Liebe Freunde,
dieses Jahr fällt Pessach auf den Schabbat und ich möchte diese Möglichkeit für einige interessante, halachische Themen nutzen; darunter, ob es andere Gesetze zu Pessach gibt, wenn es auf den Schabbat fällt?
Zunächst einmal beginnen wir mit der Frage, was wir tun, wenn es zwei Gebote gibt, die gehalten werden müssen, und eines davon dem anderen zu widersprechen scheint. Welches wird eingehalten und welches übergangen?
Wir haben folgende zwei Beispiele für Situationen, in denen ein Widerspruch zwischen zwei Geboten zu bestehen scheint: 1. ein Kohen sieht etwas Verlorenes auf dem Friedhof, 2. ein Vater fordert seinen Sohn auf, ein Verbot zu missachten.
Ein Kohen (Priester), der einen Friedhof nicht betreten darf, weil er nicht durch die Toten unrein werden darf – der am Friedhof vorbeigeht und hinter dem Zaun einen Gegenstand sieht, den jemand verloren hat, steht vor einem Dilemma: Es gibt die Mitzwa des Haschawat-Aweda (verlorene Gegenstände zurückgeben). Und eine Person, die etwas Verlorenes sieht, darf es nicht ignorieren. Es stellt sich also die Frage, ob es in diesem Fall für einen Kohen zulässig ist, den Friedhof zu betreten und sich zu verunreinigen. Die Gemara im Traktat Baba-Metzia beantwortet die Frage und lernt aus dem Vers im Buch Devarim (Kapitel 22, Vers 1): „Du sollst nicht sehen, wie der Ochs deines Bruders oder sein Schaf sich verlaufen, und dich ihnen entziehen; Zurückbringen sollst du sie deinem Bruder“.
Dort steht also geschrieben: „und du darfst dich ihnen nicht entziehen“, davon lernt man, dass es manchmal eine Situation geben kann, die ignoriert werden sollte, und manchmal eine Situation, die nicht ignoriert werden sollte.
In welcher Situation soll man dann ignorieren? Wenn ein Kohen etwas Verlorenes auf einem Friedhof sieht?
Dazu sagt die Gemara, es besteht kein Bedarf für einen „besonderen Grund“. Denn es gibt eine Regel, nach der es kein Gebot, das ein Verbot aufhebt. Also: Haschawat-Aweda ist ein Gebot und Unreinheit des Kohen ein Verbot. Ein anderes Beispiel: Was passiert, wenn ein Vater seinem Kind sagt, dass es ein Verbot übertreten soll? Muss der Sohn aus Respekt und Ehrfurcht vor den Eltern auf seinen Vater hören oder muss er das Verbot einhalten?
Maimonides schreibt ausdrücklich:
„Wem auch immer sein Vater gesagt hat, er solle die Worte der Tora durchgehen, ob er ihm gesagt hat, er solle Verbote übergehen. Dann soll er nicht auf ihn (seinen Vater) hören, denn es steht in der Tora: ‘Jeder fürchte seine Mutter und seinen Vater, und meine Schabbatot beobachtet‘, alle sind dazu verpflichtet, meine Ehre zu wahren.“
Und nun zurück zu Pessach: Als der Tempel existierte gab es das Gebot, dass der G-ttesdienst im Tempel durch Opferungen gehalten wurde.
Im Talmud wird die Frage gestellt, was man tut, wenn Pessach am Schabbat anfängt, denn es ist ja verboten, am Schabbat Tiere zu schlachten. Was machst du also mit dem Pessach Opfer?
(Weiter unten sehen wir die Diskussion des Talmuds zu dieser Frage.)
Heutzutage bringen wir keine Opfer dar, und so stellt sich diese Frage nicht. Und natürlich bleibt die Heiligkeit des Schabbat stärker als die Dinge, die wir an Pessach als Minhag (Brauch) praktizieren. Wir haben also überhaupt keine Frage, was stärker ist. Es lohnt sich trotzdem zu betonen, dass es Dinge gibt, die wir jedes Jahr in der Seder-Nacht tun, aber dieses Jahr besser nicht am Schabbat tun sollten, sondern vor dem Schabbat (und wie gesagt, es steht völlig au.er Frage, den Schabbat zu verschieben, da die Heiligkeit des Schabbat nicht wegen dieser Minhagim oder überhaupt je angetastet wird).
Einer der Hauptunterschiede zwischen Schabbat und Jom-Tov (Feiertag) ist, dass am Feiertag gekocht werden darf und am Schabbat nicht. Daher muss dieses Jahr alles vor dem Schabbat fertig sein, selbst das Charosset.
Eine andere Sache, die dieses Jahr beachtet werden muss: weil es am Schabbat verboten ist zu tragen (Tiltul), das heißt, Dinge von Ort zu Ort zu bewegen, von einem Privathaus durch die Straße zu einem anderen Haus, sollten diejenigen, die in den Häusern anderer Leute als Gast eingeladen sind, am Schabbat nichts mitbringen.
Das Folgende ist das Gemara-(Talmud) Traktat Pesachim 66a, das sich mit der oben erwähnten Frage befasst (die hervorgehobenen Wörter sind die Wörter der Gemara, und die anderen Wörter sind erklärende und verbindende Wörter, damit der Leser den Inhalt der Gemara leicht verstehen kann):
„Die Rabbanan lehrten: Diese (folgende) Lehre war den Söhnen Betheras, den Präsidenten das Haupt- Beit-Din (Jüdisches Gericht) entgangen: Einst fiel der vierzehnte Nissan auf einen Schabbat, und diese (die Söhne Betheras) hatten es vergessen und wussten nicht, ob die Herrichtung des Pessachopfers den Schabbat verdränge oder nicht.
Da fragten sie: Gibt es vielleicht jemanden, der weiß., ob die Herrichtung des Pessachopfers den Schabbat verdrängt oder nicht? Man erwiderte ihnen: „Es gibt hier einen Mann, der aus Babylonien herkam, Hillel, der Babylonier, ist sein Name; famulierte (er war Schüler) bei zwei Großen des Zeitalters, Schemaja und Awtalijon, und er weiß., ob die Herrichtung des Pessachopfers den Schabbat verdrängt oder nicht“.
Darauf ließen sie ihn rufen und fragten ihn: „Wei.t du vielleicht, ob die Herrichtung des Pessachopfers den Schabbat verdrängt oder nicht? “ Er erwiderte ihnen: „Haben wir etwa nur ein Pessachopfer im Jahre das den Schabbat verdrängt, wir haben ja weit mehr als zweihundert Pessachopfer im Jahr, das sind die Schabbat- und Feiertags- (die auf Schabbat kommen) Opfer die den Schabbat verdrängen!“, und genau wie beständige und zusätzliche Opfer, die an ihrem festen Tag geopfert werden dürfen, auch wenn es Schabbat ist, so darf das Pessach Opfer am 14. Nissan geopfert werden, auch wenn es Schabbat ist.
Jene (die Söhne Betheras) fragten ihn: Woher wei.t du dies? Aus welcher Torastelle lernst du das? Dieser erwiderte: Beim Pessachopfer heißt es (Bamidbar 9, 2) „festgesetzte Zeit“:
„Dass die Kinder Jisraels das Pessach Opfer zu seiner festgesetzte Zeit opfern“ und beim beständigen Opfer heißt es (Bamidbar 28, 2) „festgesetzte Zeit“: „Meine Opfergabe, meine Speise zu meinem Feueropfer zu meinem Wohlgeruch sollt ihr wahren, dass ihr mir (sie) darbringt zur festgesetzten Zeit“, und wir lernen es mit „Gsejra Schawa“ („Eine gleichwertige Regelung“):
wie nun das beständige Opfer, bei dem es „festgesetzte Zeit“ heißt, den Schabbat verdrängt, ebenso verdrängt das Pessachopfer, bei dem es „festgesetzte Zeit“ heißt, den Schabbat. Davon lernen wir, dass man das Pessachopfer opfern darf. Auch wenn es auf den Schabbat fällt.
Eine weiter Quelle setzte Hillel fort: Ferner ist dies durch einen Schluss vom „Leichteren auf das Schwerere“ zu folgern: wenn das beständige Opfer, dessen Unterlassung nicht mit der Ausrottung belegt ist, den Schabbat verdrängt, um wieviel mehr verdrängt ihn (den Schabbat) das Pessachopfer, dessen Unterlassung mit der Ausrottung belegt ist. Die Fortsetzung der Geschichte: als die Söhne Betheras das von Hillel hörten, da setzten sie ihn an die Spitze des Sanhedrin (Hoher Rat, die oberste jüdische, religiöse Instanz) und wählten ihn zum Fürsten. Darauf trug er den ganzen Tag über die Vorschriften des Pessachfestes vor.
Alsdann begann er sie (die Söhne Betheras) durch Worte zu kränken, indem er zu ihnen sprach: Was veranlasste, dass ich aus Babylonien hergekommen und Fürst über euch geworden bin? Doch nur eure Trägheit, dass ihr bei den zwei Großen des Zeitalters, Schemaja und Awtalijon, nicht famuliert habt, denn wenn ihr bei ihnen famuliert hättet, hättet ihr diese Halacha (Gesetz) aus ihrem Mund kennengelernt, und ihr hättet mich nicht gebraucht.“
Darauf fragten sie ihn: Meister, wie ist es, wenn man am Vorabend des Schabbats das Messer zum Opfern mitzubringen vergessen hat? Wie sollte man das Opfer opfern? Man darf doch am Schabbat das Messer nicht bringen, denn alles, was man vor Schabbat vorbereiten kann, darf man am Schabbat nicht tun?
Er erwiderte ihnen: Diese Lehre habe ich zwar von meinen Lehrern gehört, jedoch vergessen; lasse man doch die Jisraeliten selbst handeln, denn wenn sie auch keine Propheten sind, so sind sie Kinder von Propheten, und wahrscheinlich werden sie es richtig machen und davon werden wir lernen. Am folgenden Tage (als der Vorabend von Pessach am Schabbat war) haben sie gesehen, dass jeder, der ein Lamm als Pessachopfer brachte, es (das Messer), in die Wolle gesteckt hatte, und der, der ein Zicklein brachte, das keine langen Haare hatte, um das Messer zu befestigen, es zwischen die Hörner steckte, und das Tier hat das Messer selbst bis zum Tempel gebracht. Als er (Hillel) dieses Verfahren sah, erinnerte er sich auch der Halacha und sprach: Dies eben ist mir von Schemaja und Awtalijon überliefert worden!“.
Autor: © Rabbiner Shlomo Bistritzky
Dies ist ein genehmigter Zweitabdruck. Der Artikel erschien erstmals in Hayom-Magazin im März 2022.