, geschichtliche, nationale oder intellektuelle Grundlage. Die Hohen Feiertage jedoch bereiten ein Problem.

An Jom Kippur scheint es ausschliesslich um unsere Verbindung zu G“tt zu gehen.

 

Wenn Du chas weschalom Mühe mit dem Glauben hast, was sollst Du dann in der Synagoge machen?

Fasten, Beten?

Zahlreiche sekulare Israelis störten sich überhaupt nicht an den Hohen Feiertagen, arbeiteten oder veranstalteten Partys hinter verschlossenen Türen.

Heutzutage machen sich Viele für eine neue Auslegung und Inhalte der Hohen Feiertage stark.

Im Grunde sind die Hohen Feiertage, mit dem Höhepunkt NE’ILA (Schlussgebet), zu Jom Kippur, die am meisten menschengerechten Feiertage des Jüdischen Jahres.

In meinen Unterredungen mit verschiedenen Studenten überprüfe ich immer das Gefühl, nicht dazu zu gehören,

ein Gefühl, dass die Jüdische Tradition wohl interessant ist, aber ansonsten nicht wirklich wichtig für die Erfüllung unseres persönlichen Lebens.

Abseitsstehenden fügen hier an, dass sie sich durch „die orthodoxe Verschlossenheit“ ausgeschlossen fühlen und nicht ernst genommen werden.

Womit beschäftigen wir uns?

KEINE REGELN, ABER MITMENSCHLICHKEIT

Die meisten Kulturen feiern ihr Neujahr mit Paraden, Trinkgelagen oder mit nur gemütlichem, entspanntem Zusammensein und Berliner Ballen essen.

Das Judentum hat mehr zu bieten, auch auf dem Gebiet höherer Menschenwerte und moralischer Prinzipien.

Vielleicht scheint es, dass es in den letzten Jahren anders aus sieht, aber das Judentum ist hauptsächlich auf den Menschen ausgerichtet. Jom Kippur ist ein gutes Beispiel.

Obwohl Askese, Enthaltsamkeit und Selbstpeinigung als Wege der Frömmigkeit scheinen, gibt die Thora nur EINEN Fastentag pro Jahr vor.

Was ist der Inhalt dieses Fastens?

Ich lasse den Propheten Jesaja selbst das erklären vor 2700 Jahren:

„Nennet Ihr das Fasten, einen Tag, der Haschem gewidmet wird? Ist das nicht das Fasten, das ICH (also Haschem) erwähle: Unterdrückte freizulassen und jedes Joch zu durchbrechen?

 

Ist es nicht, dass Ihr für die Hungernden das Brot brechet und arme Flüchtende in Euer Haus bringet?

Ja, wenn Ihr einen Nackten sehet, dass Ihr ihn kleidet und Euch nicht abwendet von Euerem eigenen Fleisch und Blut?

Dann wird Euer Licht als Tagesanbruch erscheinen…“(58:5-10).

Wenn wir beim WIDUJI – dem Sündenbekenntnis – an Jom Kippur gut aufpassen, sieht es so aus, dass der wesentlich grössere Teil der Verfehlungen auf der zwischenmenschlichen Ebene liegt.

Und dort liegt das grosse Problem….

 

KEIN MILLIMETER WEITER

Wir sind schwach und verwundbar. Aber jedes Jahr, gegen Ende der zehn Tage der innerlichen Einkehr, begreifen wir, dass wir es absolut wieder nicht geschafft haben, auch nur einen Millimeter weiter zu kommen.

 

Ja, wir haben einen Anfang gemacht, aber haben es nie zu Ende gebracht. Wir fühlen uns schuldig. Wir fragen uns, ob wir dieses Jahr wieder dieselben psychischen Schmerzen durchstehen müssen, wo letztendlich sich doch nicht viel verändert hat.

Weshalb müssen wir beginnen, wenn wir es doch nicht zu Ende bringen?

Mosche zog mit den Juden vierzig Jahre durch die Wüste. Er wusste, dass er Eretz Israel nicht betreten würde.

Er stand dort an der Grenze zum Heiligen Land und „sonderte drei Städte am anderen Ufer des Jordan aus“

(Deuteronomium 4:41).

Diese Zufluchtstädte waren für Menschen bestimmt, die sich unglücklicher-Weise des Totschlags schuldig gemacht hatten und vor der Blutrache fliehen mussten. Dieses ist schwer zu verstehen: Mosche befand sich mitten in einer ernsthaften Ansprache über Normen und Werte. Plötzlich meldet die Thora, dass es drei Zufluchtstädte benannt hat.

Konnte Mosche nicht doch warten, bis er seine Gewissenspredigt, seine ernsthafte Ansprache, beendet hatte? Diese drei Fluchtorte an der anderen Seite des Jordan würden erst ihre Funktion beginnen, wenn die Fluchtorte in Israel auch ihren Zweck erfüllen würden.

Mosche Rabejnu wusste, dass er nie im Stande sein würde, alle sechs Fluchtorte, d.h. einschliesslich der drei an der Israelischen Seite des Jordans, einweihen zu können.

Denn er durfte die Juden nicht in Israel hinein führen.

 

Welchen Sinn ergibt es, eine Mitzwa, eine gute Tat, zu beginnen ohne diese zu Ende zu führen?

Mosche jedoch schafft die Fundamente für die kommenden Ebenen der Mitzwa. Auch wenn er sie nicht selber beenden kann, beginnt er doch damit.

Aber wir sind wieder allen zum Synagoge gekommen. Wir sind wieder – erneut anfangen, G“ttes Anweisungen zu befolgen. Und das ist bereits ein gewaltiger Schritt nach vorne.

Die Bereitschaft allein bringt den Menschen schon auf eine höhere Ebene.

Wir sind uns nie gewiss, ob wir die Mitzwa von Tschuwa, Rückkehr werden erfüllen können.

Wenn die Hohen Feiertage vor der Türe stehen, wissen wir nie genau ob wir wirklich Tschuwa werden machen oder ob es uns gelingen wird, mit unserem Mitmenschen ins Reine zu kommen.

Und doch müssen wir den Versuch nicht aufgeben, müssen wir dranbleiben. Es geht nicht so sehr darum, was wir erreichen.

Wir sind ein Leben lang unterwegs, um Besserung zu erreichen und Tikun Ha’Olam. Es geht darum, wie intensiv wir etwas versuchen.

 

Gmar chatima towa!


© Oberrabbiner Raphael Evers