In der Feuerkette der Epoche – Über Gertrud Kolmar

Autorin Friederike Heimann und Rabbiner Dr. Gábor Lengyel | © Michael Kohls
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Friedrike Heimann präsentiert ihr neues Porträt über Gertrud Kolmar. Im Gespräch mit Thomas Sparr, Editor-at-Large im Suhrkamp Verlag Berlin, eröffnen sich sehr persönliche Einblicke in das Leben der herausragenden jüdischen Lyrikerin. Rabbiner Dr. Gábor Lengyel zeigt sich tief bewegt von der Buchvorstellung.

Erwartungsvolle Stille herrscht in der Arena der Wissenschaften. Aufmerksam und mit ihr eigenen, unaufdringlichen Eleganz sitzt Friedrike Heimann an diesem Abend in der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg. Wir sind zu Gast im Warburg Haus und die Autorin bereitet sich auf die Buchpremiere ihres Portraits über Gertrud Kolmar vor.

Der ellipsoide, fast bis an den funkelnden Kanal reichende Vortrags- und Lesesaal ist bis auf den letzten Platz besetzt. Gefühlt ist ein großer Teil der literarischen Stadtgesellschaft an diesem Abend der Einladung des Jüdischen Salon gefolgt. Auch Familie und Freund*innen der Autorin sind Teil des Publikums. Der Saal atmet wohlwollende Spannung.

Die Dramaturgie dieser Buchpräsentation ist professionell und nahbar zugleich: Der vertraute und kenntnisreiche Dialog mit Thomas Spar wirkt an keiner Stelle eingeübt oder aufgesetzt, sondern entwickelt sich vollkommen authentisch. Als Zuhörende fühle ich mich wie im Wohnzimmer der Autorin, die ihr Portrait im Gespräch mit dem Experten für deutsch-jüdische Literatur wie ein feingewebtes Tuch vor dem Publikum ausbreitet.

 

 

Die immer wieder im Gespräch eingestreuten Lesungen eröffnen den Blick auf eine sehr lebendige und ungewöhnliche Frau, die sich einem traditionellen Lebenslauf entzieht. Es wirft Blicke auf ein Leben, das allesspiegelt, was das 20. Jahrhundert einer jüdischen Frau antun konnte. In Anlehnung an Hannah Arendt schreibt Friederike Heimann: „Wenn jemand die ‚Feuerkette der Katastrophen‘ im Deutschland des 20. Jahrhunderts am eigenen Leib erfahren hat, dann war es Gertrud Kolmar.“

Eine behutsame, zuweilen schmerzhafte, liebevolle, aber nie voyeuristische Annäherung ist Friederike Heimann mit diesem Portrait gelungen. Als Mitglied der Reformsynagoge bezieht sich die Literaturwissenschaftlerin auch auf die in Anspielung auf die jüdische Überlieferung aus der Bibel entstandenen Verse von Kolmar. Rabbiner Dr. Gábor Lengyel zeigt sich im anschließenden Publikumsgespräch nicht nur „fachlich beeindruckt, sondern tief bewegt“ von den Lebenslinien Getrud Kolmars, die Heimann und Sparr in ihrem Gespräch nachzeichnen. „Bewegend“ ist für viele im Publikum ein passender Ausdruck ihrer Reaktion nach der Lesung – die Zuhörerenden applaudieren begeistert. Von der besonderen Atmosphäre ergriffen, bleiben viele noch, um mit der Autorin und den Veranstalter*innen des Jüdischen Salons zu sprechen und einen Wein zu trinken.

Friederike Heimann erscheint prädestiniert für diesen Stoff: Nach dem Studium der Germanistik, Politologie und Soziologie an der Freien Universität Berlin promovierte sie über Gertrud Kolmar. Ihre Dissertation legt den Fokus auf die wissenschaftliche Betrachtung der jüdischen Dichterin. Das nun erschiene Portrait ist die Arbeit mehrerer Jahre und entstand in vielen Gesprächen, Orts-Begehungen, einer unermüdlichen Spurensuche und umfangreicher Forschungsarbeit.

Das Portrait offenbart: Gertrud Kolmar ist eine der größten Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts. Zu Lebzeiten war ihr Werk größtenteils ungedruckt. 1943 wurde sie in Auschwitz ermordet. Ihre Lyrik ist geprägt von Worten von „fragiler, äußerst zerbrechlicher Schönheit“, wie Friederike Heimann es formuliert.

Jetzt können wir dieser außergewöhnlichen jüdischen Lyrikerin in dem zum 80. Todestag erschienen Portraitnachspüren. Was für eine wunderbare Einladung.

 

In der Feuerkette der Epoche
In der Feuerkette der Epoche

 

© Daphna Horwitz für Hayom / Titelbild: © Michael Kohls

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ISBN: 978-3-633-54318-2 | 462 Seiten |  Jüdischer Verlag / Suhrkamp Verlag | 28,00€