Schmot: Demut und Selbstaufopferung sind die wahren Führungseigenschaften

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„Mosche, Mosche! Und er antwortete: Hier bin ich“ (3:4)

 

Die Erklärer weisen uns auf eine aufsteigende Linie ab Noah bis Mosche hin. Noah wird als ein Tzaddik in Peltz – ein „Heiliger“, der nur ausschließlich mit seinem eigenen religiösen Wachstum beschäftigt war – benannt. Noah konnte nicht verhindern, dass seine Generationsgenossen in der Sintflut ums Leben kamen.

Awraham befand sich auf einer höheren Ebene. Er dawwente (betete) für die Menschen von Sdom. Aber als er sah, dass G“tt nicht bereit war, Sdom zu verschonen, hielt er mit seinen Gebeten inne.

Als das Jüdische Volk dem Goldenen Kalb gedient hatte, ging Mosche noch einen Schritt weiter: „Wenn DU nicht auf mich hörst, um dem Jüdischen Volk zu verzeihen, dann kannst DU mich aus der Thora streichen, die DU geschrieben hast“. Schau, das ist tatsächliche Aufopferungsbereitschaft eines Jüdischen Anführers!

 

Ein wirklicher Anführer fühlt mit seinen Menschen mit

Aber es gibt noch mehr bemerkenswerte Gegensätze zwischen Noah und Mosche. Noah wird im Anfang (Bereschit/Gen. 6:9) als ein rechtschaffener Mensch bezeichnet, sackte aber später ab zu „ein Mann der Erde“ (Bereschit 9:20). Eine abfallende Linie. Aber bei Mosche entwickelte sich seine Karriere in umgekehrte Richtung: einer aufsteigenden Linie!

Ein wirklicher Anführer fühlt mit seinen Menschen mit

Zuerst wird er als ein ägyptischer Mann bezeichnet (Schmot/Ex. 2:19), aber später wird er ein G“ttlicher Mensch, wie am Ende der Thora beschrieben. Mosche war im Stande, sich selbst höher zu bringen und nahm das gesamte Volk mit sich mit. Der Unterschied zwischen Noah und Mosche war, dass Mosche an den kleinsten Einzelheiten seines Nächsten interessiert war. Ein Jüdischer Anführer sollte selbstverständlich G“ttesfürchtig sein und ein großer Gelehrter.

Aber er wird erst WIRKLICH ein großer Anführer, wenn er im Stande ist, die irdischen Bedürfnisse des anderen zu seinem geistlichen Wachstum zu verwirklichen. Die meisten Probleme, mit denen heutzutage ein Rebbe oder ein Jüdischer Anführer konfrontiert werden, sind die üblichen geschäftlichen, Ehe- oder Erziehungsprobleme. Ein wirklicher Anführer fühlt mit seinen Menschen mit. Ohne dieses kann er sich zwar auf einer hohen Ebene befinden, aber er ist als Anführer seines Volkes nicht geeignet.

 

Mosche verweigerte sich dem Auftrag G’ttes

 

„Aber Mosche sprach zu G“tt: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehen soll“

(Schmot/Ex. 3:11)

 

Das Leid der Juden näherte sich. Ihre Erlösung war fünf Faktoren zu verdanken: ihr Elend, ihre Teschuwa (Einkehr), den Verdiensten ihrer Ahnen, dem Mitleid G“ttes und dem Eintreten des vorhergesagten Endstadiums der Sklaverei. Obwohl vierhundert Jahre der Sklaverei vorher prophezeit waren, waren die zweihundertzehn Jahre der Unterdrückung dermaßen hart gewesen, dass sie als vierhundert Jahre galten.

Der brennende Dornbusch: Symbol für das jüdische Volk

Mosche staunte über den verwunderlichen Anblick des brennenden Dornbusches, ein Symbol für dem Jüdische(n) Volk. Obwohl dieses andauernd in Flammen steht, geht es nie verloren und es wird nicht verzehrt. Um Mosche keinen Schrecken ein zu jagen – da er sich mit prophetischen Offenbarungen noch nicht auskannte – sprach G“tt ihm mit der Stimme seines Vaters zu. „ICH bin nicht Dein Vater, rief G“tt ihm zu, aber ICH bin der G“tt Deines Vaters und der G“tt von Awraham, Jitzchak und Ja’akov“. Mosche verstand sofort, dass sein Vater verstorben war, da G“tt SEINEN Namen nie mit lebenden Menschen verknüpft. Die Trauer von Mosche wurde aber durch die Tatsache aufgehoben, dass sein Vater Amram in EINEM Atemzug mit Awraham, Jitzchak und Ja’akov genannt wurde.

Mosche verweigerte sich dem Auftrag G’ttes

Mosche verweigerte sich dem Auftrag. Vergleichen Sie dies mit modernen Wahlen! Jeder Kandidat schreit, dass man ihn wählen soll, weil er der Beste ist. Mosche lehnt den Vorschlag G‘ttes ab, der Anführer zu werden. Er ist zu bescheiden. Er wollte, dass G“tt selber das Jüdische Volk erlösen sollte. G“tt versuchte während eines Zeitraumes von sechs Tagen, Mosche davon zu überzeugen, die Anführerschaft an zu nehmen. Am siebten Tag sprach Mosche: „Kannst DU nicht lieber Aharon als Leiter einsetzen?“.

Durch diese Verweigerung verlor Mosche das Anrecht auf Kehuna, auf die Rechte und Pflichte der Kohanim (Priester). Aharon wurde an seiner Stelle der Kohen Gadol – der Hohepriester. Aber jedoch: welch eine unvorstellbare Bescheidenheit! Wenn wir die Präsidentschaftswahlen hier oder in Amerika – lehawdil – mit der Haltung von Mosche vergleichen, fällt uns auf, dass ein wirklicher Jüdischer Anführer nicht unverbindliche Zusagen macht und mit Selbstherrlichkeit verknüpft, weder erneute Stimmenauszählung fordert noch Popularitätsumfragen inszeniert. Demut und Selbstaufopferung sind die wahren Führungseigenschaften.

Wo liegen unsere Prioritäten? 

„Unterwegs in einem Übernachtungsquartier kam G“tt ihm entgegen und wollte ihn töten“ (Schmot/Ex. 4:24)

G“tt wollte Mosche töten, da der sich mit der Brith-Mila seines Sohnes Eliejser einigermaßen nachlässig verhielt. Laut dem Talmud (B.T. Nedarim 31a) hatte Mosche die Beschneidung nicht vergessen, aber er hatte eine Abwägung zwischen zwei Aufträge von HaSchem zu treffen und er sprach wie folgt, als Begründung, zu sich: „Wenn ich Eliejser jetzt beschneide und mich sofort danach auf den Weg begebe, kann das Gefahr für die Gesundheit des Kindes bedeuten. Wenn ich drei Tage warte, bis die Gefahr gewichen ist, komme ich in eine Problematik bezüglich der Anweisung G“ttes, sofort nach Ägypten zu gehen“. Auf sich bezogen, war diese Überlegung ein genügender Grund, um mit der Brith-Mila etwas zu warten. Weshalb wurde dann Mosche mit dem Tod bedroht? Da er dem Ort der Übernachtung die Bevorzugung gab.

G’tt bevorzugt niemanden

An erster Stelle sehen wir hier, dass HaSchem (G’tt) niemanden „bevorzugt“. Gerade Mosche Rabbejnu – der Vater aller Propheten – wird ernsthaft für ein kleines Versäumnis gerüffelt, obwohl er mit einer großen Mitzwa beschäftigt war: der Befreiung des Jüdischen Volkes.

Eine Angelegenheit von Prioritäten

Zweitens ist dieses ein Mussar-Haskejl (eine Lexion in Religiösität): oft beschwerden wir uns, keine Zeit für allerlei spirituelle Angelegenheiten zu haben. Was scheint dann wohl zu gehen? Dass wir wohl Zeit für allerhand materielle Angelegenheiten haben. Oft glauben wir, kein Geld für Tzeddaka (Wohltätigkeit) zu haben. Aber es scheint so zu sein, dass wir uns allerhand an Luxus leisten. Eine Angelegenheit von Prioritäten! Dieses war – und sei es nur unterschwellig – die Anschuldigung von HaSchem gegen Mosche: keine Zeit für eine Brith-Mila, aber wohl Zeit für die Vorbereitung und Schaffung eines Malon – einer Übernachtungsgelegenheit? Diese Art von Dilemmas ist auch heute noch oft ein Problem für uns. Hochaktuell!

Author: © Oberrabbiner Raphael Evers | Raawi Jüdisches Magazin