Rabbiner Shlomo Bistritzky: 1700 Jahre Judentum – Darauf zurückblicken, was das Judentum ausmacht

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1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland.
Ist das ein Grund zu feiern? Ist es ein Zeichen des Erfolgs? Etwa ein Zeichen des Überlebens?
Die Art und Weise wie wir, Jüdinnen und Juden hier in Deutschland leben, und der Weg, wie die Deutschen uns heute in Deutschland akzeptieren, geben die Antwort darauf.
Nicht viel ist von den Jahren geblieben, Jüdinnen und Juden wurden vertrieben und ermordet, Häuser zerstört und Bücher verbrannt. Aber vieles hat das auch alles überstanden: Das Lernen, die Bräuche, die Tradition, die Lebensart und die Bücher, die in den 1.700 Jahren geschrieben wurden. Ja, aus ihnen wird immer noch gelehrt, und sie werden noch immer neu gedruckt, denn sie sind noch immer aktuell.
Ich möchte heute einige Beispiele von Persönlichkeiten aus den vergangenen 1.700 Jahren nennen, die jüdische Gesetze erlassen oder beeinflusst haben, die noch heute aktuell sind und noch heute die ganze jüdische Welt beeinflussen.
So sind die Bestimmungen, dass ein jüdischer Mann nicht mehr als eine Frau heiraten darf, oder das ein jüdischer Mann seine Frau nicht zwingen kann, sich scheiden zu lassen – trotzdem die Tora beides erlaubt – von Rabbeinu Gerschom, der in Mainz im Jahr 1028 verstarb, als Gesetze erlassen worden.
Rabbi Jehuda Hachassid starb in Regensburg im Jahr 1217, er erließ unter anderem auch das Gesetz, dass, wenn zwei Brüder zwei Schwestern heiraten, sie nicht in der gleichen Stadt leben dürfen. Ein aktueller Fall, den wir vor etwa einem Jahr über zwei Brüder aus Genf, die zwei Schwestern aus Berlin heirateten, klären mussten, denn ein Paar sollte nach Hamburg kommen.
Auf das, was Rabbi Yakvo Ettlinger, der hier in Altona im Jahr 1871 verstarb, in seinem Buch Binjan-Zion schrieb, verlassen sich heute alle Rabbiner, wenn sie über unterschiedliche Fragen über das Verhältnis zu Jüdinnen und Juden, die abseits von jüdischen Gesetzen leben, zu entscheiden haben.
Eine weitere Persönlichkeit, von der jede oder jeder begeistert ist, der über sie liest, oder ihre, von ihr geschriebenen Memoiren, über ihre Jahre hier – um ca. 1690 – in Hamburg, ist Glückel von Hameln.
Nicht nur die Geschichte ihres eigenen Lebens, wie sie nach dem Tod ihres Mannes, als sie 44 Jahre alt war, und nach der Geburt von 14 Kindern, die Geschäfte ihres Mannes weiter erfolgreich führte,
sondern auch die, die über ihre Beteiligung an bedeutenden Ereignissen, die zu dieser Zeit im deutschen Judentum stattfanden, erzählt.
Neben unserer Jüdischen Gemeinde in Hamburg KdöR, die in den vergangenen zehn Jahren enormes Wachstum erlebt,
– neben den Aktivitäten des Vereins Chabad Lubawitsch Hamburg, der größte und aktivste jüdische Verein in Hamburg, mit Sitz in der Rothenbaumchaussee, den meiner Frau Chani und ich vor 18 Jahren gründete, gründeten wir vor sieben Jahren das Rabbinerseminar Or-Jonatan. Ein Ort wo sich die Vergangenheit und die Zukunft begegnen,
– ein Ort an dem Studenten täglich die Bücher, die ich vorher erwähnte, studieren.
– Ein Ort an dem die Studenten moderne aktuelle Fragen auf Basis der Gesetze, die hier vor vielen Jahren erlassen wurden, behandeln.
– Ein Ort von dem aus, junge ausgebildete Rabbiner in die Gemeinden Deutschlands gehen,
wie unsere Absolventen Rabbiner Nathan Grinberg, Gemeinderabbiner unserer Nachbargemeinde in Lübeck, und Rabbiner Aaron Bachkala, Gemeinderabbiner in Rottweil in Baden-Württemberg.
Ja, Hamburg kehrt dazu zurück, eine Gemeinde zu sein, die auf die ganze jüdische Gemeinschaft in Deutschland wirkt.
Die gesegnete Initiative 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland ist für viele in Deutschland ein mutiger Schritt, nicht mehr nur 80 Jahre zurück zu schauen, zu den Zeiten der Shoah, sondern viele Jahre weiter zurück.
So rufe ich allen, die mitmachen, zu, wenn ihr schon mehr als 80 Jahre zurückschaut, schaut nicht nur 200 Jahre zurück, schaut 1.700 Jahre zum Fundament, zur Basis des Judentums zurück, zu dem was hier verankert und erlassen wurde, und was das Judentum heute ausmacht.
Denn desto tiefer und stärker das Fundament ist, je gesicherter ist die Zukunft.
Ich bedanke mich beim Senat der Freien und Hansestadt Hamburg für diesen würdigen Empfang und wünsche Ihnen allen für das kommende jüdische Jahr, das in zwei Wochen beginnt: Schana Tova, ein gutes und süßes neues Jahr!