Ki Teze

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Ki Teze: AUFMERKSAMKEIT AUF EINE GUTE PERSÖNLICHE HALTUNG WÄHREND KRIEGSZEITEN LEGEN

Die Parascha beginnt mit einem Krieg. Krieg schafft eine Extremsituation. Deshalb gibt es dafür ein spezielles Regelwerk. „Wenn du ausziehst zum Krieg gegen deine Feinde, und HaSchem, dein Gtt, ihn in deine Hand gibt, und du von ihm Gefangene machst; Und du siehst unter den Gefangenen eine Frau schön von Bildung, und du begehrst nach ihr und nimmst sie dir zur Frau.(Dewarim/Deuteronomium 21:10-11).

Raschi erklärt, dass sich die Thora gegen ungezügelte Leidenschaft ausspricht. Allerdings würde der Soldat auch ohne G’ttes Erlaubnis,  die Frau trotzdem heiraten.

 

als ein kleines Heiligtum

Die Thora sieht ein Heer auf dem Kriegspfad als ein kleines Heiligtum an. Heutzutage muss jeder in der Armee sein, und in der dortigen Männergesellschaft sind Obszönitäten kaum wegzudenken. Doch in der Vergangenheit durften nur Menschen ohne Fehl und Tadel, die frei von geistigen Mängeln waren, auf dem Schlachtfeld stehen. Im Judentum geht es um Qualität und nicht um Quantität. Die Nähe zur Schechina kann nur durch einen hohen Grad moralischem Strebens garantiert werden.

 

Die Nähe zur Schechina

Die Thora verweist auch auf die Körperhygiene im militärischen Feldlager: „… und einen Spaten sollst du dir halten bei deiner Rüstung; und wenn du dich draußen hinsetzest, so grabe damit und bedecke deinen Auswurf.(Dewarim/Deuteronomium 23:13-14).

 

die G’ttliche Gegenwart sollte spürbar sein

Da im Judentum der Mensch im Ganzen G’tt dient, lesen wir in der Thora auch über persönliche Hygiene. Der Heeresplatz muss für das G’ttliche offen und rein sein. Die Ausscheidungen sind das Ergebnis rein körperlicher Funktionen, in denen sich der Mensch nicht vom Tier unterscheidet. Es gibt Platz für unsere „tierischen“ Aktivitäten – aber außerhalb und nicht innerhalb des Heerlagers. Dort sollte die G’ttliche Gegenwart spürbar sein.

 

Höhere Werte

Die Konzentration auf die höheren Werte des Lebens, die die Thora von uns erwartet, ist kaum vereinbar mit Äußerungen unserer tierischen Schwächen: „Denn HaSchem,  dein Gtt, wandelt inmitten deines Lagers, dich zu retten, und deine Feinde vor dich hinzugeben, und es sollen deine Lagerstätten heilig sein, dass Er nicht an dir sehe irgend eine Blöße und sich abkehre von von dir(Dewarim/Deut. 23,15). Moralische Nachlässigkeit veranlasste G’tt offenbar dazu, sich von der Armee abzuwenden, was katastrophale Folgen nach sich zog.

 

andere Verhaltensregeln

Ein Krieg ist eine außergewöhnliche Situation, in der andere Verhaltensregeln gelten. Zur Selbstverteidigung ist das Töten erlaubt. Das Verbot „Du sollst nicht töten“ wird vorübergehend aufgehoben. Wir und unsere Gegner sind uns unseres Lebens nicht sicher. An der Grenze des Landes Israel wacht die Thora auf das moralische Niveau des Jüdischen Soldaten in einer besonderen Situation. Denn sein moralisches Niveau steht unter starkem Druck.

 

Kohen maschuach Milchama

Kurz vor der Schlacht wendet sich ein Kohen (Priester) an die Soldaten, ein Kohen, der speziell für den Krieg gesalbt wurde, ein Kohen maschuach Milchama. Der Tolner Rebbe widmet diesem Thema, in einer wunderschönen Bearbeitung von Rav Y. Frand, ein eigenes Kapitel.

Dieser besondere Kohen hatte eine hohe Keduscha, Heiligkeit. Er wird fast mit dem Kohen Gadol, dem Hohepriester, gleichgesetzt. Warum konnte der Hohepriester diese die Soldaten anspornende Funktion nicht erfüllen? Warum musste jemand speziell dafür ernannt werden, der vielleicht nie in seinem Leben einen Krieg erlebte? Obwohl die meisten autoritären und priesterlichen Pflichten im Judentum vererbbar sind, war die Funktion des Kohen maschuach Milchama nicht vererbbar.

 

Inspirierende Persönlichkeit

Der Kohen maschuach Milchama musste eine ganz besondere Persönlichkeit sein. Er musste die Soldaten inspirieren können. Aber die Thora wäre nicht die Thora, wenn diese Inspiration nicht rein religiöser Natur wäre. Es ging nicht nur darum, „die Männer“ zu ermutigen. Jeder, der schon einmal an einem Krieg teilgenommen hat, weiß, dass die Versuchung groß ist zu glauben, der Sieg sei eine reine Menschensache.

Wenn man gut plant, viele hochqualifizierte Menschen, Agitation und Ausrüstung einsetzt, eine gute Militärlogistik entwickelt, ein starkes Spionagenetz aufbaut, die richtigen Computerprogramme aktiviert und voller Übermut das Schlachtfeld betritt, kann ein militärischer Sieg bald wie eine rein menschliche Angelegenheit wirken.

 

meine Kraft hat mir all dies  geschafft

Wie oft herrscht bei einem Angriff das Gefühl vor, dass „kochi ve’otsem jadi asa li et hachail haze – meine Kraft und die Stärker meiner Hand hat mir all dies Vermögen geschafft (Dewarim/Deut. 8,17). Dennoch gibt es ein G’ttliches Element in jeder Beziehung, und sicherlich auch in einem Krieg, dessen Ereignisse völlig unvorhersehbar und dessen Folgen oft unkalkulierbar sind.

Dann befiehlt die Thora: Dann gedenke von HaSchem deines Gttes; denn er ist es, der dir Kraft gibt, Vermögen zu schaffen (Dewarim/Deut.  8,18).

Die Aufgabe dieses Kohen maschuach Milchamas bestand darin, die Soldaten auf diesen G’ttlichen Aspekt aufmerksam zu machen. Und wenn ihr der Schlacht nahe seid, soll der Kohen-Priester hervortreten und zum Volk sprechen: Fürchtet euch nicht … denn es ist HaSchem, euer G’tt, der mit euch hinaufzieht, um für euch gegen eure Feinde zu kämpfen, damit ihr den Sieg erringt(Dewarim/Deut. 20,4).

 

Ein Mann der Praxis

Deshalb hatte er eine so einzigartige Stellung und seine Funktion war nicht vererbbar. Der Hohepriester war ganz und gar auf einer spirituellen Ebene. Der Kohen maschuach Milchama musste ein Mann sein, der sich in die Soldaten hineinversetzen konnte, der genau wusste, was die Kämpfer fühlten und dachten. Er musste das Gefühlsleben eines jeden Soldaten im Schützengraben, in der Schlachtaufstellung, im Einsatz durchdringen.

Deshalb steht geschrieben, dass dieser Kohen maschuach Milchama den Truppen nahe sein musste. Er musste ihr Gefühlsleben kennen und sie nicht nur anspornen, sondern auch eine hohe Dosis Glauben  an G’tt und „G’ttvertrauen“ einflößen, damit die siegreiche Armee nicht denkt, dass sie den Sieg ohne Hilfe des Allmächtigen erringen kann.

 

Freistellung, aber keine Fahnenflucht

Und es sollen fortfahren die Beamten zu reden zum Volk und sprechen: Wer ist, der furchtsam und zaghaften Herzens ist, er gehe und kehre zurück in sein Haus(Dewarim/Deut. 20:8).

Die Aufseher sagen dem Volk kurz vor einer Schlacht, dass diejenigen, die

  1. ein Haus gebaut haben, es aber noch nicht eingeweiht haben,
  2. verlobt sind, aber noch nicht geheiratet haben,
  3. einen Weinberg gepflanzt haben, ihn aber noch nicht gerodet haben,

 

vom Schlachtfeld zurückkehren können.

Dann wird den Soldaten gesagt, dass auch sie aus Angst gehen können. Raschi erklärt, dass alle früheren Ausreden für Desertion und Freistellung nur dazu dienten, die Ängstlichen zu schützen.

Wenn man sah, warum die Soldaten die Front verließen, brachten ihre Mitstreiter dies nicht direkt mit Angst vor der Schlacht oder Feigheit in Verbindung, sondern mit dem neuen Haus, der Verlobung oder dem ausgelösten Weinberg.

 

Bei Angst – keine Hinrichtung

Welcher Art sind diese Angstgefühle?

  1. Rabbi Akiwa denkt, dass dies Menschen sind, die beim Anblick von Blut oder einem gezogenen Schwert in Ohnmacht fallen.
  2. Rabbi Jose erklärt jedoch, dass es sich um Menschen handelt, die fürchten, wegen ihrer Awerot (Übertretungen) umzukommen: „selbst für einen kleinen verbalen Fehltritt, wie z.B. das Sprechen zwischen dem Anlegen der Arm- und Kopftefillin“ (B.T. Sota 44a).

Warum gibt der Talmud ein Beispiel für jemanden an, der – versehentlich oder nicht – zwischen dem Binden der Tefillin, der Gebetsriemen am Arm und am Kopf, gesprochen hat? Denn selbst bei dieser – geringfügigen – Übertretung, awera, ist das Sprechen eine Ursache. Warum sind wir so nachlässig, wenn es um unsere Beziehung zum Allmächtigen geht?

 

Unempfindlichkeit

Rabbi Jochanan ben Zakkai (2. Jh.) sagte auf seinem Sterbebett zu seinen Schülern: „Mein Wunsch für euch ist, dass eure Furcht vor G’tt so stark ist wie eure Furcht vor euren Mitmenschen“, denn jeder weiß, dass wir uns, wenn wir eine Awera begehen wollen, umschauen, ob uns niemand sieht. Offenbar fürchten wir unsere Mitmenschen mehr als G’tt. Um zu einem integren Menschen zu werden, der sich selbst und G’tt direkt in die Augen schauen kann, muss die Unempfindlichkeit aus unserem Herzen entfernt werden.

 

„Orla“ – eine Barriere

Es gibt eine Art „Orla“ – eine Barriere, die die Wahrnehmung des allumfassenden G’ttes blockiert – in unserem Innersten. Sie muss entfernt werden. Sie ist die Ursache aller Unempfindlichkeit – sowohl der zwischenmenschlichen – als auch der zwischen Menschen und G’tt. Aber das kostet viel Zeit. Deshalb muss der Soldat sich bis auf Weiteres von der Front fernhalten.

 

Wenn der Arm symbolisch vom Verstand losgelöst ist

Rabbi Yitzchak Menachem Weinberg, der Tolner Rebbe, gibt jedoch einen tieferen Einblick in die Aussage, dass man das Schlachtfeld „sogar zum Sprechen zwischen dem Anlegen des Arm- und des Kopftefillins“ verlassen sollte.

Der Arm ist das Symbol des Gedankens „meine Stärke und die Kraft meiner Hand haben mir den Sieg gebracht“. Der Kopf, der Intellekt hat die Aufgabe, das G’ttliche und das Erhabene im Menschen walten zu lassen.

 

Intellekt und Emotion sollten eins miteinander sein

Wenn der Arm symbolisch vom Verstand losgelöst ist, der die Emotionen bildet, kann die Selbstüberschätzung die Oberhand gewinnen. Die Thora ist ganz klar dagegen und stellt G’tt in den Mittelpunkt.

Wir dürfen nicht zwischen dem Anlegen der Tefillin des Arms und denen des Kopfes sprechen. Intellekt und Emotion sollten eins miteinander sein. Das Denken muss die Gefühle kontrollieren. Das ist das Judentum.

 

Parascha  Ki Tez(Dewarim/Deuteronomium 21:10-25:19)

Author: © Oberrabbiner Raphael Evers | Raawi Jüdisches Magazin