Herkunft und Status der äthiopischen Falascha-Juden

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In der Parscha geht es um Kriegserlebnisse und das Schicksal von Kriegsgefangenen. Daher möchte ich  folgendes Thema ansprechen.

 

Herkunft und Status der äthiopischen Falascha-Juden

Das Judentum diskriminiert nicht aufgrund von Hautfarbe, Abstammung oder Rasse. Ob die Falaschas als Juden anerkannt werden können, ist eine Frage des Ursprungs dieser Jüdischen Gemeinschaft in Äthiopien.

Das Problem der Jüdischen Identität ist keineswegs neu. Dem Midrasch zufolge musste jeder, der zum Jüdischen Volk gezählt werden wollte, eine klare Abstammung von unseren Erzvätern nachweisen. G’tt sagte zu allen Fremden: „Bringt Mir das Zeugnis eurer Abstammung, wie Meine Kinder es tun“. Dies ist auch der Inhalt des Verses: „der sich nach Gattungen und Geschlechtern geordnet hat“ (Bemidbar/Num. 1:18).

 

Das Tagebuch von Eldad haDani

Die Falascha-Gemeinde wird erstmals im Tagebuch von Eldad haDani erwähnt, einem Kaufmann und Reisenden aus dem neunten Jahrhundert, der behauptete, Bürger eines autonomen Jüdischen Staates in Ostafrika gewesen zu sein. In diesem Staat wohnten die  Stämme Dan, Naftali, Gad und Ascher. Der Gaon von Sura (Babylon), Tsemach ben Chaim, verbürgte sich für die Zuverlässigkeit von Eldads Aussagen. Eldads Geschichte wurde geglaubt.

Doch viele zweifelten weiterhin an Eldads Berichten. Rabbi Meir von Rothenberg und Rabbi Awraham ibn Esra zweifelten. Aber Raschi, Rawad und Rabbi Abraham ben Maimon hielten ihn für glaubwürdig. Eldad haDani beschreibt die Falaschas, als wären sie ganz normale Juden. Danach gab es jahrhundertelang nur wenige Kontakte zwischen den europäischen Gemeinschaften und denen Äthiopiens.

 

Verkaufte Sklavin

Doch im 16. Jahrhundert wurde der Status der Falaschas erneut Gegenstand einer halachischen Entscheidung in den Responsa von Rabbi David ben Zimra (16. Jahrhundert), genannt Radbaz (4:219).

Was war der Fall? Eine von Falaschas bewohnte Stadt wurde überfallen, die Männer abgeschlachtet und die Frauen und Kinder gefangen genommen. Eine Frau, deren Ehemann vermutlich getötet worden war, wurde von einem Jüdischen Herrn als Sklavin gekauft, der dann eine Beziehung mit ihr einging. Das Ergebnis war die Geburt eines Sohnes. Das Kind wollte später eine Frau Jüdischer Abstammung heiraten. Radbaz wurde gebeten, zu entscheiden, ob diese Heirat erlaubt werden kann.

 

Nachkommen von Dan

Für Radbaz war seine Abstammung zweifelsfrei klar: „Es ist offensichtlich, dass er Jude ist und aus dem Stamm Dan stammt“. Radbaz beschreibt auch die Verhältnisse in Äthiopien: „Es herrscht ständig Krieg zwischen den Königen von Abessinien, denn es gibt in Abessinien drei Königreiche. Ein Teil des Landes wird von Muslimen bewohnt, ein Teil von Christen, die in ihrem Glauben unerschütterlich sind, und ein Teil von Juden des Stammes Dan. Jeden Tag werden Gefangene auf allen Seiten gemacht“.

Aber Radbaz hielt die Frage, ob der Junge ein Bastard (Mamzer) sein könnte, für relevant. Wenn der Ehemann der Sklavin noch lebte, als sie mit ihrem Herrn Geschlechtsverkehr hatte, war das Kind ein Bastard (Mamzer) und konnte nicht heiraten.

Wurde ihr Ehemann jedoch getötet, hatte die Gefangene den Status einer unverheirateten Witwe. Ihr Sohn wäre dann kein Bastard, denn ihr Kind, das außerhalb der Ehe von einer unverheirateten Mutter geboren wurde, hätte nicht das Stigma des Mamzers (Bastard). Solange jedoch der Status des Sohnes nicht geklärt war, konnte er nicht heiraten.

 

Unzulässige Scheidungen

Radbaz nennt noch einen weiteren Faktor, der einer Heirat in die falaschische Gemeinschaft entgegenstehen könnte. Diese Frage stellt sich aber nur, wenn man die Falaschas als Juden betrachtet.

Die Falaschas kennen weder die mündliche Lehre, noch die Mischna oder den Talmud: „Sie scheinen der Sekte von Tzadok und Buthus anzugehören, die als Karaiten bekannt sind“.

 

Wenn sie tatsächlich den Status von Juden besitzen, sind die von ihnen eingegangenen Ehen gültig. Da sie aber nicht wissen, wie man eine Scheidung nach Jüdischem Recht durchführt, bedeutet dies, dass viele Frauen, die noch nicht formell von ihren Männern geschieden sind, illegal wieder andere Männer geheiratet haben. Kinder aus solchen Ehen wären Bastarde. Wenn dies über Generationen hinweg so weitergeht, wird es nicht mehr möglich sein, jemanden aus dieser Gemeinschaft zu heiraten, weil jeder potenziell ein Bastard ist, egal ob Mann ob Frau. Aber ohne eine gültige Ehe ist eine Scheidung nicht erforderlich.

 

Ohne eine gültige Ehe ist eine Scheidung nicht erforderlich denn formal gab es nie eine ursprüngliche Ehe, so dass eine Scheidung nicht erforderlich ist.

 

Ohne Heirat gibt es den Status des Bastards nicht.

Radbaz kommt daher zu dem Schluss, dass es nicht nötig ist, zu überprüfen, ob es eine halachische Herkunft vorliegt. Radbaz stimmt daher einer Heirat mit einer Falascha mit einer Bedingung zu, dass der künftige Ehepartner bereit ist, die Bräuche des rabbinischen Judentums zu übernehmen.

 

Author: © Oberrabbiner Raphael Evers | Raawi Jüdisches Magazin

Foto: Das jüdische Dorf Balankab in Äthiopien, von H. A. Stern, Wanderings Among the Falashas in Abyssinia London, 1862