Teruma: Denken Oder Tun?

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Was ist im Judentum das Wichtigste? Was wir denken oder was wir tun? Es besteht eine Wechselwirkung, eine Interaktion zwischen dem, was wir denken und dem, was wir tun. Wenn ich eine gute Tat leiste, wie Teffilin legen, aber ich hege dabei die abwegigsten und durchtriebenen Gedanken, dann lasse ich von der schönen Mitzwa, die ich am umsetzen bin, nicht viel Schönes übrig.

Umgekehrt gilt natürlich dasselbe: wenn ich mich nur schönen Vorstellungen und Betrachtungen hingebe, kann ich wohl intensiv glücklich werden, aber ich trage nichts zu Tikun Olam, zur Verbesserung der Welt und von mir selbst, bei.

Beinahe alles im Judentum ist eine Kombination von Machschawa, Gedanke (am besten so sauber und erhaben wie möglich) und Ma’assej, Tun und Handeln. Das eine geht nicht ohne das andere. Laut meinem Empfinden ist das der Ausgangspunkt der Thora und schließt auch nahtlos an unserer psychischen und physischen Zusammensetzung an, die auch so von HaSchem geplant war. Der Mensch ist eine große Kombination von Körper und Geist. Daher ist es so, dass auch alle unsere Mitzwot, die bestimmt sind, uns zu vervollständigen, eine ununterbrochene, dauerhafte Zusammenarbeit zwischen unserem Körper und unserem Geist erfordern.

 

Wohltätigkeit ist ein wenig anders

Auffallend ist, dass es auf dem Gebiet von Tzeddaka ein wenig anders gehen könnte. Auch wenn wir unbewusst Tzeddaka geben, wird uns das als Wohltätigkeit angerechnet. Stellen Sie sich vor, Sie verlieren 10 Euro und ein Armer findet das und verwendet es für sich selbst. Obwohl unbeabsichtigt, habe ich doch die Mitzwa, das Gebot der Tzeddaka, erfüllt. Die einfache Tat des Verlierens, also der Verlust, ist – auch ohne irgendwelche gute Absicht, anderen zu helfen – genügend, um meinen Himmlischen Kredit zu steigern. Nicht nur eine gute Kawana (Absicht) wird uns – letztendlich selbst ohne gute Tat – positiv angerechnet, sondern auch eine gute Tat ohne irgendeine Kawana.

 

gute Absichten, aber nicht wirklich gute Taten

In unser Parascha Teruma werden wir mit diesem Phänomen von „guter Kawana, aber keine wirklich gute Tat“ konfrontiert. Die Thora betont bei den Spenden zur Erstellung des Mischkan, des mitziehenden Heiligtums in der Wüste (das übrigens als Symbol für unsere Reise durch diese endlose Golah (Gallut, Exil, Golus oder Verbannung) steht, seit im Jahre 70 nach der Zeitrechnung der Tempel zerstört wurde und wir aus unserem eigenen, heiligen Land vertrieben wurden, immer, dass die Menschen guten Willens und großzügig bei ihren Gaben zu diesem großen Projekt sein sollten: „jeder, der großzügig ist, hat zur Erstellung des Tabernakels mit bei zu steuern“.

 

Und was ist das mit geizigen Menschen?

Dürfen geizige Menschen sich nicht beteiligen? Gerade für sie ist es eine gewaltige Überwindung (und kaum nachvollziehbare, schwere Entscheidung) zu spenden und wird das als eine gute, herausragende Tat angerechnet? Weshalb betont die Thora immer die gute Absicht hierbei?

 

mit viel „Blut, Schweiß und Tränen“ verdient

Aber wir projezieren – wie immer – unsere eigenen Empfindungen und Umstände auf die Bnej Jisraejl, so kurz nach dem Auszug. Wenn wir etwas weggeben, machen wir das beinahe immer von unseren eigenen, schwer verdienten „Kröten“. Wir haben viel, sehr viel dafür getan, dieses Geld zu verdienen. Sobald wir das mit anderen teilen können, hat das beinahe automatisch aus lauterer Absicht zu erfolgen. Etwas, was wir mit viel „Blut, Schweiß und Tränen“ verdient haben, mit anderen zu teilen, ist auf sich selbst bezogen schon ein Beispiel von Güte und Freizügigkeit. Aber wir vergessen die Gegebenheiten der Bnej Jisraejl so kurz nach dem Exodus aus Ägypten.

 

Die Bnej Jisraeel hingen wenig an ihren neuen Besitztümern

Sie zogen als arme Sklaven weg, hatten aber von den Ägyptern viele Kostbarkeiten mitbekommen. Plötzlich reich geworden – ohne große Anstrengung – hingen sie nicht sehr an ihrem neuen irdischen Erworbenen. Später bekamen sie am Ufer des Jam Suf (des Schilfmeeres) noch viele Extras mit, als das ägyptische Herr vor ihren Augen ertrank.

Sie konnten in der Wüste auch wenig mit all jenen Kostbarkeiten anfangen, die sie aus Ägypten mitbekommen hatten. Sie hatten wenig Verbindung zu den umgebenden Völkern und hatten eigentlich wenig Bedarf an neuen Sachen. Ihre Nahrung bestand abends aus Kwarteln (eine koschere Vogelart) und während des Restes des Tages aßen sie Manna, das jeden Morgen vom Himmel herabfiel und in dem sie schmecken konnten, was sie wollten. Ihre Bekleidung wuchs mit ihren Körpern mit, so dass während vierzig Jahre keine Ausgaben für neue Garderobe erforderlich waren. Kurzum: sie hingen höchstwahrscheinlich wenig an ihren neuen Besitztümern.

 

Nicht schwer zu schenken

Es fiel ihnen also auch nicht schwer, ihren materiellen Reichtum dem G“tteshaus zu schenken. Ihre physische Aufopferung war in der damaligen Zeit und unter jenen Umständen nicht wirklich groß oder beeindruckend.

 

die Begeisterung war aber beeindruckend

Was wohl beeindruckend war ist, dass sie nach dem Debakel des Goldenen Kalbes jetzt die Begeisterung aufbringen konnten, einen Heiligen Tempel für HaSchem zu bauen. Deshalb betont die Thora, dass es in dieser Situation nicht so sehr um ihre Freizügigkeit im physischen Sinne ging, sondern um ihrem sich einbringen und ihren Empfindungen bei diesem großen nationalen Projekt des sich auf das G“ttliche in dieser Welt ausrichten: letakejn olam bemachut Schakkaj – die irdische Wirklichkeit zu einer Wohnstätte für die Schechina, die G“ttliche Präsenz, um zu bauen.

 

Author: © Oberrabbiner Raphael Evers | Raawi Jüdisches Magazin